Weine aus Sachsen – Was macht sie so besonders?
38 Berufswinzer, 75 Rebsorten und eine Vielzahl von Hobbywinzern prägen das östlichste deutsche Weinbaugebiet. Eine Reise entlang der Sächsischen Weinstraße zeigt, wo es sich einzukehren lohnt.
Irene Weißflog war es, die vor genau 35 Jahren erste Weinkönigin von Sachsen wurde. Seitdem hat sich in dem heute 519 Hektar großen Weinbaugebiet rund um Dresden einiges getan. Nicht nur, dass sich die Zahl der damals zehn haupterwerblichen Winzer auf 38 erhöht hat. Es ist vor allem die Schönheit der Orte, die das kleine Weinbaugebiet Sachsen kennzeichnet, das gerade einmal ein halbes Prozent der gesamtdeutschen Rebfläche ausmacht. Doch welche sächsischen Winzer sollte man besucht haben?
Das Einfachste ist natürlich, die 60 Kilometer lange Sächsische Weinstraße abzuwandern. Doch da kaum jemand so viel Zeit hat, könnte man von Osten elbtalwärts einige Highlights herauspicken und in Pillnitz beginnen. Im neu gestalteten Weingut von Klaus Zimmerling kann man zum Auftakt Weine von einem Winzer mit unvergleichlicher Handschrift probieren. Ebenso begeistert hier die Skulpturensammlung seiner Frau Malgorzata Chodakowska. Sie demonstriert, dass Kunst das Gleiche vermag wie Wein: uns emotional zu berühren und zu euphorisieren.
Auf dem Weg nach Dresden lohnt sich ein Zwischenstopp in der kleinen, fußläufig zu erreichenden Weinbergskapelle. Sachsens Landeshauptstadt ist eine der wenigen Städte der Welt, die Weinberge inmitten der Stadt aufweisen kann. Im Sommer wie im Winter sind die Weingärten unterhalb der drei berühmten Schlösser herrlich anzusehen. Sie sind das, was Wein sein sollte: ein Teil von uns.
Wenn wir schon einmal hier sind, ist es wunderbar, im Weingarten bei Lutz Müller auf ein Viertel und einen seiner viel gerühmten Flammkuchen zu verweilen. Dabei lässt sich der Blick über die Elbwiesen auf die Stadt genießen, um dann weiter nach Radebeul zu reisen.
Die höchste Konzentration von Weingütern findet sich an der Weinbergstraße. Hier lässt sich ein Großteil der in der Region zugelassenen 75 verschiedenen Rebsorten verkosten. Die Vielzahl an Rebkulturen begründet sich in der Mangelwirtschaft der DDR-Zeit, als Hobbywinzer alles in die Erde steckten, was perspektivisch im Herbst Most ergab. Dadurch fanden sich nach der Wende kunterbunte, rebkonfetti-ähnliche Zustände in den Weinbergen. Da man nicht alle rausreißen konnte, musste man sie dulden und machte Sachsen zum multikulturellen Rebenland.
Kaum ein Ort ist so geschichtsträchtig wie die Höflößnitz. Die 500-jährige Geschichte nachzuarbeiten, würde uns davon abhalten, die hinter der wunderschönen Anlage gelegene Spitzhaustreppe zu besteigen. Über die 397 Stufen lassen sich 76 Höhenmeter überwinden. Der Eggersweg führt uns quer durch die Weinbergs-Idylle, um am 18 Meter hohen Bismarckturm oder im Spitzhaus Rast zu machen. Es lohnt sich, an einer der zum Großteil von Friedrich Aust sanierten Trockenmauern stehen zu bleiben. So lässt sich bewundern, wie viel Aufwand hier getrieben wurde, um Radebeul das originäre Weinbaugesicht zu schenken. Knapp 800 Euro kostet ein Quadratmeter. Insofern findet sich hier das ein oder andere Mehrfamilienhaus in Mauernform wieder.
Auf unserem westführenden Weg dürfen wir auf keinen Fall das Staatsweingut Schloss Wackerbarth verpassen. Hier versteht man es, mit allen Möglichkeiten Wein zu inszenieren. Das Erlebnisweingut ist aus zwei Gründen ein bedeutender Ort der jüngeren Geschichte des sächsischen Weinbaus. Zum einen angesichts der Reblauskatastrophe zum Ende des vorletzten Jahrhunderts. Für jeden herausgerissenen Rebstock wurden damals aus Angst vor der Ausbreitung des Schädlings attraktive 50 Pfennig gezahlt. Viele Weinberge wurden daraufhin zu Bauland umfunktioniert, und so waren von den 6.000 Hektar Rebfläche binnen weniger Jahre nur noch zwei Prozent zu finden. Und zum anderen angesichts der DDR-Zeit. In Sachsen gab es in dieser Zeit offiziell nur zwei weinproduzierende Betriebe: die Winzergenossenschaft in Meißen und das Volkseigene Gut Weinbau „Lößnitz“, welches aus den Stadtweingütern Radebeul, Dresden und Meißen sowie einigen enteigneten Betrieben von Privatwinzern erwuchs. 1990 wurde daraus das Staatsweingut Schloss Wackerbarth.
Bereits 1955 begann man nahe Proschwitz, in der LPG Winkwitz, später „Rosa Luxemburg“, starke Hanglagen zu bearbeiten. Der erste Hektar Rebland auf ostdeutschem Boden wurde gepflanzt. Neben dem staatlichen Weinbau entstand dank großen Engagements der „Vereinigung zur Förderung des Kleinweinbaus in Meißen und Umgebung“eine einzigartige Kultur von Feierabendwinzern. Letztere sorgten dafür, dass Sachsen noch heute über wunderschöne, spektakuläre Steillagen verfügt. Teilweise sind es Extremlagen, die das Weinland Sachsen optisch prägen. In den folgenden vier Jahrzehnten waren es die Feierabendwinzer, die in unermüdlichem Streben dafür sorgten, dass diese Steillagen mit ihrer außergewöhnlichen Boden- und Klimakultur wieder aufgerebt wurden. Als
Hobbywinzer befand man sich damals in einer durchaus attraktiven Situation. Zwar mussten – wie heute auch – die Trauben bei der hiesigen Winzergenossenschaft abgeliefert werden. Doch man erhielt ein hochattraktives Deputat von bis zu 350 Flaschen des damals so begehrten Elbweines. Es war das beste Zahlungs- oder Tauschmittel, das man sich zu dieser Zeit vorstellen konnte. So mancher Kfz-Mechaniker engagierte sich bei der Beschaffung der begehrten Ersatzteile für den Trabant ein wenig intensiver, wenn zufällig eine Flasche Meißner Wein auf dem Beifahrersitz lag. Und nicht wenige Bäder wurden regelrecht mit sächsischen Weinen gefliest. Wahrscheinlich hätten unzählige Häuschen kein Dach gehabt, wenn der Bauherr nicht gerade ein paar Kistchen Wein übrig gehabt hätte.
Es war in dieser Mangelsituation ein wunderbares Miteinander. Der eine gab, was der andere wollte, weil er hatte, was ein anderer brauchte. Teuer war es für die Hobbywinzer nicht. Ein Quadratmeter Weinland kostete in der Regel um die drei, maximal zehn Pfennige pro Jahr. Und der Kelterpreis pro Flasche, den man an die Winzergenossenschaft bezahlen musste, lag bei 50 Pfennig. Das Schwierigste war wahrscheinlich der Umstand, dass man zur Füllung seines Weines die gleiche Anzahl an Flaschen wieder abliefern musste. Ein sich selbst recycelndes System, von dem man vielleicht heute noch träumt.
Wie überall in der DDR musste man erfinderisch sein. So wurde Anfang der 60erJahre im Volksweingut in Radebeul die in die Jahre gekommene, umständliche Korbpresse gegen eine neue eingetauscht. Da es jedoch enorm schwierig war, eine Weinpresse zu beschaffen, hat man sich mit einer für die Obstsaftgewinnung entwickelten Maschine aus Bulgarien beholfen. Die alten Holzfässer genügten nicht mehr für die steigende Produktion. Edelstahltanks wären ein Traum der Mitarbeiter gewesen. Doch es war undenkbar zu dieser Zeit, diese zu beschaffen. Um den begehrten Wein dennoch erzeugen zu können, griff man zu Emailletanks mit einem Fassungsvermögen von 15.000 Litern, die eigentlich für das Bierbrauen entwickelt worden waren.
Auch Korken waren ein eigenes Thema. Korkeichen gab es hier kaum. So wurden Mitte der 70er-Jahre ein Großteil der Weinflaschen mit Kronkorken verschlossen. Aber es ging bergauf mit dem sächsischen Weinbau. Bereits 1965 hatte sich die Fläche verfünffacht, 1989 blickte man in Sachsen auf 350 Hektar Rebfläche. Gut ein Drittel derer wurde von den Feierabendwinzern bestellt. Für nicht wenige war der freizeitliche Knochenjob in den Weinbergslagen der weitaus härtere Teil ihres Arbeitslebens. Maschinen gab es kaum. Mittels Seilwinden und daran befestigten Gerätschaften, wie Pflüge, wurde der Boden bearbeitet. Reben zu bekommen, war ein Graus.
Es gäbe auf der Weinwanderung noch so viele Winzer zu erwähnen: sei es der großartige Martin Schwarz, der geschichtsträchtige Vinzent Richter, der engagierte Ricco Hänsch. Nicht vergessen sollte man einen Abstecher nach Proschwitz. Georg Prinz zur Lippe, gerade für sein Lebenswerk ausgezeichnet, hat der Nation den sächsischen Wein gezeigt und in den 90erJahren auch die erforderlichen Qualitäten abgefüllt. Hüben wie drüben demonstrierte er, was hier auf dem 51. Breitengrad möglich ist.
Zu gerne kann man weiterreisen, nach Diesbar-Seußlitz und darüber hinaus, und wird immer wieder großartige vinophile Entdeckungen machen.
Es sind im Weinbaugebiet Sachsen nicht die vielschichtigen Gesteinsformationen, nicht die tiefe Weinbautradition. Es sind die Menschen, welche die Weine produzieren und die, die diese Tropfen konsumieren und wertschätzen. Sie sind nicht billig, aber oft sehr besonders.
Winzer, die man in der Region kennen muss:
Weingut Klaus Zimmerling
Weingut Martin Schwarz
Weingut Karl-Friedrich Aust
Winzer, die man kennen möchte: Weingut Frederic Fourré
Weingut Drei Herren
Weingut Matthias Schuh
Winzer, die einfach positiv anders sind: Weingut Lutz Müller
Weingut Haus Steinbach
Perlgut
Winzer, die für die Region national sehr viel bewegt haben:
Schloß Proschwitz
Schloss Wackerbarth
Winzer, die Rückgrat der Region sind: Weingut Steffen Loose
Weingut Jan Ulrich
Weingut Tim Strasser
Der Autor ist mehrfach ausgezeichneter Sommelier und betrieb viele Jahre die Weinkulturbar in Dresden. Sein neuer Weinpodcast heißt „Sommelier – die interessantesten Mundschenke unserer Zeit“.
Für die SZ stellt er monatlich ein deutsches Weinbaugebiet vor. web Teil 1 Saale-Unstrut: www.sz-link.de/saale-unstrut