Nur der Aufstieg verhinderte die Insolvenz
„Ohne uns würde es Dynamo nicht mehr geben“, sagt Steffen Heidrich, der mit Dresden 2002 und 2004 das schaffte, was auch in dieser Saison das große Ziel ist.
Heute kann Steffen Heidrich über diese Geschichte lachen. Es ist der 9. Juni 2002. Für Dynamo steht eines der wichtigsten Spiele in der Vereinsgeschichte bevor. Die Dresdner um Kapitän Heidrich müssen in der Relegation zur Regionalliga gegen die zweite Mannschaft von Hertha BSC antreten. Doch der Mannschaftsbus darf nicht weiterfahren. Die Schranke in der Sportschule Kienbaum vor den Toren Berlins bleibt zu.
„Der Verein hatte bei einer vorherigen Übernachtung die Rechnung nicht bezahlt“, erinnert sich Heidrich. „Die Situation war sehr bedrohlich. Wir mussten zum Spiel, durften die Ausfahrt jedoch nicht passieren.“Zum Glück sitzen neben den Profis auch zahlreiche Unterstützer im Bus. „Ein Sponsor hat dann einen Scheck auf den Tisch gelegt und alles bezahlt. Das ist Wahnsinn“, meint Heidrich, der sich erst ein Jahr zuvor auf das Abenteuer Dynamo eingelassen hatte.
Im stolzen Fußballeralter von 34 Jahren wechselt Heidrich von der Bundesliga in die viertklassige Oberliga. Ausgerechnet von Eduard Geyer, einem Dresdner, wird er bei Energie Cottbus aussortiert. „Ich bin als Kapitän in die Bundesliga aufgestiegen, habe dann aber nicht mehr so häufig gespielt“, erzählt Heidrich und hat damals schon Pläne für die Zeit nach der Karriere.
„Ich hatte einen Anschlussvertrag über drei Jahre für den Marketingbereich.“
Doch so schnell soll die Zeit als Spieler nicht enden. Er folgt dem Ruf seines Jugendtrainers Christoph Franke, der zur Saison 2001/02 bei Dynamo vorgestellt wurde. „Er fragte mich, ob ich Lust hätte, gemeinsam etwas aufzubauen“, berichtet Heidrich. Das Problem: Der einst so erfolgreiche Klub aus DDR-Zeiten steckte in der viertklassigen Amateur-Oberliga fest. Es ist sportlich wie finanziell die wahrscheinlich schwierigste Phase in der Vereinsgeschichte von Dynamo.
Mehrmals stehen die Dresdner vor dem Bankrott und bleiben nur dank der Unterstützung der Fans und Sponsoren zahlungsfähig. Der Aufstieg ist deshalb Pflicht. „Der Insolvenzantrag lag vor dem Relegationsspielen schon in der Schublade“, sagt Heidrich und betont: „Die Mannschaft von 2002 ist hauptverantwortlich dafür, dass es Dynamo Dresden überhaupt noch gibt.“
Denn die Rettung gelingt. Im Hinspiel hält Torwart Ignjac Kresic einen Elfmeter, Heidrich erzielt mit links aus der Drehung den Siegtreffer zum 1:0. „Das Tor gehört zu meinen wichtigsten“, sagt der Torschütze, der in seiner Karriere über 100 Treffer in der ersten und zweiten Liga erzielte.
Das Rückspiel wird eine Abwehrschlacht ohne Tore. Damit steht der Aufstieg fest. „Wir waren eine eingeschworene Truppe, hatten eine gute Mischung aus alten und jungen Spielern“, beschreibt er die Elf. „Wir waren keine Übermannschaft. Doch Christoph Franke hat es verstanden, ein Team zu formen, was auch menschlich zusammengepasst hat.“
Diese Erfolgsformel gilt auch zwei Jahre später. Im zweiten Regionalliga-Jahr ist der Aufstieg in die 2. Bundesliga möglich. „Wir zählten sicherlich zum erweiterten Kreis, aber Favoriten waren andere“, sagt Heidrich. „Wir haben dann einen super Schlussspurt hingelegt.“Die Vorentscheidung fällt am vorletzten Spieltag: Heimspiel gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten Neumünster. „Das Stadion war rappelvoll. Das ging nur, weil Neumünster keine Fans mitgebracht hat und es keine Sicherheitszonen gab“, erklärt er.
35.000 bis 40.000 Zuschauer sehen nervöse Dresdner, lange Zeit steht es 0:0. „Wir hatten etwas Pech, ich hatte noch einen Lattenkopfball“, erinnert sich Heidrich. „Aber wir haben die Ruhe bewahrt und sind dann durch Ranisav Jovanovic in der 76. Minute in Führung gegangen. Das war das entscheidende Tor.“
Die Fans stürmen auf den Rasen, überschütten die Spieler mit Bier. Doch es gibt noch ein Restrisiko. Die Konstellation: drei Punkte Vorsprung auf den ersten NichtAufstiegsplatz und die um 13 Treffer bessere Tordifferenz. Trainer Franke will deshalb noch nicht feiern. Seine Ansage: „Ich will es erst zu 100 Prozent sicher haben.“
Eine Woche später ist es trotz Niederlage in Uerdingen soweit. In der Kabine fließen Bier und Sekt. Die Spielerfrauen hatten Farbe besorgt: Schwarz und Gelb für die Haare. „Volker Opitz wurde noch der Zopf abgeschnitten“, sagt Heidrich und berichtet von einer besonderen Story: „Vor dem Rückflug standen im Flughafen plötzlich 100 Caipirinha. Die hatte ein Sponsor organisiert. Wir sind dann freudetrunken nach Dresden geflogen und haben aus dem Flieger heraus die Dynamo-Fahne gehalten. Das war einmalig – ein geiles Gefühl.“
Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm auch die anschließende Aufstiegsfeier auf dem Dresdner Altmarkt. „Uns haben 40.000 Menschen empfangen“, sagt er und beschreibt: „Es schauten Leute vom Turm der Kreuzkirche, viele saßen auf den Dächern der umliegenden Gebäude. Das war etwas ganz Besonderes, das beste Erlebnis als Fußballer.“Für diesen Erfolg wird die Mannschaft von 2004 am Samstag vor dem Heimspiel gegen Viktoria Köln im Rahmen des Traditionsspieltages geehrt.
Nach dem Karriereende wird Heidrich Teammanager in Dresden, anschließend Sportdirektor in Cottbus und Aue. Dreimal schafft er mit Cottbus den Klassenerhalt in der Bundesliga. Danach gibt es immer wieder Anfragen, er müsse mit seiner Erfahrung weiter im Fußball arbeiten. „Ich hatte gute Angebote aus der zweiten und dritten Liga“, verrät der 56-Jährige. „Aber ich hatte dazu keine Ambitionen.“
Heute ist Heidrich Geschäftsführer zweier Immobilien-Firmen. „Das habe ich mir selber aufgebaut.“Darüber hinaus gibt er über seinen guten Draht zu Frank Lieberam, ebenfalls Ex-Dynamo und jetzt Spielerberater, ein paar Talenten Tipps – unter anderem dem Dresdner Jonas Oehmichen und dem Halberstädter Corvin Kosak. „Ich bin sehr glücklich, das passt sehr gut.“Mit Frau Arlette und Tochter Zenia Raphaela (19 Jahre) wohnt er in Langebrück – und ist oft bei Dynamos Heimspielen.
Die Bilanz in der Rückrunde schockiert ihn. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass die Mannschaft den Vorsprung noch einmal verspielt“, gibt er zu und mutmaßt: „Vielleicht war sich die Mannschaft zu selbstsicher.“Was aber vor allem fehlt, sei der Zug zum Tor. Heidrich weiß, wovon er spricht. Der offensive Mittelfeldspieler hat mit Chemnitz, als es noch Karl-MarxStadt hieß, im Europapokal unter anderem gegen Juventus Turin gespielt.