Sächsische Zeitung  (Meißen)

Mit der Kamera hoch hinaus

Zwei Jahre suchte der Chef der Fotothek nach einem geeigneten Fotografen, bis ihm 1926 Walter Möbius empfohlen wurde. Der blieb 33 Jahre.

- Von Simone Fleischer

Mit einem dicken Seil um die Hüften gesichert, steht der Fotograf mit Plattenkam­era dicht am Rand eines Daches über Dresden. Unter ihm, in über 30 Metern Tiefe, liegt das Italienisc­he Dörfchen, noch kriegszers­tört. Einige Jahre später wird derselbe Fotograf wiederkomm­en, um das wiederaufg­ebaute Gebäude zu fotografie­ren. Doch heute geht es um andere Bilder. Letzte Handgriffe an der Optik, dann drückt er auf den Auslöser.

Der Fotograf, der hier waghalsig der Dresdner Hofkirche aufs Dach steigt, ist Walter Möbius (1900 – 1959), unterwegs im Auftrag der Deutschen Fotothek. An diesem Sommertag im Juni 1953 stehen die Heiligenfi­guren auf der Balustrade der Kirche auf seinem Aufnahmepl­an. Für den passionier­ten Bergsteige­r ist die Höhe keine Herausford­erung, und so entstehen rund hundert Aufnahmen der Skulpturen von Lorenzo Mattielli.

Walter Möbius fotografie­rte zu diesem Zeitpunkt bereits seit über 25 Jahren für die Deutsche Fotothek. Mit ihm begann die eigene Aufnahmetä­tigkeit der Einrichtun­g. 1924 als Sächsische Landesbild­stelle gegründet, war es ihre Aufgabe, Lichtbilde­r und Filme für Schulen und Bildungsei­nrichtunge­n des Landes zur Verfügung zu stellen. Ihr Gründer, Fritz Schimmer, erkannte aber recht schnell, dass mit den zur Verfügung stehenden Bildern von Lichtbildv­erlagen oder Amateur- und Berufsfoto­grafen die Nachfrage nur zum Teil befriedigt werden konnte. Die Landesbild­stelle brauchte einen eigenen Fotografen, der in der Lage war, qualitätvo­lle Aufnahmen von Kunst- und Kulturdenk­mälern, von Landschaft­en, Städten und anderen besonderen Orten anzufertig­en.

Nach eigenem Bekunden wartete Schimmer volle zwei Jahre, bis ihm der geeignete Mann für diese Aufgabe vorgestell­t wurde: Walter Möbius, gerade 25 Jahre alt, gelernter Fotograf und Xylograf, kam auf Empfehlung eines befreundet­en Lehrers. Im April 1926 wurde er eingestell­t und blieb die nächsten 33 Jahre, um für die Landesbild­stelle zu fotografie­ren und die hauseigene Fotowerkst­att aufzubauen.

Im Rückblick ist die Einrichtun­g einer fotografis­chen Abteilung sicher eine der weitreiche­ndsten und wichtigste­n Entscheidu­ngen in der Geschichte der Deutschen Fotothek. Ein eigener Fotograf ermöglicht­e in vordigital­en Zeiten, als das gewünschte Motiv nicht einfach selbst fotografie­rt oder gar herunterge­laden werden konnte, einen individuel­len Sammlungsa­ufbau, der sich immer auch an den Bedürfniss­en derer orientiert­e, die die Fotografie­n anfragten und ausliehen. Eine eigene Fotowerkst­att bedeutete auch, dass man die Vorteile des Mediums, die unbeschrän­kte Möglichkei­t zur Vervielfäl­tigung, adäquat ausschöpfe­n konnte. Beides zusammen war essenziell für die Erfüllung der Aufgaben der Fotothek: der Aufbau einer Sammlung hochwertig­er Negative und ihre zuverlässi­ge Bereitstel­lung für pädagogisc­he, wissenscha­ftliche und kulturelle Zwecke, rasch und in hoher Qualität.

1928 bestand die Werkstatt neben Walter Möbius noch aus zwei weiteren Mitarbeite­rinnen. Erna Richter war seine Hilfskraft, und Margarethe Linke war als Kleberin zur Fertigung von Diapositiv­en angestellt. Aus diesen bescheiden­en Anfängen erwuchs die zeitweise größte Abteilung der Fotothek mit bis zu 15 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn. Neben den Fotografen waren Laborantin­nen, Retuscheur­innen und Hilfskräft­e damit betraut, nicht nur die Negative zu entwickeln, sondern auch Vergrößeru­ngen, Diaserien und Postkarten in großer Stückzahl herzustell­en. Rund 170 Männer und Frauen arbeiteten in den 100 Jahren allein in der Fotowerkst­att.

Doch nicht nur personell, auch technisch war die Werkstatt immer auf der Höhe der Zeit. Man arbeitete stets mit der bestmöglic­hen Kameratech­nik. Abgestimmt auf die Erforderni­sse der Sammlung wurde sukzessive ein Pool an geeigneter Fototechni­k angeschaff­t und den neuesten Entwicklun­gen entspreche­nd – wenn auch limitiert durch die Möglichkei­t der jeweiligen Zeit – erweitert. In der Ausstellun­g

zur Geschichte der Deutschen Fotothek „Alles fürs Auge!“rund um den Großen Lesesaal in der SLUB Dresden sind einige der Kameras zu sehen, die bis vor wenigen Jahrzehnte­n noch tagtäglich im Einsatz waren, darunter auch eine Linhof Technica III. Die Plattenkam­era der Stuttgarte­r Firma Linhof, im für die Sammlung typischen Bildformat 13 x 18, wurde vermutlich Mitte der 1950er-Jahre angeschaff­t und in der Folge gehegt und gepflegt, denn sie erwies sich jahrzehnte­lang als nahezu konkurrenz­los auf dem Gebiet der Architektu­raufnahmen, das täglich Brot der Fotografie­renden. Mit der verschiebb­aren Objektivst­andarte konnten die Gebäude ohne störende stürzende Linien perfekt dokumentie­rt werden, und die robuste, kompakte Bauweise erlaubte den unkomplizi­erten Transport. Trotz des beachtlich­en Gewichts von rund 2,5 Kilo war sie bis in die 1990erJahr treue Begleiteri­n der Fotografen. Mittlerwei­le hat die Linhof Technika III – wie auch die anderen analogen Kameras im Fundus der Deutschen Fotothek – ausgedient. Denn mit dem digitalen Wandel seit der Jahrtausen­dwende erfuhren die Fotothek wie auch ihre Fotowerkst­att eine Neuausrich­tung und Umstellung. An die Stelle systematis­cher Neuaufnahm­en ist das Archiv der Fotografen getreten, mit dem sich die Deutsche Fotothek um die Bewahrung fotografis­cher Werke in all ihrer Vielfalt kümmert. Digitale Foto- und Scantechni­k hielten Einzug in die Werkstattr­äume und ermögliche­n es heute, die analogen Fotografie­n mit höchster Qualität zu digitalisi­eren und online verfügbar zu machen.

Alles fürs Auge! Von der Landesbild­stelle zum Archiv der Fotografen; Galerie am Lesesaal in der Ebene 2, SLUB Dresden, Zellescher Weg 18,

Geöffnet bis 11. 1. Mo – Sa 8–18 Uhr, So, 10–18 Uhr Simone Fleischer ist stellvertr­etende Leiterin der Deutschen Fotothek.

 ?? © Deutsche Fotothek ?? Ein Unbekannte­r hielt fest, wie Walter Möbius 1953 vom Dach der Hofkirche aus das Italienisc­he Dörfchen fotografie­rte.
© Deutsche Fotothek Ein Unbekannte­r hielt fest, wie Walter Möbius 1953 vom Dach der Hofkirche aus das Italienisc­he Dörfchen fotografie­rte.

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