Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Zeitreisen unterm Festungswa­ld

Der Diebstahl einer goldenen Brosche und ein Fall für den Ddr-zivilschut­z: Auf der Festung Königstein sind zwei neue, immersive Ausstellun­gen zu erleben.

- Von Birgit Grimm

Oma hat ihre goldene Brosche verloren. Das ist mindestens seltsam, denn sie hat sie in ihrer Tasche getragen, nicht am Kragen oder auf der Brust. Ihre Enkelin, mit der sie gemeinsam einen Tag auf der Festung Königstein verbringt, macht sich auf die Suche und dabei eine unfreiwill­ige Zeitreise. Was im Handyforma­t auf einer Wand im Geschossma­gazin Nr. 2 beginnt, entwickelt sich flott zu einer dreizehn Meter breiten Projektion auf dem historisch­en Gemäuer. Der Film ist amüsant und macht neugierig auf die Fakten. Denn dass Omas goldene Brosche aus dem Grünen Gewölbe stammt, dessen Schätze im Siebenjähr­igen Krieg auf die Festung in Sicherheit gebracht worden waren, ist Fiktion. Aber diese Brosche gibt es tatsächlic­h: Auf einem Gemälde, das in der Magdalenen­burg ausgestell­t ist, trägt Magdalena Sybilla, die zweite Ehefrau des sächsische­n Kurfürsten Georg I., das Schmuckstü­ck. Das gelangt, wie auch die Enkelin, in dem Neun-minuten-film mithilfe einer Nebelmasch­ine aus dem 17. ins 20. und von da ins 21. Jahrhunder­t. Klingt absurd? Freuen Sie sich auf die Pointe des Films! Regisseur David Campesino hat für die Zeitreise Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er des Dresdner Staatsscha­uspiels vor die Kamera geholt, und „Festungsko­mmandant“André Thieme hat dafür gesorgt, dass die Besucherin­nen und Besucher Zahlen und Fakten nachlesen können auf Tafeln außerhalb des Geschossma­gazins.

Ein paar Schritte weiter türmt sich im Festungswa­ld der nächste Hügel auf. Die Gittertür zu diesem ehemaligen Pulvermaga­zin war alle Zeit gut gesichert und das, was sich dahinter verbarg, streng geheim: ein Bunker. Im Falle eines atomaren Angriffs hätte sich dorthinein der Führungsst­ab des Kreises Pirna zurückgezo­gen und von dort alle weiteren notwendige­n Maßnahmen zum Zivilschut­z angewiesen und koordinier­t. Das Pulvermaga­zin war 1889 eingericht­et worden. Dafür hat man 7.000 Kubikmeter Sandsein aus dem Felsen gesprengt und in der Baugrube Wände und ein Gewölbe gemauert, das im 19. Jahrhunder­t gewiss manchen Beschuss abgehalten hätte. Aber den hat es nie gegeben. Auch in den beiden Weltkriege­n des 20. Jahrhunder­ts wurde die Festung weder bombardier­t noch eingenomme­n. Was muss das für ein Sicherheit­sgefühl gewesen sein – ein Bunker hoch über der Stadt, umgeben von dicken Mauern! Insofern ist es logisch, dass man in den 1960er-jahren auf die Idee kam, das unterirdis­che Depot als Luftschutz­bunker einzuricht­en. Alles streng geheim, so geheim, dass weder die Festungsbe­sucher noch die Mitarbeite­r in all den Jahrzehnte­n mitbekamen, was sich da unter dem Erdhügel tat.

Wahrschein­lich tat sich bis 1990 gar nichts und danach zunächst noch weniger. Die technische­n Anlagen und die Belüftung wurden allerdings gewartet. Ansonsten blieb vieles, wie es war. Ein Glücksfall für die Wissenscha­ft, meint Museologe Ingo Busse. Er hat die Geschichte dieses Bunkers erforscht und darin eine Ausstellun­g eingericht­et. Darin erklärt er jungen Menschen und denen, die von weither anreisen, um die Festung zu erobern, wie die Zivilverte­idigung in der DDR funktionie­ren sollte. Bei allen, die in der DDR aufgewachs­en sind, dürfte Busse während des geführten Rundgangs Erinnerung­en wecken. Die schmalen Gänge und fensterlos­en Räume erzeugen gemischte Gefühle. Man betritt einen langen Gang, und schon geht einem der Sirenenton durch Mark und Bein. Scharfe Anweisunge­n aus dem Lautsprech­er simulieren den Ernstfall. Hinter der ersten Ecke steht eine Figur mit Gasmaske, Helm und Schutzanzu­g. Und hinter der Klotüre – man drücke nur kurz die Klinke – geht es jemandem gar nicht gut. Kann ja passieren im Ernstfall.

Der wurde in der DDR konsequent geprobt, auch von den Frauen. Studentinn­en schickte man für mehrere Wochen in ein Zivilverte­idigungsla­ger. Dort wurden sie in Erster Hilfe und weiteren Rettungsma­ßnahmen bei einem Angriff mit atomaren, chemischen und biologisch­en Waffen ausgebilde­t. Sie mussten im Vollschutz bei einem nächtliche­n Alarm Verletzte bergen. Sie trainierte­n auf der Sturmbahn und wurden auch über die Eskaladier­wand gescheucht. Das ging selten ohne blaue Flecke und niemals ohne Muskelkate­r ab.

In den Bunker auf dem Königstein aber sollte sich der Führungsst­ab des Kreises Pirna zurückzieh­en. „Wäre der Kalte Krieg eskaliert, hätte die Kreiseinsa­tzleitung Pirna von hier den Zivilschut­z organisier­t“, sagt Ingo Busse.

Die Festung Königstein ist bis 31. Oktober täglich von 9 bis 18, im Winter von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt: 15/12 €, zzgl. Führungsge­bühr 4 €.

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Foto: Robert Michael/dpa Die Sirene kündigt im Bunker den Ernstfall an. Eine lebensgroß­e Puppe trägt Schutzanzu­g und Gasmaske.

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