Weselsky bedankt sich bei Fahrgästen
Nach sechs Streiks im aktuellen Tarifstreit haben GDL und Deutsche Bahn ein Optionsmodell bei der Arbeitszeit vereinbart. Bis März 2026 wird es keine neuen Streiks geben.
Die Lokführergewerkschaft GDL hat ihr Ziel erreicht und eine 35-Stunden-woche für Schichtarbeiter bei der Bahn durchgesetzt. Der neue Tarifvertrag enthält ein sogenanntes Optionsmodell, mit dem Mitarbeitende im Schichtdienst künftig selbst über ihre Wochenarbeitszeit entscheiden. Der Korridor geht dabei von 35 bis 40 Stunden. „Dabei gilt das Leistungsprinzip: Wer mehr arbeitet, verdient entsprechend mehr“, erläuterte die Bahn am Dienstagvormittag.
„Wir haben keinen Misserfolg, sondern einen Erfolg, fast auf der ganzen Linie“, sagte der Gdl-vorsitzende Claus Weselsky am Dienstag in Berlin. Er bedankte sich bei den Fahrgästen, die immer wieder von Streiks betroffen waren, für ihre Geduld.
Ohne Streiks sei aber die Arbeitszeitverkürzung nicht erreicht worden. Mit der Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter – bei der Bahn sind das rund 120.000 – würden nun die Beschäftigten „nach vorn gestellt, die 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr“die Bahn betreiben.
Bahn-personalvorstand Martin Seiler stellt die Wahlmöglichkeit heraus, mit der Schichtarbeiter sich zwischen Geld und Zeit entscheiden können. Eine Arbeitsstunde entspricht dabei 2,7 Prozent mehr oder weniger Lohn. So würden zum Beispiel
Lokführer oder Zugbegleiterinnen in einer 40-Stunden-woche rund 14 Prozent mehr verdienen als in einer 35-Stunden-woche, rechnete die Bahn vor. „Mit der selbstbestimmten Wochenarbeitszeit werden die Bahnberufe insgesamt attraktiver, und Leistung lohnt sich“, meinte Seiler.
Seiler hatte sich lange gegen die Arbeitszeitverkürzung mit dem Hinweis auf den Arbeitskräftemangel gewehrt. Mit der nun getroffenen Regelung könne er leben, weil „der Zeitraum gedehnt“werde und die Bahn massiv Personal einstelle. Allein in diesem Jahr plane man mit 6.000 Azubis, sagte Seiler.
Die Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter sinkt von heute 38 Stunden im Januar 2026 auf 37 Stunden und ein Jahr später auf 36 Stunden; 2028 und 2029 folgen weitere Absenkungen um jeweils eine halbe Stunde. Die 35-Stunden-woche ist also 2029 erreicht.
Bei 29 kleineren Schienenverkehrsunternehmen hatte die GDL in den vergangenen Monaten schrittweise Arbeitszeitverkürzungen auf 35 Stunden bis 2028 vereinbart, allerdings unter dem Vorbehalt, dass entsprechende Schritte auch bei der Bahn gelten. Die Regelungen mit den regional tätigen Wettbewerbern der Bahn müssen nun entsprechend verändert werden.
2.850 Euro Inflationsprämie
Die GDL hatte ursprünglich eine monatliche Entgelterhöhung um 555 Euro gefordert, dazu eine Erhöhung der Zulagen um 25 Prozent sowie die Verkürzung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden für Schichtarbeiter bis 2028. Alles in allem lagen 35 Forderungen auf dem Tisch, die laut Seiler bei einer 1:1-Umsetzung die Personalkosten um 50 Prozent erhöht hätten.
Vereinbart wurde jetzt eine Erhöhung der Entgelte um 210 Euro im August sowie um weitere 210 Euro im April nächsten Jahres. Ferner bekommen die Beschäftigten im März eine steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 1.500 Euro sowie weitere 1.350 Euro voraussichtlich im Mai, teilte die Bahn mit. Der Tarifvertrag gilt bis Ende 2025, bis zum 28. Februar 2026 gilt die Friedenspflicht der GDL. Ab dem 1. März könnte die Lokomotivführergewerkschaft erneut bei der Bahn streiken.
Das neu entstandene Tochterunternehmen der Bahn, DB Infrago, soll nicht in den Tarifvertrag der GDL einbezogen werden. Dieser Punkt war der Deutschen Bahn wichtig, die den Einfluss der GDL eindämmen will. Die Deutsche Bahn wendet deshalb seit 2021 das sogenannte Tarifeinheitsgesetz an. Es schreibt vor, dass in den über 300 Db-betrieben nur der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft gilt. Eine Mehrheit hat die GDL nach Angaben der Bahn derzeit nur in 18 Betrieben, ansonsten dominiert die EVG.
Auf diesen Punkt ging Weselsky am Dienstag bei der Vorstellung des neuen Tarifvertrags ein. „Die Auseinandersetzung ist noch lange nicht beendet“, sagte der Gdl-vorsitzende. Die Bahn sei „der einzige Arbeitgeber in diesem Land, der das Tarifeinheitsgesetz gegen seine Arbeitnehmer anwendet“. Die Tarifverhandlungen zwischen GDL und Bahn hatten Anfang November begonnen, kurz darauf gab es den ersten Warnstreik. Zuletzt war Ende Februar eine Verhandlungsrunde gescheitert. In dieser hatten zwei Moderatoren – Schleswig-holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) – einen Vorschlag vorgelegt, der eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 36 Stunden vorsah. Weselsky lehnte das ab und rief erneut zum Streik auf.