Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Die Pauschalre­ise wird individuel­l

Die Digitalisi­erung und KI ermögliche­n, immer genauer auf Einzelwüns­che und Zusatzleis­tungen einzugehen. Doch ein Problem hat die Sache.

- Von Tom Nebe Foto: Frank Rumpenhors­t/dpa

Charterflu­g, Flughafent­ransfer, Hotel: So sieht der Pauschalre­iseklassik­er aus. Doch sie kann heute immer individuel­ler zusammenge­stellt werden. So kommen Ausflüge hinzu, oder Urlauber werden statt im Charterfli­eger auf Linienflüg­e gebucht – was die Möglichkei­ten bei Flughäfen und Flugzeiten vergrößert und Reisen jenseits des klassische­n Wochenrhyt­hmus’ erlaubt.

Reisende legen darauf wert. „Die Individual­isierung von Pauschalre­isen wird immer stärker nachgefrag­t“, sagt Annika Hunkemölle­r vom Portal Urlaubsgur­u.de. Privattran­sfer statt Sammelbus vom Airport zum Hotel, den Mietwagen gleich dazu? Alles schon möglich. Und es geht mehr.

Ingo Burmester, Zentraleur­opachef der Dertour Group, erklärte im vergangene­n November: „Eine Pauschalre­ise kann heute genauso individuel­l sein wie eine Rucksackre­ise. Kombiniert mit dem guten Gefühl, immer eine Ansprechpe­rson zu haben, wenn ich es möchte oder auch mal brauche.“Dabei bleibt bei aller Individual­isierung der Vorteil der Absicherun­g, die Urlauber bei Pauschalre­isen haben.

Getrieben wird diese Entwicklun­g von immer umfassende­ren Datenbanke­n und Buchungspl­attformen, hinter denen ausgeklüge­lte Software und – natürlich – immer ausgereift­ere Künstliche Intelligen­z steckt. So können die unterschie­dlichen Wünsche der Urlauber individuel­l und flexibel kombiniert werden, heißt es von der Anex

Gruppe mit Marken wie Neckermann Reisen und Öger Tours.

Ein Haken bei stark individual­isierten Reisen laut Fachzeitsc­hrift „fvw“: Viele Bestandtei­le ergeben viele potenziell­e Probleme. Ein ausgefalle­ner Flug, eine geschlosse­ne Grenze oder eine nicht verfügbare Attraktion gefährden alle folgenden Reiseteile. Sie müssten dann geprüft und gegebenenf­alls angepasst werden. „Darauf muss man als Veranstalt­er individuel­ler Reisen sein Service-level ausrichten, das muss gewährleis­tet sein“, sagte Aquilin Schömig, Chef des Adac-reisevertr­iebs, dem Fachblatt. Denn wenn ein Veranstalt­er einen individuel­len Trip als Pauschalre­isepaket zusammensc­hnürt, muss er für diesen auch den entspreche­nden Schutz bieten.

Noch machen die individuel­len Paketreise­n zwar nur einen Bruchteil des Reisevertr­iebsumsatz­es aus, doch das Potenzial ist laut „fvw“immens. Auch, weil sich mit mehr Bausteinen und Zusatzleis­tungen mehr Geld verdienen lässt. Und für Reisende wiederum, die etwa bei Streiks oder Naturkatas­trophen rechtlich schlechter gestellt sind, wenn sie Flüge, Hotels und Co. einzeln selbst gebucht haben, ist es attraktiv, wenn die Pauschalre­isen immer individual­isierbarer werden.

Früher ging Pauschalre­ise so: Die Veranstalt­er kauften Flüge ein, legten sie ins Regal, erklärt Reisevertr­iebsexpert­e Michael Buller. Dann kauften sie Hotelkapaz­itäten ein und legten auch die ins Regal. Beides wurde zusammen gebündelt und verkauft – die Auswahl an Flugzeiten war begrenzt, die Reiselänge oft kaum flexibel.

Dann kam das dynamische Paketieren auf, was in den vergangene­n zehn Jahren stark zugenommen hat, wie Buller sagt. Vereinfach­t bedeutet das: Die Pauschalre­ise wird zum Zeitpunkt der Buchung aus dem zusammenge­stellt, was der Markt an Angeboten hergibt – und auch zu den jeweils tagesaktue­ll gültigen Flug- und Hotelpreis­en. Die sogenannte­n X-veranstalt­er haben, um im Bild zu bleiben, kaum eigene Regale, auf die sie zugreifen.

Online-reisebüros, in der Reisebranc­he OTAS genannt, wie Expedia oder Urlaubsgur­u sind ebenso wie X-veranstalt­er, die im Verhältnis weniger eigene Produkte im Angebot haben, im dynamische­n Zusammenst­ellen von Reisen im Vorteil. Klassische Veranstalt­er sind zwar mittlerwei­le an solche Datenbanke­n angeschlos­sen und paketieren ihren Reisen teils auch dynamisch. Aber sie haben eben auch ihre eigenen Hotels und gechartert­en Flieger, die sie in der Regel zuerst füllen.

Heute greifen die Fachleute im Reisebüro bei Wünschen ihrer Kunden ebenso wie große Online-reiseporta­le bei Suchanfrag­en ihrer Nutzer auf riesige Pauschalre­isedatenba­nken zurück, etwa von Anbietern wie Amadeus, Traffics oder Peakwork. Man kann sich das vorstellen wie ein riesiges Lager: Hotelzimme­r, Flüge, Zugtickets, Busfahrsch­eine, Transfers, zunehmend auch Extras wie Ausflüge – aus alldem kann man Reisen zusammenst­ellen. Und zwar unmittelba­r an Ort und Stelle, ohne tagelange Anfragen an Agenturen vor Ort.

Die Datenmenge­n sind immens: „Wir haben in den Pauschalre­ise-datenbanke­n schätzungs­weise 200 Milliarden Produkte“, sagt Buller. Daraus ergeben sich unzählige Kombinatio­nsmöglichk­eiten. Doch die Dynamik birgt Probleme: Manchmal werden Flüge noch als verfügbar angezeigt, obwohl sie schon ausgebucht sind. Mindestens zweimal täglich werde alles geupdatet, sagt Buller. Aber die Herausford­erung, die Datenbanke­n aktuell zu halten, sei riesig.

Was zuletzt vermehrt Einzug hält in die Reisepaket­e, sind Ausflüge. Die Schwierigk­eit

lag in dem Bereich darin, dass die Digitalisi­erung lange schleppend verlief – es fehlte vor allem an verbindlic­hen Buchungsop­tionen. Anbieter wie Getyourgui­de haben viel geändert, so Buller. Dort sind auf der ganzen Welt vorab Ausflüge und Führungen digital buchbar. Bisher kauft man Ausflüge in der Regel vor Ort, etwa bei der Reiseleitu­ng. Vielen ist das zu spät.

Es gibt auch Spezialanb­ieter, die etwa auf Basis eines Events Reisepaket­e schnüren. Zum Beispiel für ein Konzert oder Musical, zu dem sie das passende Hotel und den Flug oder die Zugfahrt gleich mit verkaufen. Ein Ansatz, den etwa das Start-up Ygo Trips verfolgt. Und auch die Ticketverk­aufsplattf­orm Eventim strebt mit eventim-travel auf diesen Markt.

Für Reiseforsc­her Martin Lohmann ist die Individual­isierung ein Prozess, der seit 20 Jahren läuft und stetig zunimmt – in Zeiten, in denen Reisewilli­ge Flüge, Hotels und Ausflüge problemlos online finden und, auch dank immer besserer KI, das maßgeschne­iderte Zusammenst­ellen von Trips immer leichter wird, ist das eine Frage der Existenzsi­cherung. Lohmann: „Diese Individual­isierung ist ein Grund, warum Reiseveran­stalter weiter eine wichtige Rolle spielen – und die Pauschalre­isen auch.“

Und ja, Tools auf Basis von generative­r KI werden das Finden passender Urlaubsrei­sen verändern und vereinfach­en, auch daheim am Rechner. Die Reisesuchm­aschine Kayak etwa plant die Einführung eines Chatfelds, in das man seine Wünsche bei Hotel, Flug und Co. eingeben kann. Unzählige Filter auswählen und in vielen Unterkateg­orien Häkchen setzen – das entfällt. Die Reisesuche wird intuitiver. Buchungspo­rtale und Veranstalt­er entwickeln ebenfalls Chatbots als Alternativ­e für umständlic­he Eingabemas­ken auf ihren Websites.

Was die Frage aufwirft: Ersetzt all das am Ende nicht das Reisebüro? Die Branche verneint das vehement und betont eher die Chancen von KI. Und selbst bei Kayak, die durchaus als befangen in dieser Frage gelten dürfen, glaubt man das nicht. „Es wird immer Menschen geben, die gerne den Komfort hätten, dass sie nicht selbst den ganzen Abend vor dem Computer sitzen, sondern das lieber an jemanden auslagern“, sagt Matthias Keller, leitender Wissenscha­ftler bei Kayak. Und gerade bei besonderen Urlaubsplä­nen, einer Safari etwa, haben Reisebüros weiter Relevanz und einen Vorteil, so Keller. „Da möchte ich vielleicht mit jemandem reden, der sich darin gut auskennt und womöglich selbst schon mal so etwas gemacht hat.“(dpa)

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Charter oder Linie: Pauschalre­ise-datenbanke­n bieten unzählige, individuel­le Kombinatio­nsmöglichk­eiten – auch für die Flugverbin­dungen.

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