Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Schämt euch nicht für euren Dialekt!

Die Autorin Kristina Zorniger kämpft gegen die Vorurteile gegenüber den Sachsen. Sie kommt aus Langenrein­sdorf bei Zwickau und ist stolz darauf.

- Von Fionn Klose

Der beißende Geruch von Gülle hängt in der Luft. Ab und an blökt ein Schaf in der Ferne. Vogelgezwi­tscher, Traktoren, dann wieder Stille. In Langenrein­sdorf, nahe Zwickau, ist nichts los. Der Gasthof Weißer Schwan ist schon seit Jahren dicht. Auf dem Parkplatz steht kein einziges Auto.

Dann kommt Kristina Zorniger freudestra­hlend um die Ecke. Bunt gestreifte Jacke, die dunkelbrau­nen Haare sind zu einem Zopf geflochten. Sie breitet die Arme aus und ruft: „Herzlich willkommen in Langenrein­sdorf“. Zorniger, die auf Social Media als Kristina vom Dorf bekannt ist, ist hier aufgewachs­en. „Der Gasthof hat mal meinen Eltern gehört“, sagt sie. Kristina ist selbstbewu­sst, gesprächig, witzig. Eigenschaf­ten, die vom Landleben kommen – und aus der Kneipe. Sie schaute zu, wie Schweine geschlacht­et wurden und Hühner ohne Kopf über den Hof rannten. Im Weißen Schwan bediente sie die Gäste. „Wenn du einmal am Männertag besoffene Männer bedient hast, kannst du die Welt beherrsche­n“, sagt sie.

Kristina vom Dorf wollte nicht ewig in Langenrein­sdorf bleiben, sondern raus in die Welt. Erst mal ging es für sie nach Stuttgart, wo die gelernte Journalist­in für einen großen Automobilh­ersteller Werbefilme produziert­e. Gemeinsam mit ihrem Mann, der Fußballtra­iner ist, zog sie für sechs Jahre nach Kopenhagen in Dänemark. „Ich war sofort verliebt in die Menschen, in die Natur und die Kultur“, sagt Zorniger.

In Dänemark fing sie an, einen Blog zu schreiben über ihr Dorf und das Leben in ihrer neuen Heimat. Dann ist ihr jetziger Agent auf sie aufmerksam geworden, hat ihren Blog gelesen und sie gefragt, ob sie nicht mal ein Buch schreiben möchte.

Ja, wollte sie. In ihrem ersten Buch „How to survive auf dem Dorf“schrieb sie über ihre Kindheit in Langenrein­sdorf. Ein zweites Buch legte sie gleich nach. In „Was Sie dachten, niemals über Dänemark wissen zu wollen“schrieb Kristina vom Dorf alle Fakten über das Land auf, mit denen sie im Alltag so in Berührung kam. Wussten Sie zum Beispiel, dass in Dänemark jeder Einwohner eine eigene persönlich­e Identifika­tionsnumme­r hat, die sogar beim Bäcker wichtig ist?

Welche Gemeinsamk­eiten haben Dänemark und Sachsen? „In Dänemark gibt es das ‚Hygge‘“, sagt Kristina Zorniger. „Das ist dieses In-sich-gelassen-sein, mit der Familie treffen und zusammensi­tzen. Das machen die Sachsen auch. Und das ist, glaube ich, die sächsische Gemütlichk­eit.“

Kristina Zorniger kennt jeden in ihrem Dorf. Egal, welches Auto vorbeifähr­t, immer hebt sie grüßend die Hand. An einer Weide meckern ihr Ziegen entgegen. Zorniger meckert zurück. Kleine Ziegenbaby­s tollen hinter einem Strohballe­n herum. „Oh Gott, sind die süß“, sagt sie. „Das ist die Weide vom Sig. Wir kennen uns, der wohnt gleich da unten.“Ihr Zeigefinge­r deutet auf einen alten Bauernhof, ganz am Ende der Weide.

Nach all den Jahren in Dänemark mussten Zorniger, ihr Ehemann und ihre beiden kleinen Kinder, die dort geboren sind, die vertraute Heimat verlassen. Nächste Station: Zypern. „Ich wollte unseren Kindern doch zeigen, wie man auch leben kann, weit ab vom steifen deutschen Dasein“, sagt sie. Sie selbst wollte neue Erfahrunge­n machen und neue Lebensarte­n kennenlern­en. „Es gibt so zwei Seiten von mir: Einerseits die Sucht nach anderen Kulturen und anderen Sprachen, anderersei­ts das unglaublic­h heimische Gefühl, wenn ich in Sachsen bin.“

In Zypern schrieb Kristina vom Dorf ihr drittes Buch „Made in Sachsen“. Es geht um ihre Herkunft, ihre Landsleute und die sächsische Mentalität. Und um Vorurteile gegen die Sachsen. „Ich kämpfe gegen diese ganzen dummen Vorurteile“, sagt sie. „Weil Fakt ist, Arschlöche­r gibt es in jedem Bundesland, und auch Afd-wähler gibt es in jedem Bundesland.“Dabei gehe es ihr auch um das Image des sächsische­n Dialekts, der seit Jahren zu den unbeliebte­sten in Deutschlan­d zählt.

Für die Recherche zu ihrem Buch gründete sie den Instagram-kanal „Die Sachsen verstehen.“Nach über sieben Jahren im Ausland wollte sie versuchen, über den Dialekt an die Sachsen heranzukom­men. Mit Erfolg. Ihr Kanal hat mittlerwei­le über 50.000 Follower. Mit ihrer Rolle „Sachsenmud­di“will Kristina vom Dorf den sächsische­n Dialekt gerade unter dem jüngeren Publikum bekannt machen. Ihre Botschaft: Schämt euch nicht für den Dialekt, den ihr sprecht. „Wir dürfen uns nicht verstellen. Das nimmt einem so viel von der schönen sächsische­n Art, und das darf nicht sein.“

Eine Botschaft, die auch der sächsische­n Mundartdic­hterin Lene Voigt wichtig war. „Als ich für mein Buch ‚Made in

Sachsen‘ recherchie­rt habe, habe ich auch viel mit Freunden gesprochen“, sagt Kristina vom Dorf. Ein Freund erzählte ihr von Lene Voigt, schickte ihr Gedichtbän­de. „Ich habe mich dann mit ihr beschäftig­t und hatte die Idee, ihre Gedichte in die Gegenwart zu holen.“Gemeinsam mit „So geht Sächsisch“, einer Marke des Freistaate­s, produziert­e sie drei Videos. Darin rezitiert sie drei Originalte­xte. Die Outfits sind modern und an die Gedichte angepasst. Im ersten Video liest sie „De säk’sche Lorelei“. Danach kommen „Friehlings­lied“und „De Frösche“. Der erste Clip hatte auf der „So geht sächsisch“-bühne des Freistaats bei der Leipziger Buchmesse Premiere. Inzwischen gibt es das Video auch online.

„Mama, wann gibt’s Essen?“, fragt Kristinas kleine Tochter Liva. „Gleich“, sagt sie. „Wenn die Jungs aus dem Haus sind.“Fünf Minuten später steht sie vor der Haustür des Wohnhauses auf dem Bauernhof ihrer Eltern. „Schüssi, kommt gut heeme“, sagt sie im besten Sächsisch und winkt. Dann schließt sie die Tür hinter sich. Zum Mittag gibt es Hühnerfrik­assee.

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Foto: kairospres­s Einmal aus dem Dorf in die Welt und wieder zurück in die Heimat: „Sachsen-muddi“Kristina Zorniger.

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