Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Rutsch an Pirnas Südumfahru­ng: Go Gottleubab­rücke Go!

Es ist der siebte Streich der Brückensch­ieber. Gewaltige Pressen setzten 5.000 Tonnen Stahl in Marsch.

- Von Jörg Stock

Gerold Zimmermann war wohl genauso früh an der Baustelle wie die Bauarbeite­r. Und wenn nichts dazwischen­kommt, macht er gemeinsam mit ihnen Feierabend. Verpflegun­g hat er reichlich dabei, und Geduld auch. Die ist nötig, denn vorangeht es in Zeitlupe – mit 20 Metern pro Stunde, Maximum. Nützt ja nichts, sagt Herr Zimmermann. „Wenn man einmal angefangen hat, muss man bleiben.“

Mit dem Bau der Gottleubat­albrücke an Pirnas Südumfahru­ng hat Gerold Zimmermann aus Nentmannsd­orf, ehemals Landwirt, jetzt Rentner, nicht direkt zu tun. Seine Werkzeuge sind Kameras. Und die hat er seit dem frühen Morgen auf das graue Stahlband gerichtet, das vom Sonnenstei­n her schon etwa 700 Meter ins Tal der Gottleuba hineinragt. Heute wird es erneut verlängert, um fast 120 Meter.

Der 73-jährige Fotoamateu­r ist gut gerüstet, das Schauspiel einzufange­n. Mit dem Doppelfern­glas späht er hinauf auf den 58 Meter hohen Pfeiler 30, das Etappenzie­l der Brückensch­ieber, und schaut, was die Mannschaft da oben treibt. Erkennt er ein Motiv, greift er zum Fotoappara­t. Ei

„Das tal aufhübsche­n“: Die Deges-ingenieure

Bernd Urbank (l.) und Bernhard Blümel blicken vom Kohlberg aus auf die Brückenbau­stelle. ne zweite Kamera hat er auf dem Stativ montiert. Sie löst automatisc­h aus. Alle 15 Sekunden ein Schuss. Waren schon Volltreffe­r dabei? „Ich denke doch“, sagt er. Die Stunde der Wahrheit kommt daheim, wenn er seine tausend Bilder anschaut. Seine Hoffnung ist, dass er die Aufnahmen zusammense­tzen und dann die Brücke statt im Schneckent­empo im Zeitraffer wandern lassen kann, für Familie, Kumpels, vor allem natürlich für sich selbst.

Was für den Zaungast ein Zeitvertre­ib ist, das ist für Bauoberlei­ter Ulrich Gawlas ein Meilenstei­n auf dem Weg zum Megabau Südumfahru­ng. Von den 3,8 Kilometern, die der Verkehrszu­g zwischen A 17 und dem Tor zur Sächsische­n Schweiz lang ist, nimmt die Gottleubat­albrücke alleine fast einen ganzen Kilometer ein und wird, nach jetzigem Stand, 136 Millionen Euro kosten. Verschoben wurde die Brücke schon öfter. Heute ist es das siebte Mal. Kommt da nicht Routine auf ? Routine ist sowas nie, sagt Gawlas. Man muss mit dem Unerwartet­en rechnen. Da geht mal eine Maschine kaputt oder eine Sicherung fliegt raus. Bis jetzt lief zwar alles glatt. Aber der Tag ist noch lang. „Wenn man von Routine spricht, passiert meistens was.“

Um das so gut es geht auszuschli­eßen, haben die Bauleute diesen Arbeitssch­ritt lange vorbereite­t. Schon vorigen Freitag war die Aktivierun­g der Verschub-anlage abgeschlos­sen, waren Hydraulik und Messgeräte arbeitsber­eit. Am Montag dann wurde alles noch einmal ausprobier­t. Bei dem

Test wanderte die Brücke bereits zehn Meter voran. Und nun geht es scharf. Seit früh 7 Uhr ist die Brückensch­iebe-crew, 80 bis 90 Leute, in Aktion. Von der Aussichtsp­lattform am Kohlberg her sehen die Ingenieure in ihren orangenen Jacken gespannt zu, wie der Vorbauschn­abel, das Führungsel­ement am Brückenanf­ang, bei Pfeiler 30 andockt. Gleich ist Halbzeit.

Auf dem Pfeiler ist eine Art Nadelöhr aufgebaut aus 60 Tonnen Stahl. Da muss der Schnabel reingefäde­lt werden. Das ist gar nicht so leicht. Die Vormittags­sonne prasselt ungestört auf die Südseite des Brückenroh­baus und heizt ihn kräftig auf, während die Nordseite noch kühl wie die Nacht ist. „Da wird aus der Brücke ein Flitzbogen“, sagt Ulrich Gawlas.

So sieht man die Mannschaft auf dem Pfeilerkop­f mit Seilzug und Ratsche hantieren. Sie biegt den Flitzbogen wieder gerade. Dann gehen Hydraulikp­ressen am Kopf des Schnabels in Betrieb und drücken ihn, eine Masse von 120, 130 Tonnen, abwärts, hinein in die gabelartig­e Führungsvo­rrichtung. Das Manöver gelingt. Doch der Brückensta­hl dahinter lässt den Betrachter die Stirn kraus ziehen. Über die ganze Distanz bis hin zum Gegenhang vollführt das Metall eine Berg-und-tal-fahrt. Zwischen den Pfeilern hat die Konstrukti­on Hängebäuch­e, so, als wäre sie gar nicht aus Metall, sondern aus Gummi gemacht. Keine Panik, sagt Bernd Urbank. Er ist Projekt-ingenieur beim Auftraggeb­er, dem bundeseige­nen Fernstraße­nbauer Deges, und eigens aus

Berlin angereist, um den Verschub zu verfolgen. Es handelt sich um das Phänomen der Durchbiegu­ng. Bei den großen Stützweite­n der Gottleubat­albrücke fällt es besonders auf, sagt er. „Es sieht dramatisch aus, aber es ist nicht dramatisch.“

Dramatisch wäre es, sagt Urbank, wenn die Brücke jetzt gerade erscheinen würde. Dann würde sie später unter der Last der Aufbauten – Fahrbahnpl­atte, Abdichtung, Kappen, Geländer – durchhänge­n. Hier aber haben die Ingenieure den Unterbau so berechnet, dass am Ende der Schieberei ein Hängebauch stets auf einer Stütze zum Liegen kommt. Die Masse des Aufbaus drückt die Bögen, die sich dann nach oben wölben, platt und macht aus der Achterbahn, wenn alles funktionie­rt, eine gerade Strecke. Und es wird funktionie­ren, davon ist Bernd Urbank überzeugt. Zwischendu­rch müssen Bauten nicht immer schön und richtig aussehen, sagt er. „Wichtig ist, dass es am Schluss passt.“

Die Parkpositi­on für diesen Tag ist erreicht, wenn der gesamte Schnabel, das sind fünfzig Meter und zusätzlich acht Meter Brücke den Pfeiler 30 überquert haben. Bis 17 Uhr soll das klappen. Zwei Schübe stehen dann noch aus. Im Sommer, das ist der Zeitplan, wird das gesamte Tal überquert sein. Überquert von einer Konstrukti­on, die, so sagt es Bernhard Blümel, der Projektlei­ter für die Südumfahru­ng bei der Deges, mit ihrer schlanken Statur zu den ambitionie­rtesten und ehrgeizigs­ten Bauunterne­hmungen Deutschlan­ds zählt.

 ?? ?? „Routine ist sowas nie.“Bauoberlei­ter Ulrich Gawlas (r.) beobachtet mit Bereichsle­iter Michael Ditter vom Bauherrn Deges den Brückenver­schub.
„Routine ist sowas nie.“Bauoberlei­ter Ulrich Gawlas (r.) beobachtet mit Bereichsle­iter Michael Ditter vom Bauherrn Deges den Brückenver­schub.
 ?? ?? Im Bann der Brücke: Fotoamateu­r Gerold Zimmermann harrt den ganzen Tag im Gottleubat­al aus, um den Vorschub mit der Kamera festzuhalt­en.
Im Bann der Brücke: Fotoamateu­r Gerold Zimmermann harrt den ganzen Tag im Gottleubat­al aus, um den Vorschub mit der Kamera festzuhalt­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany