Ei, ei, ei
Der Kinderbuchklassiker „Die Häschenschule“erschien vor 100 Jahren. Autor Albert Sixtus wird deshalb in Sachsen gefeiert. Die „Neue Häschenschule“von Anke Engelke – mit einem veganen Fuchs – stößt dagegen auf Bauernproteste.
Hasenkinder haben es nicht leicht. Wer von dem Langohr-nachwuchs nicht in der Lage ist, Eier schön bunt anzumalen, der wird „auf Erden nie ein Osterhase werden“. Diese pädagogische Weissagung findet sich hübsch gereimt in einem Buch, das vor 100 Jahren erschien: „Die Häschenschule“.
Autor Albert Sixtus arbeitete einst selbst als Lehrer und verewigte in dem lustigen Bilderband einen dickleibigen Mümmelmann, der im Frontalunterricht die Abc-häschen das Gehorchen lehrt. Morgens vor der ersten Stunde „faltet artig man die Hände, bis das Frühgebet zu Ende“. Als Beispiel für die historische Lyrik noch ein vierhebiger Trochäus aus der Hofpause: „Lustig sind die Hasenjungen, toll wird da herumgesprungen. Doch die Mädchen knabbern stumm an dem Frühstückskraut herum.“Auch ein hyperaktiver Schlingel schlägt in dem Werk seine Haken. Der Typ heißt Hasenmax, zerfetzt das Kleid von Hasenlieschen und zerkracht eine neue Bank. Er muss in der Ecke „Buße tun“. Ein Feindbild existiert ebenfalls und ist den Hoppelkindern bedrohlich auf den Fersen. „Von dem alten Fuchs, dem bösen, wird erzählt und vorgelesen.“Der heimtückische Fleischfresser versucht denn auch, auf dem Nachhauseweg die Hasenkinder abzufangen. „Und die kleine Gretel denkt: Wenn er mich nur nicht mal fängt.“
Unter dem Motto „Tiere sind auch nur Menschen“wecken die Häschen in Hosen und Röcken in ihrer Schule im Wald eine muckelige Vorstellung von belebter und beseelter Natur samt Gefahren, die sie aber geschickt abwehren. Schließlich haben sie das in der Schule gelernt. All das passt in die Zeit und zu dem Humor von Sixtus, der am 12. Mai 1892 in Hainichen auf die Welt kam. Der Sachse besuchte ab Ostern 1898 die Volksschule in Stolpen, ab 1902 die Volksschule in Reichenau, heute Bogatynia, und absolvierte ab 1906 das Königliche Lehrerseminar in Pirna. Im Anschluss daran begann er als Vikar und Hilfslehrer in Altlöbau und Dürrhennersdorf zu arbeiten. Dort lernte er seine spätere Frau Milda, geborene Preußger, kennen. 1915 erhielt er eine Stelle als Lehrer an der Städtischen Realschule in Kirchberg. Im gleichen Jahr heiratete er. Am 26. Dezember 1915 wurde sein Sohn Wolfgang Manfred geboren. Doch das Familienglück hielt nicht lange, denn im Sommer 1916 musste der junge Vater an die Front, wo er 1918 durch einen Granatsplitter schwer verletzt wurde.
Nach seiner Genesung Mitte Dezember 1918 trat er wieder seinen Schuldienst in Kirchberg an. In dem Ort, gut 20 Kilometer von Zwickau entfernt, lebte und arbeitete Sixtus bis Mitte der 1930er-jahre. Inspiriert durch eine Familienfeier und seinen Sohn, schrieb der Dichter im Nebenberuf am 30. April 1922 in der Nacht zehn Strophen aus jeweils vier Paarreimen und nannte sein Werk die „Häschenschule“. Später notierte er in seinen Erinnerungen: „Die Verse purzelten mir nur so aus der Feder. Alles rundete sich wie von selbst zu einem Ganzen. Ich hatte, als das Gedicht um Mitternacht fertig vor mir lag, das Gefühl, dass man als Verfasser leider nur so selten hat: Diesmal ist dir wirklich etwas gelungen!“
Albert Sixtus schickte die Zeilen per Post nach Leipzig an den Alfred-hahns-verlag.
Der Verleger fand die Idee ganz nett, bat aber noch um weitere Strophen und beauftragte den Zeichner Fritz Koch-gotha, das Kinderbuch zu illustrieren, was diesem grandios gelang. Im Spätsommer 1924 erschien die erste Auflage der „Häschenschule“und verkaufte sich in den nächsten Monaten über 200.000-mal. Bis 1943 stieg die Auflage auf 388.000. Sie soll heute bei weit über einer Million liegen. So jedenfalls sagt es Ulrich Knebel, der in Kottmarsdorf lebt und seit 1997 in seiner Freizeit akribisch das Albert-sixtus-archiv führt.
Der 64-Jährige ist der Großneffe des Häschenschulen-lyrikers und hörte schon als Kind regelmäßig dessen Gedichte und Geschichten. Außerdem wusste Knebel, dass auf dem Dachboden des Elternhauses von Milda Sixtus in Dürrhennersdorf nach deren Tod 1966 der Nachlass seines dichtenden Großonkels landete. Darum gekümmert hat sich niemand aus der Familie. Über 30 Jahre später fand Knebel in einem Reisekorb den schriftstellerischen Nachlass von Sixtus. Plötzlich hielt er eine Fülle unveröffentlichter Schriften in der Hand, außerdem Verse für gut 30 Bilderbücher, zwei Märchenspiele, einige Kindererzählungen, einen Roman, einen Abenteuerroman, eine Biografie, Theaterstücke und über 100 Gedichte.
Der Nachfahre begann, alles zu sichten, zu ordnen und sammelte in den vergangenen Jahren 60 verschiedene Ausgaben der „Häschenschule“, darunter Exemplare in japanischer, russischer, schwedischer und lateinischer Übersetzung. Es gibt auch Veröffentlichungen in verschiedenen Dialekten wie Kölsch, Hessisch, Platt. Außerdem verfügt das Archiv inzwischen über weitere 200 Titel in verschiedenen Auflagen, die Albert Sixtus bis zu seinem Tod 1960 verfasste. Einen Teil davon hat Ulrich Knebel gerade in das Heimatmuseum nach Kirchberg gegeben, denn die Stadt feiert Ostern ihren Dichter mit Ausstellungen, genau wie Glauchau, wo Sixtus ab Mitte der 1930-Jahre als Hilfs- und Volksschullehrer arbeitete. Bis zum 21. April zeigt das Museum Schloss Hinterglauchau die Exposition „100 Jahre Häschenschule“.
Während der Verein Zukunftsregion Zwickau e. V. gerade einen Wettbewerb ausschreibt, um Autoren zu gewinnen, die die „Häschenschule“ins Sächsische übersetzen, hat sich Schauspielerin Anke Engelke pünktlich zum Jubiläum an eine ganz andere Interpretation gewagt. Das Sixtuswerk kam der Komikerin viel zu „überholt, altbacken und unmodern“vor. In ihrer neuen Reimerei samt moderner Illustration von Mareike Ammersken hat der Fuchs als aggressiver Täter keine Chance mehr. Old Isegrimm heißt in der Engelkevariante Brehm und mutierte in den vergangenen 100 Jahren offenbar: „Es stellt sich raus, Brehm ist ganz lieb, kein Hühneroder Hasendieb. Im Gegenteil, er lebt vegan und Möhren haben’s ihm angetan.“Ihm dient Meister Lampe nicht mehr als Futter, sondern Freund.
Vor der Klasse steht in der Neuausgabe auch nicht mehr der dickleibige Hasenpädagoge, sondern eine schicke Schulrektorin. Eine Lehrerin wandert mit geschulterter Gitarre mit den Lernenden zu einem Feld, vor das ein Absperrband gespannt ist. Auf einem Schild prangt ein Hasenschädel und darunter gekreuzte Knochen. „Achtung Gift!“steht darauf. Die Bauern sind die neue Gefahr, denn sie sprühen Pestizide auf ihre Felder und zerhacken mit ihren Mähdreschern Tiere zu Fleischwürfeln. „Ich bin ehrlich gesagt fassungslos“, sagte kürzlich am Rande des Bauerntages in Döbeln Sachsens Bauernpräsident Torsten Krawczyk. Er könne „es nicht verstehen, wie so ein Buch geschrieben werden kann, das sich den Realitäten komplett verweigert“. Das bayerische landwirtschaftliche Wochenblatt berichtete von einer „Verunglimpfung der Bauern“. Engelke würde mit ihrem Buch zu einer „Schmähung eines ganzen Berufsstandes“beitragen. Sixtusarchivar Ulrich Knebel gab bei Amazon dem Engelke-werk nur einen Stern und findet das Buch gar nicht lustig.
So wird der alte Sixtus 100 Jahre später noch mal richtig aktuell. Dabei gab es schon 2017 in Ute von Münchow-pohls Animationsfilm „Die Häschenschule“einen Hasenjungen namens Max, der auf einer Verkehrsinsel mitten in der Stadt lebt. Durch eine Mutprobe kommt er in die Waldschule, wo es auch eine weibliche Ökolehrkraft gibt, längst Karate und Meditation gelehrt und Selbsthilfegruppen gebildet werden
Anke Engelke sah sich zu einer Stellungnahme gezwungen. Es sei nicht ihre Absicht, Kinder davon abzuhalten, später einmal in die Landwirtschaft zu gehen. Es sei vielmehr die Idee des Verlags gewesen, den Bauern zum Gegner der Tiere zu machen. „Den Menschen zum Buhmann zu machen, das musste ich für die Geschichte in Kauf nehmen“, sagt sie. Die Erklärung ist Krawczyk zu wenig: „Dann gebe ich doch meinen Namen nicht für so etwas her.“Ganz unter dem Motto „Menschen sind auch nur Tiere“schreibt Anke Engelke in ihrer Häschenschule: „Es ist traurig, aber wahr: Menschen sind eine Gefahr!“.