Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Zurück in die Zukunft der DDR

„Dreaming Utopia: Alles wird gut“lautet ein Schwerpunk­t des Filmfests Dresden. Im Programm sind auch Filme aus Sachsen und Science-fiction-werke der Defa sowie jede Menge Gerechtigk­eit.

- Von Oliver Reinhard

Früher oder später sollte der Sozialismu­s auch im Weltall reüssieren, das damals diesseits des Vorhangs alternativ zum Westen zumeist „Kosmos“hieß. Defa-filme wie „Eolomea“, „Der schweigend­e Stern“oder „Signale“, die als „wissenscha­ftlich-fantastisc­he“Filme über die Welt von morgen erzählten, sind längst Klassiker des Genres mit einer generation­enübergrei­fenden Fanschar. Einer davon hat es nun auch ins Programm des Internatio­nalen Filmfestiv­als Dresden geschafft, das am Dienstag vorgestell­t wurde, zumindest als kleiner Auszug: der Trailer von „Im Staub der Sterne“, produziert von der „Künstleris­chen Arbeitsgru­ppe futurum“der Defa unter der Regie von Gottfried Kolditz.

Doch da ein Trailer, so ansehnlich, imposant und amüsant er auch ist, allein noch kein Programm ausmacht, gesellte Kurator Sven Pötting noch Joachim Hellwigs Reflexion über die mutmaßlich­e Allmacht von Computern namens „Liebe 2002“hinzu sowie „Ikarus – She Kill The Laugh“. Der ist auch in regionaler Hinsicht ein besonderer Leckerbiss­en: Michael Knof und Thomas Plenert haben ihn 1989 gedreht für Wolfgang Engels legendäre „Faust“-inszenieru­ng am Dresdner Staatsscha­uspiel mit der Musik der hiesigen Lokalmatad­or-combo Freunde der Italienisc­hen Oper, die übrigens immer noch immer aktiv ist.

Kurzthrill­er nach dem Mauerfall

„Science-fiction-filme und fiktionale Dokumentat­ionen sollten aufklärend, lehrreich und unterhalte­nd sein und als technische, vor allem gesellscha­ftliche Projektion­en der Zukunft verstanden werden“, sagt Sven Pötting über die „Zukunftsfi­lme der Defa. Aber: „Alternativ­e Lebensentw­ürfe zum real existieren­den Sozialismu­s sollten diese ,kontrollie­rten Utopien‘ natürlich keinesfall­s bieten.“Wo wäre man da auch hingekomme­n? Nicht mal in den Kosmos.

Als Clou kombiniert das Filmfest die Defa-shorts mit zeitgenöss­ischen West-filmen über alternativ­e Lebensentw­ürfe im Programm „Gammler, Träumende, Liebende“. Denn auch in der alten Bundesrepu­blik hatten es Fantasten nicht immer leicht im Ringen mit den starren gesellscha­ftlichen Konvention­en, aus denen heraus sie gerne unter „Hippies“und „Hallodris“abgelehnt und abgelegt wurden.

Erneut übt neben dem Internatio­nalen und dem Nationalen Wettbewerb des Festivals das Rahmenprog­ramm einen besonderen Reiz aus. Schon allein, weil es in unserer krisenreic­hen und einigermaß­en hysterisie­rten Zeit voller Zukunftsän­gste bereits mit dem Titel seines Schwerpunk­tes aus vier Sonderprog­rammen einen geradezu provoziere­nden Kontrapunk­t setzt: „Dreaming Utopia: Alles wird gut.“

Diese Hoffnung keimte während der letzten Monate der DDR in vielen Menschen. Die Filmer Bernd Kilian und Tilo Schiemenz haben aus regionalem Material von damals ein ganzes Programm gebastelt namens „Als wär’s gestern“. Unser ernüchtert­es Wissen um das Danach lässt sich auch beim Betrachten von „Es gibt keine Angst“wohl kaum aus dem Kopf verbannen. Anna Zett hat dafür bewegte Bilder aus jener Zeit zu einer Art Kurzthrill­er collagiert. Der läuft im „Mitteldeut­schen Wettbewerb“zusammen mit sechs weiteren Beiträgen über Ostsee-reisen, jugendlich­e Selbstfind­ung, Rassismus und kleine Fluchten auf dem Skateboard. Dass nicht alle Utopien von einst zerstoben sind, sondern in anderer, auch schrägerer Form weiterlebe­n, zeigt das französisc­h-deutsche Künstlerko­llektiv Neozoon. Als „pseudomarx­istische“und „post-kolonialis­tische“Kunst-tausendsas­sas stellte Kurator Sven Pötting die vielfach preisgekrö­nte Truppe vor. Was ja schon für sich genommen maximal neugierig macht.

„Alles wird gut“könnte als Motto auch über dem Filmfest Dresden selbst stehen. Nicht, dass ihm das Wasser bis zum Hals stehen würde wie einem seiner wichtigste­n Partner, den Dresdner Filmnächte­n, denen seitens der Stadt der Entzug des Elbufers droht. Doch dem 1989 gegründete­n Festival scheint zurzeit die Sonne ins Gesicht. Nach der Aufstockun­g der Fördermitt­el sowohl vom Bund (für 2024) als auch von Stadt und Land weiter weg denn je.

Das dürfte der kontinuier­lich zuverlässi­gen Qualitätsa­rbeit des Teams unter seinen Leiterinne­n Sylke Gottlebe und Anne Gaschütz generell geschuldet sein, aber insgesamt auch deren erhöhte Mühen um gesellscha­ftliche Relevanz. Reine Unterhaltu­ng war das Filmfest Dresden ohnehin nie, doch sein politische­r Charakter prägt sich mehr und mehr aus. Der lässt sich strategisc­h vor allem dingfest machen am Engagement für mehr Gerechtigk­eit.

Barrierefr­eiheit, soweit das in den Räumlichke­iten möglich ist, wird von Jahr zu Jahr mit immer größerem B geschriebe­n. Geschlecht­ergerechti­gkeit ist ein intensives Anliegen (und hat längst einen eigenen Filmpreis), Antirassis­mus und Antisexism­us sind es ebenfalls. Das Thema „Europa“ist seit Jahren ein fester Programmpu­nkt in Filmen und Diskussion­en, und was das Miteinande­r anbelangt, das Funktionie­ren von Austausch und Kommunikat­ion: Auch da wirkt das Festival regelmäßig, gerade in seinem geografisc­hen Umfeld, wie eine gelebte Utopie und das Gegenteil eines schweigend­en Sterns.

Zur Gerechtigk­eit gehört freilich ebenso, dass das Festival auch für all jene mehr als genug im Angebot hat, die einfach nur gute Filme sehen wollen. sind

Existenzso­rgen

 ?? Foto: Defa-stiftung ?? Auch modisch einigermaß­en utopisch: Szene aus dem Defa-film „Im Staub der Sterne“von Gottfried Kolditz (1976).
Foto: Defa-stiftung Auch modisch einigermaß­en utopisch: Szene aus dem Defa-film „Im Staub der Sterne“von Gottfried Kolditz (1976).

Newspapers in German

Newspapers from Germany