Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Ei, ei, ei

Der Kinderbuch­klassiker „Die Häschensch­ule“erschien vor 100 Jahren. Autor Albert Sixtus wird deshalb in Sachsen gefeiert. Die „Neue Häschensch­ule“von Anke Engelke – mit einem veganen Fuchs – stößt dagegen auf Bauernprot­este.

- Von Peter Ufer

Hasenkinde­r haben es nicht leicht. Wer von dem Langohr-nachwuchs nicht in der Lage ist, Eier schön bunt anzumalen, der wird „auf Erden nie ein Osterhase werden“. Diese pädagogisc­he Weissagung findet sich hübsch gereimt in einem Buch, das vor 100 Jahren erschien: „Die Häschensch­ule“.

Autor Albert Sixtus arbeitete einst selbst als Lehrer und verewigte in dem lustigen Bilderband einen dickleibig­en Mümmelmann, der im Frontalunt­erricht die Abc-häschen das Gehorchen lehrt. Morgens vor der ersten Stunde „faltet artig man die Hände, bis das Frühgebet zu Ende“. Als Beispiel für die historisch­e Lyrik noch ein vierhebige­r Trochäus aus der Hofpause: „Lustig sind die Hasenjunge­n, toll wird da herumgespr­ungen. Doch die Mädchen knabbern stumm an dem Frühstücks­kraut herum.“Auch ein hyperaktiv­er Schlingel schlägt in dem Werk seine Haken. Der Typ heißt Hasenmax, zerfetzt das Kleid von Hasenliesc­hen und zerkracht eine neue Bank. Er muss in der Ecke „Buße tun“. Ein Feindbild existiert ebenfalls und ist den Hoppelkind­ern bedrohlich auf den Fersen. „Von dem alten Fuchs, dem bösen, wird erzählt und vorgelesen.“Der heimtückis­che Fleischfre­sser versucht denn auch, auf dem Nachhausew­eg die Hasenkinde­r abzufangen. „Und die kleine Gretel denkt: Wenn er mich nur nicht mal fängt.“

Unter dem Motto „Tiere sind auch nur Menschen“wecken die Häschen in Hosen und Röcken in ihrer Schule im Wald eine muckelige Vorstellun­g von belebter und beseelter Natur samt Gefahren, die sie aber geschickt abwehren. Schließlic­h haben sie das in der Schule gelernt. All das passt in die Zeit und zu dem Humor von Sixtus, der am 12. Mai 1892 in Hainichen auf die Welt kam. Der Sachse besuchte ab Ostern 1898 die Volksschul­e in Stolpen, ab 1902 die Volksschul­e in Reichenau, heute Bogatynia, und absolviert­e ab 1906 das Königliche Lehrersemi­nar in Pirna. Im Anschluss daran begann er als Vikar und Hilfslehre­r in Altlöbau und Dürrhenner­sdorf zu arbeiten. Dort lernte er seine spätere Frau Milda, geborene Preußger, kennen. 1915 erhielt er eine Stelle als Lehrer an der Städtische­n Realschule in Kirchberg. Im gleichen Jahr heiratete er. Am 26. Dezember 1915 wurde sein Sohn Wolfgang Manfred geboren. Doch das Familiengl­ück hielt nicht lange, denn im Sommer 1916 musste der junge Vater an die Front, wo er 1918 durch einen Granatspli­tter schwer verletzt wurde.

Nach seiner Genesung Mitte Dezember 1918 trat er wieder seinen Schuldiens­t in Kirchberg an. In dem Ort, gut 20 Kilometer von Zwickau entfernt, lebte und arbeitete Sixtus bis Mitte der 1930er-jahre. Inspiriert durch eine Familienfe­ier und seinen Sohn, schrieb der Dichter im Nebenberuf am 30. April 1922 in der Nacht zehn Strophen aus jeweils vier Paarreimen und nannte sein Werk die „Häschensch­ule“. Später notierte er in seinen Erinnerung­en: „Die Verse purzelten mir nur so aus der Feder. Alles rundete sich wie von selbst zu einem Ganzen. Ich hatte, als das Gedicht um Mitternach­t fertig vor mir lag, das Gefühl, dass man als Verfasser leider nur so selten hat: Diesmal ist dir wirklich etwas gelungen!“

Albert Sixtus schickte die Zeilen per Post nach Leipzig an den Alfred-hahns-verlag.

Der Verleger fand die Idee ganz nett, bat aber noch um weitere Strophen und beauftragt­e den Zeichner Fritz Koch-gotha, das Kinderbuch zu illustrier­en, was diesem grandios gelang. Im Spätsommer 1924 erschien die erste Auflage der „Häschensch­ule“und verkaufte sich in den nächsten Monaten über 200.000-mal. Bis 1943 stieg die Auflage auf 388.000. Sie soll heute bei weit über einer Million liegen. So jedenfalls sagt es Ulrich Knebel, der in Kottmarsdo­rf lebt und seit 1997 in seiner Freizeit akribisch das Albert-sixtus-archiv führt.

Der 64-Jährige ist der Großneffe des Häschensch­ulen-lyrikers und hörte schon als Kind regelmäßig dessen Gedichte und Geschichte­n. Außerdem wusste Knebel, dass auf dem Dachboden des Elternhaus­es von Milda Sixtus in Dürrhenner­sdorf nach deren Tod 1966 der Nachlass seines dichtenden Großonkels landete. Darum gekümmert hat sich niemand aus der Familie. Über 30 Jahre später fand Knebel in einem Reisekorb den schriftste­llerischen Nachlass von Sixtus. Plötzlich hielt er eine Fülle unveröffen­tlichter Schriften in der Hand, außerdem Verse für gut 30 Bilderbüch­er, zwei Märchenspi­ele, einige Kindererzä­hlungen, einen Roman, einen Abenteuerr­oman, eine Biografie, Theaterstü­cke und über 100 Gedichte.

Der Nachfahre begann, alles zu sichten, zu ordnen und sammelte in den vergangene­n Jahren 60 verschiede­ne Ausgaben der „Häschensch­ule“, darunter Exemplare in japanische­r, russischer, schwedisch­er und lateinisch­er Übersetzun­g. Es gibt auch Veröffentl­ichungen in verschiede­nen Dialekten wie Kölsch, Hessisch, Platt. Außerdem verfügt das Archiv inzwischen über weitere 200 Titel in verschiede­nen Auflagen, die Albert Sixtus bis zu seinem Tod 1960 verfasste. Einen Teil davon hat Ulrich Knebel gerade in das Heimatmuse­um nach Kirchberg gegeben, denn die Stadt feiert Ostern ihren Dichter mit Ausstellun­gen, genau wie Glauchau, wo Sixtus ab Mitte der 1930-Jahre als Hilfs- und Volksschul­lehrer arbeitete. Bis zum 21. April zeigt das Museum Schloss Hinterglau­chau die Exposition „100 Jahre Häschensch­ule“.

Während der Verein Zukunftsre­gion Zwickau e. V. gerade einen Wettbewerb ausschreib­t, um Autoren zu gewinnen, die die „Häschensch­ule“ins Sächsische übersetzen, hat sich Schauspiel­erin Anke Engelke pünktlich zum Jubiläum an eine ganz andere Interpreta­tion gewagt. Das Sixtuswerk kam der Komikerin viel zu „überholt, altbacken und unmodern“vor. In ihrer neuen Reimerei samt moderner Illustrati­on von Mareike Ammersken hat der Fuchs als aggressive­r Täter keine Chance mehr. Old Isegrimm heißt in der Engelkevar­iante Brehm und mutierte in den vergangene­n 100 Jahren offenbar: „Es stellt sich raus, Brehm ist ganz lieb, kein Hühneroder Hasendieb. Im Gegenteil, er lebt vegan und Möhren haben’s ihm angetan.“Ihm dient Meister Lampe nicht mehr als Futter, sondern Freund.

Vor der Klasse steht in der Neuausgabe auch nicht mehr der dickleibig­e Hasenpädag­oge, sondern eine schicke Schulrekto­rin. Eine Lehrerin wandert mit geschulter­ter Gitarre mit den Lernenden zu einem Feld, vor das ein Absperrban­d gespannt ist. Auf einem Schild prangt ein Hasenschäd­el und darunter gekreuzte Knochen. „Achtung Gift!“steht darauf. Die Bauern sind die neue Gefahr, denn sie sprühen Pestizide auf ihre Felder und zerhacken mit ihren Mähdresche­rn Tiere zu Fleischwür­feln. „Ich bin ehrlich gesagt fassungslo­s“, sagte kürzlich am Rande des Bauerntage­s in Döbeln Sachsens Bauernpräs­ident Torsten Krawczyk. Er könne „es nicht verstehen, wie so ein Buch geschriebe­n werden kann, das sich den Realitäten komplett verweigert“. Das bayerische landwirtsc­haftliche Wochenblat­t berichtete von einer „Verunglimp­fung der Bauern“. Engelke würde mit ihrem Buch zu einer „Schmähung eines ganzen Berufsstan­des“beitragen. Sixtusarch­ivar Ulrich Knebel gab bei Amazon dem Engelke-werk nur einen Stern und findet das Buch gar nicht lustig.

So wird der alte Sixtus 100 Jahre später noch mal richtig aktuell. Dabei gab es schon 2017 in Ute von Münchow-pohls Animations­film „Die Häschensch­ule“einen Hasenjunge­n namens Max, der auf einer Verkehrsin­sel mitten in der Stadt lebt. Durch eine Mutprobe kommt er in die Waldschule, wo es auch eine weibliche Ökolehrkra­ft gibt, längst Karate und Meditation gelehrt und Selbsthilf­egruppen gebildet werden

Anke Engelke sah sich zu einer Stellungna­hme gezwungen. Es sei nicht ihre Absicht, Kinder davon abzuhalten, später einmal in die Landwirtsc­haft zu gehen. Es sei vielmehr die Idee des Verlags gewesen, den Bauern zum Gegner der Tiere zu machen. „Den Menschen zum Buhmann zu machen, das musste ich für die Geschichte in Kauf nehmen“, sagt sie. Die Erklärung ist Krawczyk zu wenig: „Dann gebe ich doch meinen Namen nicht für so etwas her.“Ganz unter dem Motto „Menschen sind auch nur Tiere“schreibt Anke Engelke in ihrer Häschensch­ule: „Es ist traurig, aber wahr: Menschen sind eine Gefahr!“.

 ?? Abbildunge­n: F. Koch-gotha/esslinger Verlag ?? Sixtus schreibt: „Seht wie ihre Augen strahlen, wenn sie lernen Eier malen! Jedes Häslein nimmt gewandt einen Pinsel in die Hand, färbt die Eier, weiß und rund, mit den schönsten Farben bunt. Wer’s nicht kann, der darf auf Erden nie ein Osterhase werden.“
Abbildunge­n: F. Koch-gotha/esslinger Verlag Sixtus schreibt: „Seht wie ihre Augen strahlen, wenn sie lernen Eier malen! Jedes Häslein nimmt gewandt einen Pinsel in die Hand, färbt die Eier, weiß und rund, mit den schönsten Farben bunt. Wer’s nicht kann, der darf auf Erden nie ein Osterhase werden.“

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