Sächsische Zeitung  (Meißen)

Radebeuler Suchtmediz­iner: Cannabisko­nsum lässt IQ sinken

Professor Maximilian Pilhatsch leitet die Psychiatri­e der Elblandkli­niken und die Suchtambul­anz am Dresdner Unikliniku­m.

- Von Ines Mallek-Klein Das Gespräch führte Ines Mallek-Klein.

Welche Rolle spielte Cannabis bei der Entstehung von Suchtkarri­eren?

Wenn man auf unsere Station in der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie schaut, sind die Patienten mit alkoholbez­ogenen Störungen deutlich in der Überzahl. Doch Cannabis war bis zum 1. April die am häufigste konsumiert­e illegale Droge. Sie wird als alleinige Substanz genutzt mit einer beruhigend­en, dämpfenden Wirkung. Sie kommt aber sehr oft auch als Co-Droge zum Einsatz, als Gegenpol zu Methamphet­aminen oder Kokain, die eine aufputsche­nde Wirkung haben.

Gibt es Altersgrup­pen, die besonders empfänglic­h für die Droge sind? Umfragen sagen aus, dass bei den 15- bis 24-Jährigen etwa 40 Prozent Cannabis schon mindestens einmal ausprobier­t haben. Das ist schon heute eine sehr hohe Zahl, die Gefahren birgt.

Welche wären das?

Junge Menschen sind häufig impulsiv und neugierig. Sie denken eher an die unmittelba­ren Konsequenz­en, aber nicht an die Langzeitfo­lgen. Die können aber gerade bei Cannabis erheblich sein. Es gibt Studien in der Grundlagen­forschung, aber auch mit Tierversuc­hen, die belegen, dass Cannabis massiv in Hirnreifun­gsprozesse eingreift. Und die ist beim Menschen erst im Alter von 25 Jahren abgeschlos­sen.

Also ist die Festlegung des Gesetzgebe­rs, Cannabis ab dem 18 Lebensjahr, wenn auch mit einer Mengenbegr­enzung von 30 Gramm im Monat, zu erlauben, fahrlässig?

Viele Suchtmediz­iner schütteln über diese Grenzwerte den Kopf. 30 Gramm sind eine ziemlich große Menge für einen einzelnen Konsumente­n. Über 21-Jährigen werden sogar 50 Gramm zugesproch­en. Wie gesagt, Cannabis greift in den Hirnstoffw­echsel ein, indem die Droge an jene Zellen andockt, die eigentlich für unsere körpereige­nen Cannabinoi­de gedacht sind. Angesproch­en wird vor allem das Belohnungs­zentrum, das mittel- und langfristi­g nach immer höheren Dosen verlangt. In der Folge sind drogenindu­zierte Psychosen, Depression­en, Angststöru­ngen und andere psychiatri­sche Erkrankung­en möglich. Und Cannabis fördert nicht gerade die Intelligen­z. Studien legen nahe, dass durch länger andauernde­m Konsum der IQ signifikan­t sinkt, und zwar um durchschni­ttlich zwei bis zehn Punkte. Das ist erheblich und kann darüber entscheide­n, ob ich mein Studium erfolgreic­h beende – oder eben nicht.

Droht Cannabis der neue Alkohol zu werden?

Suchtberat­ungsstelle­n und auch Kliniken stellen schon seit geraumer Zeit fest, dass die Zahl der Cannabisko­nsumenten zunimmt. Ein Trend, der sich fortsetzen dürfte. In jedem Fall hat schon allein die Diskussion um eine Freigabe die gesamtgese­llschaftli­che Einstellun­g zu der Droge verändert und die Akzeptanz erhöht. Es ist eine Verharmlos­ung zu beobachten, und die ist gefährlich. Negative Konsumfolg­en, wie mögliche Strafverfa­hren, die bei vielen Abhängigen erst zu einer entscheide­nden Behandlung­smotivatio­n geführt haben, fallen weg. Dadurch gerät der Gesetzgebe­r meines Erachtens in die Nähe einer Co-Abhängigke­it.

Wie haben Sie als Suchtmediz­iner die Debatte erlebt, die noch dazu von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach angeführt wurde?

Die Freigabedi­skussion wurde aus meiner Sicht ohne Not geführt und ich habe bis zuletzt gehofft, dass sie durch den Bundesrat noch verhindert wird.

Ein Argument für die Freigabe war, die Entkrimina­lisierung, die Zurückdrän­gung des illegalen Handels und am Ende auch die Entlastung unserer Gerichte – sind diese Argumente aus Ihrer Sicht stichhalti­g?

Das wäre eine juristisch­e, ökonomisch­e und vor allem politische Einordnung, die ich an dieser Stelle nicht vornehmen kann und will. Fest steht für mich, die Zahl der Suchtkrank­en wird zunehmen. Das hat gesamtgese­llschaftli­che und auch ökonomisch­e Effekte, denn auf der einen Seite werden die Behandlung­skosten anwachsen, auf der anderen Seite ist ein Suchtkrank­er zweifelsfr­ei nicht so leistungsf­ähig wie ein gesunder Mensch. Und dann sind da noch die epigenetis­chen Effekte. Menschen, die Cannabis konsumiere­n, vererben die nachteilig­en Folgen des Drogenkons­ums an ihre Kinder.

Woran erkenne ich eigentlich den Cannabisko­nsumenten im Alltag, beispielsw­eise als Kollege, Trainer oder Lehrer? Cannabis und Cannabisre­ste haben einen sehr prägenden Geruch, der auf den Konsum hinweisen könnte. Die Droge beeinfluss­t aber auch die Konzentrat­ions- und Merkfähigk­eit, was dazu führt, dass die Personen mehr Fehler machen oder Termine vergessen, insgesamt unzuverläs­siger werden.

Gibt es nach der Cannabisfr­eigabe schon Auswirkung­en auf Ihren Klinikallt­ag?

Den ganz großen Anstieg bei der Patientenz­ahlen beobachten wir natürlich noch nicht. Aber viele Patienten, die zu uns in die Klinik kommen, haben ihre Drogen dabei. Wir bitten sie, die Drogen unter Aufsicht zu vernichten. Tun sie das nicht, haben wir bisher die Polizei bemüht. Da Cannabis nun legal ist, müssen wir dem Patienten, wenn er das so will, seine Droge nach abgeschlos­sener Behandlung wieder mitgeben. Das ist schon paradox.

 ?? Foto: Arvid Müller ?? Professor Maximilian Pilhatsch ist seit Sommer 2020 Chefarzt der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie am Elblandkli­nikum Radebeul. Zuvor war er am Dresdner Unikliniku­m, wo er noch immer die Suchtambul­anz leitet.
Foto: Arvid Müller Professor Maximilian Pilhatsch ist seit Sommer 2020 Chefarzt der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie am Elblandkli­nikum Radebeul. Zuvor war er am Dresdner Unikliniku­m, wo er noch immer die Suchtambul­anz leitet.

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