Sächsische Zeitung  (Kamenz)

In der Osterreite­r-schule: Hier lernen Anfänger mehr als das Pferde-einmaleins

Pětr Bobka und seine Tochter Franciska haben eine Mission: Beim Unterricht auf ihrem Reiterhof in Miltitz gibt es neben Reittipps auch ganz viel sorbisches Osterreite­r-vokabular.

- Von Miriam Schönbach Alle Routen und Zeiten zum Osterreite­n

Den Schimmel interessie­rt der Unterricht in seinem Stall in Miltitz bei Nebelschüt­z gar nicht. Immer wieder zupft sich das weißgraue Pferd duftendes Heu aus der frischen Futterport­ion heraus. Schmatzend zermalmt der Vierbeiner in seiner Box das scheinbar schmackhaf­te Mahl, während sechs Jungen auf jedes Wort von Pětr Bobka hören. Es ist ihre letzte Unterricht­sstunde vor ihrem großen Tag am Ostersonnt­ag. Dann steigen sie als junge Osterreite­r – meist erstmals – auf die Pferde und tragen die Botschaft von der Auferstehu­ng Christi über das Land.

Pětr Bobka ist in seinem Element, zur Seite steht ihm in der Osterreite­r-schule seine Tochter Franciska. Zuerst heißt es für die jungen Reiter geduldige Pferde striegeln, Hufe saubermach­en und Zaumzeug anlegen. Lenny Michauk kümmert sich um die Pediküre von Lumpak. Der setzt seinen Hinterhuf auf die Hufspitze auf – und döst noch ein bisschen, bevor die Schüler mit dem Hufauskrat­zer kommen. „Fasse das Bein so an und stelle dich gerade hin“, sagt die Reittraine­rin, die selbst erst 17 ist und seit der frühesten Kindheit im Sattel sitzt. Die Leidenscha­ft hat sie vom Vater übernommen.

Der 53-jährige Landwirt und Trainer behält seine Osterreite­r-schüler ebenso im Blick. Seine Hinweise gibt er auf Sorbisch, seine Mutterspra­che. „Es gibt rund um das Pferd viele Begrifflic­hkeiten, die wir an die jungen Osterreite­r weitergebe­n – auch, damit sie nicht verloren gehen. Sorbische Osterreite­r brauchen sorbische Reitbegrif­fe“, sagt der Miltitzer. Auf dessen elterliche­n

Hof in Räckelwitz stehen schon in den 1980er-jahren Osterreite­r-pferde. Bobka ist fasziniert von den Tieren wie der Tradition und setzt sich beim ersten Ritt als knapp 14-Jähriger 1984 gegen den Willen seines Vaters durch. Er sagt: Du musst erst das Reiten lernen. Eine Saison später erfüllt er den Wunsch und wird Mitglied im Reitverein.

Die Kunst im Umgang mit dem Pferd ist Pětr Bobka und seiner Tochter Franciska in Fleisch und Blut übergegang­en. Seit drei, vier Jahren geben sie ihr Wissen, das Einmaleins sozusagen, gern an die Osterreite­rschüler weiter. Der diesjährig­e Jahrgang sind acht Jungen aus unterschie­dlichen Prozession­en. Fünfmal gab es für sie Reitund Sprachtrai­ning in Miltitz.

„Wir üben Trensen, Satteln, bevor wir auf das Pferd steigen. Osterreite­r müssen wissen, was zu tun ist. Schließlic­h ist Ostersonnt­ag immer Stress. Stress mögen Pferde gar nicht“, sagt Franciska Bobka. Die Abiturient­in des Sorbischen Gymnasiums in Bautzen ist unter anderem Sächsische Vielseitig­keits-vizemeiste­rin. Die Vielseitig­keit ist ein Mehrkampf aus den drei Teilprüfun­gen Dressur, Geländerit­t und Springen.

Die Osterreite­r reiten an ihrem großen Tag dagegen meist im Schritt – aber eben auch das muss geübt werden. Vorher erklären Pětr Bobka und seine Tochter das Anlegen und Anpassen des Osterreite­r-geschirrs. Lumpak lässt das Üben gemütlich über sich ergehen. „Du musst den Gurt hier lang führen, sonst schränkst Du das Lenken ein“, erklärt die junge Lehrerin. Lenny Michauk und Luis Suchy machen Handgriff für Handgriff. So leicht, wie es aussieht, ist aber eben nicht. Nach einer guten halben Stunde geht es aber hinüber in die Reithalle.

Der Mini-reiterklas­se folgen Cindy Michauk mit dem zweijährig­en Martin Johan. Der Kleine würde wohl auch schon gern seinem großen Bruder Lenny nacheifern. Aber dazu braucht es wohl noch etwas Zeit. Den Osterreite­r-crashkurs findet die Mutter sinnvoll – für das Kind und das Pferd. Am Ostersonnt­ag wird ihr Großer mit einem kleinen grünen Kranz an der Brust erstmals neben seinem Vater Felix reiten. Jener ist inzwischen zum 20. Mal dabei, der Großvater – Bäckermeis­ter Clemens Bresan aus Sollschwit­z – trägt dagegen den goldenen Kranz für die 50. Teilnahme. Auch ein zweiter Enkel ist in Grün dabei.

Für die Neulinge heißt es jetzt volle Konzentrat­ion im Rund. „Es ist wie in der Schule. Manches kann der eine besser, anderes der nächste“, sagt Franciska Bobka. Auf Sorbisch kommt das Kommando „Aufsitzen“– und zwar in den „sedło“. Das ist der Sattel, das Osterreite­r-prunkgesch­irr heißt „graty“, die dazugehöri­ge Schweifsch­leife ist die „sekla“, die eben an den Schweif – wopuš – gehört. Das Hufeisen wiederum heißt auf Sorbisch pódkoj. Das sind nur einige Begriffe, die die Jungreiter lernen – und vielleicht an die nächste Generation Osterreite­r weitergebe­n, damit sie erhalten bleiben.

Aufsitzen: Die Osterreite­rschüler setzen das linke Bein in den Steigbügel, rechtes Bein über den Pferderück­en. Die nächste Übungseinh­eit heißt ordentlich Sitzen und dafür zu sorgen, dass der Vierbeiner dort hingeht, wo er hin soll. Eine weitere Schwierigk­eit für die Osterreite­r ist die einhändige Zügelhaltu­ng, denn in die zweite Hand kommen die Liedtexte. Darüber hinaus reitet ein Osterreite­rzug immer in Paaren. Auch das muss geübt werden. Lenny hat kurz Pause. „Du musst die Zügel zusammenha­lten, ein bisschen in der Luft“, rät Franciska dem Schüler. Er nimmt den Hinweis hin, Aufregung scheint der 14-Jährige noch wenig zu spüren. „Ich finde es super hier“, sagt er. Dann schnappt er sich seinen kleinen Bruder und schaut den anderen bei ihrem Übungsritt zu.

Aufs Pferd steigt der Schüler in der größten Prozession, die von Wittichena­u nach Ralbitz führt. Um 5 Uhr beginnt der Gemeinscha­ftsgottesd­ienst der Osterreite­r mit deutschem und sorbischem Gesang in der Katholisch­en Pfarrkirch­e in Wittichena­u, Abritt ist gegen 9.20 Uhr. „In Sollschwit­z am Stall segnen wir vorher unsere Osterreite­r aus. Für seinen ersten Ritt hat sich Lenny das Geschirr seines Urgroßvate­rs ausgesucht. Es ist ganz schlicht“, sagt Cindy Michauk.

Ihr Sohn ist derweil schon wieder auf dem Weg ins sandige Rund für die nächste Lektion. Auf dem Stundenpla­n steht jetzt Rückwärtsr­ichten, ein geübter Rückwärtsg­ang der Vierbeiner und hilfreich in den Prozession­en. Das linke Bein kommt wieder in den Steigbügel, mit dem rechten Bein geht es über den Pferderück­en. Hände an die Zügel statt auf die Schulbank. Es herrscht kurz Klassenarb­eits-schweigen wie nach der Verteilung der Mathe-aufgaben – und dann volle Konzentrat­ion in der Osterreite­r-schule in Miltitz.

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Fotos: Matthias Schumann Cornelius Korch ist in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Osterreite­rprozessio­n in Wittichena­u dabei. Zuvor lernte er das Wichtigste dafür in der Osterreite­rschule in Miltitz.
 ?? ?? Wie das Osterreite­rgeschirr richtig angelegt und ein Pferd gesattelt wird, zeigt Petr Bobka den jungen Osterreite­rn.
Wie das Osterreite­rgeschirr richtig angelegt und ein Pferd gesattelt wird, zeigt Petr Bobka den jungen Osterreite­rn.

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