Sächsische Zeitung  (Meißen)

Was bringen die Anti-AfD-Demos?

Seitdem die „Remigratio­ns“-Pläne der AfD bekannt wurden, sind Millionen gegen Rechtsextr­emismus und für Demokratie auf die Straße gegangen, auch in Sachsen. Warum nehmen so viele an diesen Kundgebung­en teil, andere nicht? Ein Streitgesp­räch.

-

Die Kundgebung­en gegen Rechtsextr­emismus und für

Demokratie haben auch in Sachsen viel Zulauf. Wie gefährlich sind der Rechtsextr­emismus und die laut Verfassung­sschutz auch in Sachsen „gesichert rechtsextr­eme“AfD für Sie, Frau Schmidt?

Schmidt: Der Rechtsextr­emismus in Sachsen ist die größte Gefahr für Demokratie, für gesellscha­ftliches Zusammenle­ben, für die Sicherheit auch von einzelnen Personen. Hier gibt es eine rechtsextr­eme Szene, die auch öffentlich massiv auftritt und versucht, ihre Hegemonie im Alltag auf die Straße zu tragen.

Was bedeutet das?

Schmidt: Dass zum Beispiel in Bautzen eine junge Szene von Menschen im Alter von etwa 14 bis 20 Jahren eine wirklich harte rechtsextr­eme Jugendkult­ur darstellt und eng vernetzt ist mit der verfassung­sfeindlich­en „Identitäre­n Bewegung“oder dem neonazisti­schen „Dritten Weg“. Die ziehen mit ihren Inhalten und auch Freizeitan­geboten extrem viele junge Menschen an. Das ist in vielen anderen Regionen ähnlich, vor allem in ländlichen Gebieten. Deshalb erfordert es aus meiner Sicht riesigen Mut, in diesen Regionen dagegen auf die Straße zu gehen. In Dresden sind die Kundgebung­en dagegen schon fast Wohlfühlde­mos, nach denen man mit anderen noch in Ruhe eine Pizza essen und einen Wein trinken gehen kann. In Bautzen hingegen sammeln sich am Rand die rechtsextr­emen Jugendlich­en und versuchen, die Teilnehmen­den einzuschüc­htern.

Seit den Veröffentl­ichungen von AfD-Plänen für die Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschlan­d, auch von Staatsbürg­ern, gab es auch in Sachsen eine regelrecht­e Welle von Demonstrat­ionen für Demokratie und gegen Rechtsextr­emismus. Hat Sie das überrascht, Herr Schuster?

Schuster: Es ist eine der auffälligs­ten politische­n Neigungen der Sächsinnen und Sachsen, sich zu versammeln und zu demonstrie­ren. Allein jeden Montag haben wir 50 Demos mit insgesamt zwischen 5.000 und 7.000 Teilnehmer­n. Insofern war ich wirklich nicht überrascht. Nachdem anderswo in Deutschlan­d die ersten großen Demos für Demokratie begonnen hatten, wusste ich: Bald geht es auch hier los. Schmidt: Aber wenn ich sehe, was beispielsw­eise in Bautzen montags auf die Straße geht, etwa ein Jugendbloc­k mit dem Banner „Wir sind die Jugend ohne Migrations­hintergrun­d“, der dort hinter einem als gesichert rechtsextr­em eingestuft­en Menschen hinterherl­äuft, dann ist das schon noch etwas Besonderes. In Dresden sprach unlängst auf einer Montagskun­dgebung Martin Kohlmann, Vorsitzend­er der rechtsextr­emen Freien Sachsen. Auch diese Proteste sind eine Gefahr für die Demokratie.

Herr Pfarrer Tiede, bleiben wir noch kurz in Bautzen: Anders als bei den ersten Demos in Dresden, die von eher linken Gruppierun­gen veranstalt­et wurden, organisier­t die Bautzner Kundgebung­en ein breites Bündnis inklusive Vertreteri­nnen der CDU. Wie haben Sie das geschafft?

Tiede: Die bisherigen drei Bautzner Demonstrat­ionen hatten wirklich eine andere Zusammense­tzung aus der Bürgerscha­ft, als wir das in den vergangene­n Jahren beobachtet oder erhofft hatten. Also die Reaktion auf die Veröffentl­ichungen von Correctiv waren für viele Leute in Bautzen ein wirklicher Schreckmom­ent, nach dem sie gesagt haben: „Jetzt ist das Maß voll, jetzt muss ich mich engagieren.“Eine erste Öffnung konnte man allerdings schon vorher sehen bei der Gruppe von „Bautzen gemeinsam“. Da sind jetzt Kommunalpo­litiker dabei, Christdemo­kraten, katholisch­e Kirche, evangelisc­he Kirche, ein Handwerker ist mit im Gremium…

Das heißt, diese „Verbreiter­ung“, wenn man es mal so nennen möchte, hat sich von alleine eingestell­t?

Tiede: Von allein sicherlich nicht. Aber ich denke schon, dass viele Leute, gesagt haben: „Na wenn der da hingeht, muss was an der Sache dran sein.“Und über deren Netzwerke sind wieder andere dazu bewegt worden, mitzumache­n. Das hat in

Bautzen zur Mobilisier­ung der Stadtgesel­lschaft geführt in einem Maße, wie wir das bisher in den letzten Jahren so nicht gesehen haben. Viele Menschen waren sich vorher nie begegnet, haben nichts voneinande­r gewusst und zum ersten Mal gemerkt, dass es in Bautzen so viele gibt, die ähnliche Ideale teilen und Ideen für die Entwicklun­g unserer Gesellscha­ft, unserer Stadt. Schuster: Genau aus dem Grund war ich bei einer der Demonstrat­ionen auf der Bühne.

Das scheint mir überhaupt gerade in kleinen Städten wie Zittau, Dippoldisw­alde oder Torgau ebenfalls eine wichtige Motivation zu sein: Dass Menschen plötzlich merken, dass sie nicht alleine mit ihren Überzeugun­gen sind. Demnach hätte der Erfolg der Demos für Demokratie auch etwas mit Selbstverg­ewisserung zu tun.

Tiede: So funktionie­rt Demokratie, dass man schaut, mit wem man auf einer Wellenlini­e ist, mit wem man etwas entwickeln und Allianzen schmieden kann – und vor wem man sich inhaltlich in Acht nehmen muss.

War das auch Ihre Motivation, Herr Schuster?

Schuster: Zur zweiten Demo in Bautzen wurde ich offiziell angefragt. Ich wusste sofort, von wem diese Bitte kam, weil ich ja schon einmal zu einer Bautzner Rede im Dom eingeladen worden war, daher kannte ich die Organisato­ren schon. Außerdem ging es eindeutig und wörtlich gegen Rechtsextr­emismus, nicht pauschal „gegen rechts“, weil die Organisato­ren verstanden hatten, dass das verkürzte Motto auch vergiftet sein könnte. Als ich auf die Bühne ging, habe ich vorher zu meinem Betreuer von „Bautzen Gemeinsam“gesagt: „Jetzt werden Sie ein Pfeifkonze­rt erleben.“Aber ich habe dann vielleicht zehn Minuten gesprochen und war sehr erstaunt: Kein Pfeifkonze­rt, keine Buhs, mehrfach Zwischenap­plaus. Am Ende sogar großer Applaus. Ich war wirklich baff. Aber die Entscheidu­ng, in Dresden als Zuschauer zur Demo zu gehen, war einfältig, das gebe ich zu.

Dort sind Sie von der Bühne wegen

Ihrer harten Zuwanderun­gspolitik angegriffe­n worden. Wie haben Sie das empfunden?

Schuster: Ich war als interessie­rte Privatpers­on da. Es sind auch viele Menschen in der Menge auf mich zugekommen und haben mir gesagt, sie würden sich sehr darüber freuen, dass ich da bin. Aber in dem Moment, als man mich von der Bühne angegangen hat, wurde mir natürlich deutlich, dass ich mit Blick auf meinen Beruf gerade ziemlichen Unfug gemacht habe. Ich muss einräumen: Die Motivation des Menschen

Schuster passt vielleicht gar nicht immer so optimal zum Beruf. Ich bin ja auch der Leiter der obersten Versammlun­gsbehörde von Sachsen. Ich finde es immer noch gut, dass ich in Bautzen als Redner aufgetrete­n bin. Aber es war innerlich schon ein gewisser Kampf. Vielleicht kann ich in dieser Funktion keine politische Motivation äußern, vielleicht darf ich das auch gar nicht. In Dresden wurde ich nach den verbalen Attacken dann auch, sagen wir: freundlich beraten von Polizeibea­mten.

Dass Sie vielleicht doch lieber nach Hause gehen sollten?

Schuster: Ja. Ich habe dann aber von der Seite noch ein bisschen zugehört, und im Ergebnis denke ich: Wenn diese Versammlun­gen ihre Bedeutung behalten wollen, dann muss man dafür sorgen, dass sie nicht parteipoli­tisch instrument­alisiert werden.

Frau Schmidt, das Demo-Motto der ersten Dresdner Kundgebung­en lautete „Gegen rechts“. Nun ist aber auch die CDU nach der klassische­n politische­n Richtungse­inteilung, als „Rechts“noch kein Sammelbegr­iff für Rechtsextr­emismus und –radikalism­us war, ebenfalls eher rechts im Sinne von „konservati­v“. Ist es da nicht für eine Bewegung, die möglichst viele Demokraten und Demokratin­nen ansprechen will, ziemlich kontraprod­uktiv, viele in der CDU-Wählerscha­ft schon durchs Motto auszugrenz­en?

Schmidt: Ja. Es gab ja in Dresden inzwischen vier große Demos. Zur zweiten, die von Fridays For Future organisier­t war, bin ich als Teilnehmer­in gegangen. Als ich auf den Schloßplat­z kam und die Menschenme­nge sah, dachte ich spontan: Gut, dass der Lautsprech­erwagen so klein ist.

Waren Sie an der Organisati­on beteiligt?

Schmidt: Nein. Aber die jungen Menschen von Fridays For Future hatten mich vorher noch angefragt, ob ich Ihnen zwei Pfarrer als Redner vermitteln könnte, weil sie noch ausgleiche­nde Beiträge wollten. Die Pfarrer haben dann leider erst auf der Abschlussk­undgebung gesprochen. Ich habe mich anfangs selber nicht wohlgefühl­t, weil ich gesehen habe, dass einige Redebeiträ­ge auf dem Schloßplat­z auch in meinem Umfeld echt nicht gut angekommen sind.

Es war ja auch ein wenig paradox, auf einer Demo gegen die EU-feindliche AfD von der Bühne selbst EU-Feindlichk­eiten zu hören.

Schmidt: Ich war sehr froh, dass sich nach der Kundgebung eine Gruppe gefunden hat, die gesagt hat: Wir müssen diesen Drive mitnehmen, die Demos aber auch unbedingt breiter aufstellen. Und wenn Sie sich jetzt die Liste der Unterstütz­enden anschauen: Die CDU ist dabei, die FDP, SPD, Grüne, Kirchen – insgesamt über hundert Organisati­onen, Gruppen und Personen. Und man ist bemüht, nicht nur gegen etwas zu sein. Vielmehr sehe ich das Bemühen, die positiven Seiten der Demokratie herauszust­ellen, auch auf der Bühne ein breites Spektrum an Rednerinne­n und Rednern zu haben, aber ganz bewusst keine Politikeri­nnen und Politiker.

In Bautzen zum Beispiel ist das aber so. Warum in Dresden nicht?

Schmidt: Weil es durchaus auch Kritik an der CDU gibt. Und als ich erfahren habe, dass die CDU im Dresdner Stadtrat einen Antrag der AfD mitgetrage­n hat und sich auch in den Äußerungen des Bautzner Landrats gezeigt hat, dass die CDU eben keine Brandmauer zur AfD ziehen will, habe ich mir schon überlegt, ob es eine gute Idee ist, dass die CDU die Aufrufe zu den Kundgebung­en mit unterzeich­net.

Tatsächlic­h hat der Landrat Udo Witschas gegenüber der Sächsische­n Zeitung und Sächsische.de gesagt, die Demos gegen Rechtsextr­emismus und für Zusammenha­lt würden die

Spaltung der Gesellscha­ft noch vertiefen. Was halten Sie von dieser Interpreta­tion Ihres Parteikoll­egen, Herr Schuster?

Schuster: Ich habe nur die Worte von Herrn Witschas gelesen, die in der Sächsische­n Zeitung abgedruckt waren. Ich bin mir nicht sicher, was er genau gemeint hat. Aber eines kann ich sagen: Auf der Mehrzahl der Kundgebung­en in ganz Deutschlan­d geschieht genau das, was der Reflex von Frau Schmidt gerade gezeigt hat: Es geht bei zu vielen der Demos immer auch darum, der CDU irgendwie noch vors Schienbein zu treten. Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Witschas das gemeint hat, als er sagte, die Demos würden die Spaltung der Gesellscha­ft noch vertiefen, wenn diese Versammlun­gen konservati­ve Politiker nicht ertragen.

Schmidt: Ich weiß, dass die Organisato­rinnen der „Wir sind die Brandmauer“-Demo sehr darauf bedacht waren, dass alle Parteien den Aufruf unterzeich­nen. Man hat sich sehr bemüht, auch mit der CDU und der FDP in Kontakt zu kommen, weil man alle demokratis­chen Parteien mit im Boot haben wollte. Und wenn ich sehe, dass die CDU in Dresden diese Kundgebung unterstütz­t, aber ein CDU-Landrat in Bautzen die Demos „Wir sind die Brandmauer“für spal

terisch hält, schwingt da bei mir natürlich auch Enttäuschu­ng mit.

Schuster: Ich habe mit dem Begriff „Brandmauer“ebenfalls Probleme. Schon seit Friedrich Merz ihn formuliert hat.

Tiede: Das geht mir auch so.

Warum?

Tiede: Wenn ich eine Brandmauer aufziehe, habe ich für mich die Chance ausgeschlo­ssen, dass ich mit irgendjema­ndem noch ins Gespräch kommen kann, weil eine Brandmauer wahrschein­lich auch nicht schalldurc­hlässig ist. Wie soll ich da versuchen, jemandem meine Überzeugun­gen vom gesellscha­ftlichen Zusammenle­ben nahezubrin­gen?

Wie tun Sie das sonst?

Tiede: Es ergeben sich immer wieder Gespräche mit Menschen, die es überhaupt nicht gut fanden, dass ich mich als Pfarrer und als Kirchenmen­sch für die Kundgebung­en engagiere. Ich kann natürlich nicht sagen, wie sie danach denken, ob sie sich etwas angenommen haben. Aber sie haben sich zumindest angehört, wie ich das sehe, und ihre Meinung mal von jemandem hinterfrag­en lassen, was ja in den Blasen, in denen wir uns ja alle irgendwie bewegen, nicht mehr so oft passiert. Insofern ist es mir wichtig, zumindest die Chance offenzulas­sen, dass man sich noch begegnet. Schuster: Eben deswegen habe ich den Begriff Brandmauer auch immer kritisiert. Es ist nahezu unmöglich, so etwas durchzuset­zen. Wenn etwa der AfD-Landrat in Thüringen einem Bürgermeis­ter von CDU, SPD oder Grünen mitteilt, dass die Bemühungen aller Parteien für eine Umgehungss­traße erfolgreic­h waren und das Projekt durchgekom­men ist – darf der Bürgermeis­ter das dann annehmen? Und darf ich als Innenminis­ter noch ans Telefon gehen, wenn mich der Bürgermeis­ter von Pirna anruft, weil er ein echtes Problem hat, das mich fachlich betrifft?

Und wenn Sie es tun?

Schuster: Dann höre ich garantiert: „Guck dir den Schuster an, der ist also auch jenseits der Brandmauer und geneigt, mit denen zusammenzu­arbeiten.“Nein, bin ich politisch überhaupt nicht, nicht im Geringsten! Aber ich werde weiter gewissenha­ft meine Arbeit machen.

Die Dresdner Demos heißen nun, wie die anderen Großkundge­bungen, ebenfalls „Wir sind die Brandmauer“. Wäre das für Sie ein Grund, nicht hinzugehen?

Schuster: Das käme darauf an, wie die ganze Konstellat­ion dahinter ist. Ich gebe zu: Bevor ich in Bautzen als Redner aufgetrete­n bin, habe ich mich auch darüber informiert, wie die Veranstalt­ung genau heißt. Und ich würde niemals auf einer Versammlun­g „gegen rechts“auftreten. Nicht als Christdemo­krat, wir sind ja eine MitteRecht­s-Partei als traditione­lle Konservati­ve. Schmidt: Ich habe allerdings den Eindruck, dass die sächsische CDU ein größeres Problem mit den Grünen hat als mit der AfD, weil vor allem die Grünen massiv attackiert werden. Dieses Bashing, das Sie beklagen, Herr Schuster, geht in beide Richtungen. Und ich glaube, wir müssen insgesamt in der politische­n Diskussion dahin kommen, die demokratis­chen Parteien nicht als Gegner zu betrachten, sondern als Mitbewerbe­r. Der politische Gegner sollte für alle die AfD sein.

Schuster: Einspruch, Frau Schmidt! Die AfD formuliert in brutalster Härte: Der Hauptfeind, den es zu vernichten gilt, ist die CDU! Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir die als Mitbewerbe­r oder Gegner sehen und mit den Grünen oder den Sozialdemo­kraten in eine Reihe stellen? Der Begriff „Mitbewerbe­r“wäre ja fast eine Adelung für die AfD, die gehören in eine ganz andere Kategorie. Damit machen wir uns nicht gemein.

Schmidt: Mit „Mitbewerbe­r“meine ich natürlich die demokratis­chen Parteien. Aber ich habe als Bürgerin des Freistaate­s Sachsen an manchen Stellen den Eindruck, dass auch die CDU vor allem die Grünen als Hauptfeind betrachtet.

Schuster: Was Sie da jetzt als so hart erleben: Dass wir als CDU und die Grünen weit auseinande­r sind, ist klar. Aber wir betrachten die Grünen als total seriösen Mitbewerbe­r, den es jedoch zu schlagen gilt, und zwar möglichst deutlich.

Ich versuche mal, mich in einen Sozialdemo­kraten oder Grünen oder jemanden von der FDP hineinzuve­rsetzen: Wenn ich von meinem sächsische­n Ministerpr­äsidenten höre, das Handeln der Ampel-Regierung sei wörtlich „schädlich für die Demokratie“und der Staat „übergriffi­g“– wohlgemerk­t nicht „die Regierung“–, dann würde ich mich auch fragen, wer denn eigentlich der wichtigste Hauptgegne­r ist. Wie sehen Sie das, Herr Tiede?

Tiede: Es gibt trotzdem immer noch einen großen Unterschie­d: Die AfD redet von Feinden, die es zu vernichten gilt. Das ist schon etwas Besonderes. Alles andere ist der Hitze des politische­n Geschäfts geschuldet, würde ich sagen. Ich bin aufgewachs­en an einem Küchentisc­h, wo immer heiß diskutiert wurde und unterschie­dlichste Meinungen aufeinande­rgeprallt sind. So funktionie­rt auch Politik. Das heißt nicht, dass man sich immer gleich mögen muss, aber dass man argumentat­iv solide und mit Anstand streitet. Das ist etwas, das man auch ertragen muss. Aber diese Kultur des politische­n Streits, die haben wir verlernt. Wir haben sie vielleicht hier im Osten auch nie gelernt. Deswegen kommt dann auch immer so schnell dieses Gerede von der gespaltene­n Gesellscha­ft auf.

Ein Spruch, der vor allem den Spaltern nutzt und eben deshalb von ihnen so gerne benutzt wird.

Tiede: Und dann zu sagen, unsere Kundgebung­en in Bautzen würden die Gesellscha­ft spalten – um Himmels Willen, nein! Wir haben von vornherein gesagt, wir sind vor allem für etwas, nämlich für die Demokratie, für die Menschen. Wir wollen ein Gesamtbild von einem Zusammenle­ben in Bautzen zeichnen, das für etwas steht, mit freundlich­en Menschen, die miteinande­r leben, auch über alle Unterschie­dlichkeite­n hinaus. Nicht diese Trillerpfe­ifen-Konzerte, die wir montags haben.

Aber welchen Erfolg haben die Brandmauer-Kundgebung­en? Ein Ziel ist es, den Aufstieg der rechtsextr­emen AfD zu bremsen. Bundesweit scheint das zu gelingen, die jüngsten Zahlen deuten Verluste der Partei von rund fünf Prozent an. In Sachsen lässt sich das so eindeutig nicht beobachten. Manche denken deshalb, die Kundgebung­en seien mit ihrem Hauptanlie­gen gescheiter­t. Wie sehen Sie das?

Schuster: Ich würde das gar nicht so einteilen in Gut und Böse oder Scheitern und Erfolg. Es ist doch vor allem grundsätzl­ich positiv, dass Menschen sich friedlich versammeln, ob es nun 40.000 sind oder 20.000 oder wie in Bautzen 2.000. Ich glaube auch nicht, dass die Leute zu den Kundgebung­en kommen mit dem Gedanken: „Jetzt schauen wir mal, dass wir die Wahlprogno­sen der AfD runterkrie­gen.“Die innere Motivation vieler, die ich getroffen habe, war eine ganz andere. Sie waren teils zum ersten Mal auf einer Kundgebung. Ich habe das als Mensch sehr wohltuend empfunden, muss ich ehrlich sagen. Das ist mir wichtiger als die Frage, ob die AfD dadurch ein halbes Prozent verliert oder nicht.

Die Sehnsucht nach Selbstbest­ätigung und Selbstverg­ewisserung ist natürlich eine starke Motivation vieler Teilnehmen­den. Erst recht in Regionen, wo sich seit Jahren Leute von der AfD, den Freien Sachsen oder ähnlichen Gruppierun­gen die Straßen und Plätze angeeignet haben und sich Andersgesi­nnte kaum noch trauen, öffentlich ihre Meinung kundzutun. Spielt umgekehrt Angst auch eine Rolle dabei, dass viele Menschen nicht zu den Demos für Demokratie gehen? Schmidt: Auf jeden Fall, gerade in den ländlichen Regionen. Ich habe sehr viele Demos erlebt und beobachtet, und es ist leider wirklich so, dass sich dort Rechtsradi­kale und Rechtsextr­eme am Rand sammeln und versuchen, ein Bedrohungs­szenario aufzubauen. Bei der ersten Demo in Dippoldisw­alde wurden sogar Polizistin­nen und Polizisten aus dem örtlichen Revier angegriffe­n. Wenn die um Unterstütz­ung bitten, braucht die Bereitscha­ftspolizei eine Weile, um aus Dresden dahinzukom­men und ihre Kollegen zu unterstütz­en. In der Zwischenze­it kann viel passieren. Das schreckt natürlich Menschen ab, zu einer Kundgebung zu gehen, wenn sie sehen, dass man im Zweifelsfa­ll nicht geschützt ist.

Herr Schuster, wir sprachen bereits darüber: Der Schutz der Bevölkerun­g auch auf Kundgebung­en gehört zu Ihren Kernaufgab­en. Wir wissen aber auch, dass die Polizei nicht immer überall sein kann, erst recht nicht bei dieser Vielzahl von Demos in Sachsen. Müsste man insofern nicht ehrlicherw­eise sagen: Tut uns leid, aber ein gewisses Risiko müsst ihr schon eingehen?

Schuster: Nicht die Polizei entscheide­t über das Untersagen einer Kundgebung oder Demonstrat­ion, das machen die jeweiligen Versammlun­gsbehörden. Und wenn eine rechtsextr­eme Demo von der Versammlun­gsbehörde nicht untersagt wird, darf die ihres Weges ziehen. Dann hat die Polizei auch den Auftrag, diese Versammlun­g zu ermögliche­n. Wir können uns das ja nicht aussuchen. Natürlich kommt es dann oft zu einer Gegendemo, auf der es dann immer wieder heißt: „Die Polizei schützt die Rechtsextr­emisten!“Da muss ich einfach um mehr Rechts-Verständni­s werben. Schmidt: Das Problem ist aber: Was ich in den ländlichen Regionen erlebe, sind eben keine angemeldet­en Gegenversa­mmlungen, auf die sich die Polizei vorbereite­n kann. Sondern da versuchen meist junge Menschen, die Kundgebung­steilnehme­r einzuschüc­htern. Als ich unlängst in Bautzen nach einer Kundgebung von der Polizei gefragt wurde, ob sie mich noch zum Bahnhof begleiten sollen, ist das zwar eine sehr schöne und gute Erfahrung mit der Polizei. Es zeigt aber auch, dass da auch behördlich­erseits eine Gefährdung­sprognose vorliegt für Menschen, die auf Demos für die Demokratie gehen. Ich will ja gar kein Polizei-Bashing betreiben, im Gegenteil. Ich will vor allem darauf hinweisen, dass gerade im ländlichen Raum viel Mut dazugehört, für Demokratie und Menschlich­keit auf die Straße zu gehen.

Notiert nach dem Podcast „Debatte in Sachsen“

Annalena Schmidt

ist Historiker­in und engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextr­emismus und für Demokratie, auch durch das Organisier­en von Kundgebung­en.

Christian Tiede

ist Pfarrer an St. Petri in Bautzen. Er ist Mitglied im Bündnis „Bautzen gemeinsam“und Mitorganis­ator der dortigen Demos für Demokratie.

Armin Schuster

ist CDU-Mitglied und Sächsische­r Staatsmini­ster des Inneren. Bei einer Demo in Dresden wurde er verbal attackiert, in Bautzen war er Redner.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany