„Was ist denn mit der los?“
Denise Herrmann-Wick spricht offen über Periodenschmerzen zum Saisonhöhepunkt. Der Zyklus wird Thema im Spitzensport. Wie nötig das ist, zeigt eine Studie.
Es ist die zweite Woche der BiathlonWM in Oberhof 2023. Denise Herrmann-Wick hat Rückenschmerzen und kann sich kaum bücken. „Alle haben gedacht: Ooh, was ist denn mit der los, die läuft aber schlecht“, sagt die frühere Biathletin. Wenige Tage vorher gewann sie Gold im Sprintrennen. Dass sie neben den leichten muskulären Problemen auch mit ihrer einsetzenden Monatsblutung zu kämpfen hat, erwähnt sie damals nicht. „Das ist kein Thema, was man zuerst im Interview anspricht“, erzählt HerrmannWick jetzt rückblickend im Podcast „Blut, Schweiß und Training“.
Andere Kolleginnen sind diesen Schritt schon gegangen, der Blick auf die weibliche Gesundheit schärft sich. Die Leipziger Sportwissenschaftlerinnen Elisabeth Kirschbaum und Katharina Fischer widmen sich im Rahmen einer Studie am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) der Frau im Leistungssport. Mehr als 600 Athletinnen aus 47 Sportarten haben sich beteiligt. Die Podcast-Reihe entstand ebenfalls in Zusammenarbeit mit den Forscherinnen. „Es ist wichtig, über alles zu sprechen“, betont Herrmann-Wick, die vergangene Woche erstmals Mutter wurde und Tochter Jonna zur Welt brachte.
Die Probleme, die in den Podcast-Folgen thematisiert werden, kennt Maren Goeckenjan-Festag auch aus ihrer Praxis. Dort berichten Sportlerinnen von so starken Regelschmerzen, dass sie drei Tage im Monat nicht trainieren können. Andere haben gar keine Regelblutung. Diese setzt normalerweise bei jungen Frauen ab der Pubertät ein. „Athletinnen haben relativ häufig Zyklusstörungen, wenn sie regelmäßig Sport treiben“, sagt die Frauenärztin, die seit 2013 leitende Oberärztin für den Bereich der Gynäkologischen Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Uniklinikum in Dresden ist. Jede zehnte, so ein Ergebnis der Leipziger Studie, hat beispielsweise eine verspätete erste Regelblutung. „Das sind schon relativ viele“, sagt Kirschbaum.
Dabei sind unregelmäßige Zyklen nicht automatisch ungesund. Viele Sportlerinnen berichten, dass sie erst einmal keine Beeinträchtigungen wahrnehmen. Intensives Training und eine nicht zureichende Energiezufuhr können dazu führen, dass sich der Zyklus vorübergehend verändert, später aber wieder einpendelt. Gefährlich wird es, wenn Frauen noch nie geblutet haben oder über eine lange Dauer ein Mangel an Nährstoffen und Energie besteht. „Das kann langfristige Folgen, unter anderem
Athletinnen haben relativ häufig Zyklusstörungen, wenn sie regelmäßig Sport treiben.
Maren Goeckenjan-Festag, Frauenärztin
für die Knochengesundheit haben“, sagt Goeckenjan-Festag.
Häufig ist das in Sportarten wie Rhythmischer Sportgymnastik oder Turnen der Fall. „Da nehmen Athletinnen bereits in sehr jungem Alter an den Olympischen Spielen teil und haben teilweise mit 15 Jahren Trainingsumfänge von 30 Wochenstunden. Das macht natürlich auch was mit dem Körper und der Pubertät“, verdeutlicht Kirschbaum.
Beim relativen Energiedefizit-Syndrom im Sport müssen Ärztinnen und Sportlerinnen, aber auch Betreuende reagieren. Niedriges Körpergewicht und ein über viele Monate ausbleibender Zyklus können Anzeichen sein. Die Sportlerinnen haben ein großes Risiko, langfristig Folgeschäden zu erleiden. Eine Pauschallösung für solche Fälle hat die Gynäkologin nicht, mithilfe von verschiedenen Untersuchungen und Spezialisten wird abgeklärt, wie die Situation verbessert werden kann. Ansätze ergeben sich durch Analyse des Trainingspensums und Lebensstils der Athletin und auch durch psychosoziale Begleitung.
„Der Zyklus ist ein guter Marker dafür, wie der Körper geregelt ist“, sagt die Ärztin. Das könne man aber nicht erkennen, wenn eine Pille die Schwankungen des hormonellen Zyklus der Frau ausgleicht. In Deutschland nutzen heute weniger Frauen Hormone als noch vor einigen Jahren. Knapp 30 Prozent der befragten Sportlerinnen verhüten hormonell. „Das sind im internationalen Vergleich weniger“, sagt Kirschbaum. Sie beobachtet, dass die Frauen mittlerweile viel stärker abwägen.
Die, die die Pille nehmen, machen das meist, um nicht schwanger zu werden. Aber auch bei Regelschmerzen, starken Blutungen, Akne oder zur Optimierung von Hygiene und Regulierung des Zyklus vor Wettkämpfen kann die hormonelle Verhütung eingesetzt werden. „Lange Zeit schien es, als sei die Pille die Standardlösung für die Athletinnen, vor allem in Sportarten wie Schwimmen“, sagt Goeckenjan-Festag. „Heute ist die Entscheidung sehr individuell“, so die Gynäkologin.
Sie freut sich über die Studie der Leipzigerinnen. „Die Ergebnisse können wir gut in der Beratung nutzen.“Voraussetzung dafür ist, dass die Sportlerinnen auch regelmäßig gynäkologisch untersucht werden, zusätzlich zur sportmedizinischen Untersuchung. „Ein Viertel der Befragten ist aber noch nie zu einer Gynäkologin gegangen“, sagt Kirschbaum. Von den anderen gehen nur 60 Prozent regelmäßig zur jährlichen Früherkennungsuntersuchung. „Da ist noch Luft nach oben“, sagt die Forscherin. Ihre Kollegin weist auf das Netzwerk Sportgynäkologie hin, dass Anlaufstellen für Sportlerinnen in einer interaktiven Landkarte in der Nähe aufzeigt.
Denn noch immer wird Zyklusgesundheit gern verdrängt oder wegen fehlendem Wissen unterschätzt. „Etwa die Hälfte der Befragten konnten Fragen zum Zyklus richtig beantworten, schwierig wurde es vor allem, wenn es um Fachbegriffe und Hormone ging“, gibt Fischer einen Einblick in die Studie, in der Wissen über den Zyklus bei Sportlerinnen abgefragt wurde.
Auch die Kommunikation mit dem Trainerteam war Thema. Nur 22 Prozent der Sportlerinnen sprechen über den Zyklus, sagt Kirschbaum. Etwa jede fünfte Sportlerin berichtete, dass es ihr unangenehm ist, über das Thema zu reden. Je häufiger die Beschwerden im Zusammenhang mit dem Zyklus sind und je älter die Athletinnen sind, desto mehr kommunizieren sie.
Fischer und Kirschbaum wollen gern weiterforschen. Eine zweite Staffel des Podcasts „Blut, Schweiß und Training“ist in Planung. Auch mit Athletinnen wie Denise Herrmann-Wick, die sich freut, dass durch das Projekt etwas angeschoben wurde.