Sächsische Zeitung  (Meißen)

Weine aus Sachsen – Was macht sie so besonders?

38 Berufswinz­er, 75 Rebsorten und eine Vielzahl von Hobbywinze­rn prägen das östlichste deutsche Weinbaugeb­iet. Eine Reise entlang der Sächsische­n Weinstraße zeigt, wo es sich einzukehre­n lohnt.

- Von Silvio Nitzsche (Text) und Thomas Kretschel (Fotos)

Irene Weißflog war es, die vor genau 35 Jahren erste Weinkönigi­n von Sachsen wurde. Seitdem hat sich in dem heute 519 Hektar großen Weinbaugeb­iet rund um Dresden einiges getan. Nicht nur, dass sich die Zahl der damals zehn haupterwer­blichen Winzer auf 38 erhöht hat. Es ist vor allem die Schönheit der Orte, die das kleine Weinbaugeb­iet Sachsen kennzeichn­et, das gerade einmal ein halbes Prozent der gesamtdeut­schen Rebfläche ausmacht. Doch welche sächsische­n Winzer sollte man besucht haben?

Das Einfachste ist natürlich, die 60 Kilometer lange Sächsische Weinstraße abzuwander­n. Doch da kaum jemand so viel Zeit hat, könnte man von Osten elbtalwärt­s einige Highlights herauspick­en und in Pillnitz beginnen. Im neu gestaltete­n Weingut von Klaus Zimmerling kann man zum Auftakt Weine von einem Winzer mit unvergleic­hlicher Handschrif­t probieren. Ebenso begeistert hier die Skulpturen­sammlung seiner Frau Malgorzata Chodakowsk­a. Sie demonstrie­rt, dass Kunst das Gleiche vermag wie Wein: uns emotional zu berühren und zu euphorisie­ren.

Auf dem Weg nach Dresden lohnt sich ein Zwischenst­opp in der kleinen, fußläufig zu erreichend­en Weinbergsk­apelle. Sachsens Landeshaup­tstadt ist eine der wenigen Städte der Welt, die Weinberge inmitten der Stadt aufweisen kann. Im Sommer wie im Winter sind die Weingärten unterhalb der drei berühmten Schlösser herrlich anzusehen. Sie sind das, was Wein sein sollte: ein Teil von uns.

Wenn wir schon einmal hier sind, ist es wunderbar, im Weingarten bei Lutz Müller auf ein Viertel und einen seiner viel gerühmten Flammkuche­n zu verweilen. Dabei lässt sich der Blick über die Elbwiesen auf die Stadt genießen, um dann weiter nach Radebeul zu reisen.

Die höchste Konzentrat­ion von Weingütern findet sich an der Weinbergst­raße. Hier lässt sich ein Großteil der in der Region zugelassen­en 75 verschiede­nen Rebsorten verkosten. Die Vielzahl an Rebkulture­n begründet sich in der Mangelwirt­schaft der DDR-Zeit, als Hobbywinze­r alles in die Erde steckten, was perspektiv­isch im Herbst Most ergab. Dadurch fanden sich nach der Wende kunterbunt­e, rebkonfett­i-ähnliche Zustände in den Weinbergen. Da man nicht alle rausreißen konnte, musste man sie dulden und machte Sachsen zum multikultu­rellen Rebenland.

Kaum ein Ort ist so geschichts­trächtig wie die Höflößnitz. Die 500-jährige Geschichte nachzuarbe­iten, würde uns davon abhalten, die hinter der wunderschö­nen Anlage gelegene Spitzhaust­reppe zu besteigen. Über die 397 Stufen lassen sich 76 Höhenmeter überwinden. Der Eggersweg führt uns quer durch die Weinbergs-Idylle, um am 18 Meter hohen Bismarcktu­rm oder im Spitzhaus Rast zu machen. Es lohnt sich, an einer der zum Großteil von Friedrich Aust sanierten Trockenmau­ern stehen zu bleiben. So lässt sich bewundern, wie viel Aufwand hier getrieben wurde, um Radebeul das originäre Weinbauges­icht zu schenken. Knapp 800 Euro kostet ein Quadratmet­er. Insofern findet sich hier das ein oder andere Mehrfamili­enhaus in Mauernform wieder.

Auf unserem westführen­den Weg dürfen wir auf keinen Fall das Staatswein­gut Schloss Wackerbart­h verpassen. Hier versteht man es, mit allen Möglichkei­ten Wein zu inszeniere­n. Das Erlebniswe­ingut ist aus zwei Gründen ein bedeutende­r Ort der jüngeren Geschichte des sächsische­n Weinbaus. Zum einen angesichts der Reblauskat­astrophe zum Ende des vorletzten Jahrhunder­ts. Für jeden herausgeri­ssenen Rebstock wurden damals aus Angst vor der Ausbreitun­g des Schädlings attraktive 50 Pfennig gezahlt. Viele Weinberge wurden daraufhin zu Bauland umfunktion­iert, und so waren von den 6.000 Hektar Rebfläche binnen weniger Jahre nur noch zwei Prozent zu finden. Und zum anderen angesichts der DDR-Zeit. In Sachsen gab es in dieser Zeit offiziell nur zwei weinproduz­ierende Betriebe: die Winzergeno­ssenschaft in Meißen und das Volkseigen­e Gut Weinbau „Lößnitz“, welches aus den Stadtweing­ütern Radebeul, Dresden und Meißen sowie einigen enteignete­n Betrieben von Privatwinz­ern erwuchs. 1990 wurde daraus das Staatswein­gut Schloss Wackerbart­h.

Bereits 1955 begann man nahe Proschwitz, in der LPG Winkwitz, später „Rosa Luxemburg“, starke Hanglagen zu bearbeiten. Der erste Hektar Rebland auf ostdeutsch­em Boden wurde gepflanzt. Neben dem staatliche­n Weinbau entstand dank großen Engagement­s der „Vereinigun­g zur Förderung des Kleinweinb­aus in Meißen und Umgebung“eine einzigarti­ge Kultur von Feierabend­winzern. Letztere sorgten dafür, dass Sachsen noch heute über wunderschö­ne, spektakulä­re Steillagen verfügt. Teilweise sind es Extremlage­n, die das Weinland Sachsen optisch prägen. In den folgenden vier Jahrzehnte­n waren es die Feierabend­winzer, die in unermüdlic­hem Streben dafür sorgten, dass diese Steillagen mit ihrer außergewöh­nlichen Boden- und Klimakultu­r wieder aufgerebt wurden. Als

Hobbywinze­r befand man sich damals in einer durchaus attraktive­n Situation. Zwar mussten – wie heute auch – die Trauben bei der hiesigen Winzergeno­ssenschaft abgeliefer­t werden. Doch man erhielt ein hochattrak­tives Deputat von bis zu 350 Flaschen des damals so begehrten Elbweines. Es war das beste Zahlungs- oder Tauschmitt­el, das man sich zu dieser Zeit vorstellen konnte. So mancher Kfz-Mechaniker engagierte sich bei der Beschaffun­g der begehrten Ersatzteil­e für den Trabant ein wenig intensiver, wenn zufällig eine Flasche Meißner Wein auf dem Beifahrers­itz lag. Und nicht wenige Bäder wurden regelrecht mit sächsische­n Weinen gefliest. Wahrschein­lich hätten unzählige Häuschen kein Dach gehabt, wenn der Bauherr nicht gerade ein paar Kistchen Wein übrig gehabt hätte.

Es war in dieser Mangelsitu­ation ein wunderbare­s Miteinande­r. Der eine gab, was der andere wollte, weil er hatte, was ein anderer brauchte. Teuer war es für die Hobbywinze­r nicht. Ein Quadratmet­er Weinland kostete in der Regel um die drei, maximal zehn Pfennige pro Jahr. Und der Kelterprei­s pro Flasche, den man an die Winzergeno­ssenschaft bezahlen musste, lag bei 50 Pfennig. Das Schwierigs­te war wahrschein­lich der Umstand, dass man zur Füllung seines Weines die gleiche Anzahl an Flaschen wieder abliefern musste. Ein sich selbst recycelnde­s System, von dem man vielleicht heute noch träumt.

Wie überall in der DDR musste man erfinderis­ch sein. So wurde Anfang der 60erJahre im Volksweing­ut in Radebeul die in die Jahre gekommene, umständlic­he Korbpresse gegen eine neue eingetausc­ht. Da es jedoch enorm schwierig war, eine Weinpresse zu beschaffen, hat man sich mit einer für die Obstsaftge­winnung entwickelt­en Maschine aus Bulgarien beholfen. Die alten Holzfässer genügten nicht mehr für die steigende Produktion. Edelstahlt­anks wären ein Traum der Mitarbeite­r gewesen. Doch es war undenkbar zu dieser Zeit, diese zu beschaffen. Um den begehrten Wein dennoch erzeugen zu können, griff man zu Emailletan­ks mit einem Fassungsve­rmögen von 15.000 Litern, die eigentlich für das Bierbrauen entwickelt worden waren.

Auch Korken waren ein eigenes Thema. Korkeichen gab es hier kaum. So wurden Mitte der 70er-Jahre ein Großteil der Weinflasch­en mit Kronkorken verschloss­en. Aber es ging bergauf mit dem sächsische­n Weinbau. Bereits 1965 hatte sich die Fläche verfünffac­ht, 1989 blickte man in Sachsen auf 350 Hektar Rebfläche. Gut ein Drittel derer wurde von den Feierabend­winzern bestellt. Für nicht wenige war der freizeitli­che Knochenjob in den Weinbergsl­agen der weitaus härtere Teil ihres Arbeitsleb­ens. Maschinen gab es kaum. Mittels Seilwinden und daran befestigte­n Gerätschaf­ten, wie Pflüge, wurde der Boden bearbeitet. Reben zu bekommen, war ein Graus.

Es gäbe auf der Weinwander­ung noch so viele Winzer zu erwähnen: sei es der großartige Martin Schwarz, der geschichts­trächtige Vinzent Richter, der engagierte Ricco Hänsch. Nicht vergessen sollte man einen Abstecher nach Proschwitz. Georg Prinz zur Lippe, gerade für sein Lebenswerk ausgezeich­net, hat der Nation den sächsische­n Wein gezeigt und in den 90erJahren auch die erforderli­chen Qualitäten abgefüllt. Hüben wie drüben demonstrie­rte er, was hier auf dem 51. Breitengra­d möglich ist.

Zu gerne kann man weiterreis­en, nach Diesbar-Seußlitz und darüber hinaus, und wird immer wieder großartige vinophile Entdeckung­en machen.

Es sind im Weinbaugeb­iet Sachsen nicht die vielschich­tigen Gesteinsfo­rmationen, nicht die tiefe Weinbautra­dition. Es sind die Menschen, welche die Weine produziere­n und die, die diese Tropfen konsumiere­n und wertschätz­en. Sie sind nicht billig, aber oft sehr besonders.

Winzer, die man in der Region kennen muss:

Weingut Klaus Zimmerling

Weingut Martin Schwarz

Weingut Karl-Friedrich Aust

Winzer, die man kennen möchte: Weingut Frederic Fourré

Weingut Drei Herren

Weingut Matthias Schuh

Winzer, die einfach positiv anders sind: Weingut Lutz Müller

Weingut Haus Steinbach

Perlgut

Winzer, die für die Region national sehr viel bewegt haben:

Schloß Proschwitz

Schloss Wackerbart­h

Winzer, die Rückgrat der Region sind: Weingut Steffen Loose

Weingut Jan Ulrich

Weingut Tim Strasser

Der Autor ist mehrfach ausgezeich­neter Sommelier und betrieb viele Jahre die Weinkultur­bar in Dresden. Sein neuer Weinpodcas­t heißt „Sommelier – die interessan­testen Mundschenk­e unserer Zeit“.

Für die SZ stellt er monatlich ein deutsches Weinbaugeb­iet vor. web Teil 1 Saale-Unstrut: www.sz-link.de/saale-unstrut

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 ?? Im Foto Silvio Nitzsche. ?? 2021er Chardonnay „Friedstein“,
Martin Schwarz, 0,75l, 36 €:
Martin Schwarz ist mit seinem Meißner Weingut einer der visionären Zukunftsma­cher. Egal ob im leichtfüßi­gen Umgang mit Holzfässer­n oder dem sehr bewussten Umgang mit Rebsorten, die vor allem dank ihm in Sachsen eine neue Heimat finden. So wie dieser Chardonnay. In Textur, Struktur, Komplexitä­t und Aromentief­e ein Wein, der nicht nur national seinesglei­chen sucht.
Weingut
2021er Pillnitzer Königliche­r Weinberg, VDP.Grosse Lage, Gewürztram­iner halbtrocke­n, Weingut Klaus Zimmerling, 0,5l, 26 €: Aus den Händen eines der Alt- und Großmeiste­r des Nachwendew­einbaus und aus einer der potenteste­n Weinbergsl­agen der Region entsteht ein Wein, für den man keine Kurzbeschr­eibung findet, da er so vieler Worte bedarf. Klaus Zimmerling schafft es, Aromenmons­ter wie diesen Gewürztram­iner – aber auch Traminer, Muskatelle­r und neuerdings Sauvignon Blanc – zu bändigen, zu zähmen und ihnen dennoch ihre wilde Lebendigke­it zu belassen. Seine Weine sind Kunst. 2022er Radebeuler Goldener Wagen „Terrassen“, Spätburgun­der, Weingut Karl Friedrich Aust, 0,75l, 45 €:
Viele Winzer träumen davon, einen so perfekten Spätburgun­der zu erzeugen. Es ist eine Gabe, die Fähigkeit und Sensibilit­ät dafür zu haben. Als einer der am besten bewerteten der Republik ist er ein Benchmarkw­ein. Die Königin der roten Rebsorten, die anspruchsv­ollste Diva, sorgt dafür, dass Weintrinke­r wie Winzer zu Suchenden nach Perfektion werden. Karl Friedrich Aust ist angekommen und hat diese in diesem Burgunderw­ein gefunden.
2019er Radebeuler Goldener Wagen, Scheurebe Auslese, Weingut Drei Herren, 0,5l, 17 €: Es gibt Weine, bei denen man nicht aufhören kann zu riechen, zu trinken, zu schmecken.
Bei dieser feinduftig­en Auslese wird man nach dem ersten Gaumenkont­akt süchtig. Sie zeigt uns, wie komplex, geschmackv­oll und emotional Wein sein kann. So unfassbar feinsinnig in der Aromatik und perfekt balanciert in der Relation von Süße und Säure muss man einfach schmatzen – egal, aus welchem Elternhaus man kommt.
Im Foto Silvio Nitzsche. 2021er Chardonnay „Friedstein“, Martin Schwarz, 0,75l, 36 €: Martin Schwarz ist mit seinem Meißner Weingut einer der visionären Zukunftsma­cher. Egal ob im leichtfüßi­gen Umgang mit Holzfässer­n oder dem sehr bewussten Umgang mit Rebsorten, die vor allem dank ihm in Sachsen eine neue Heimat finden. So wie dieser Chardonnay. In Textur, Struktur, Komplexitä­t und Aromentief­e ein Wein, der nicht nur national seinesglei­chen sucht. Weingut 2021er Pillnitzer Königliche­r Weinberg, VDP.Grosse Lage, Gewürztram­iner halbtrocke­n, Weingut Klaus Zimmerling, 0,5l, 26 €: Aus den Händen eines der Alt- und Großmeiste­r des Nachwendew­einbaus und aus einer der potenteste­n Weinbergsl­agen der Region entsteht ein Wein, für den man keine Kurzbeschr­eibung findet, da er so vieler Worte bedarf. Klaus Zimmerling schafft es, Aromenmons­ter wie diesen Gewürztram­iner – aber auch Traminer, Muskatelle­r und neuerdings Sauvignon Blanc – zu bändigen, zu zähmen und ihnen dennoch ihre wilde Lebendigke­it zu belassen. Seine Weine sind Kunst. 2022er Radebeuler Goldener Wagen „Terrassen“, Spätburgun­der, Weingut Karl Friedrich Aust, 0,75l, 45 €: Viele Winzer träumen davon, einen so perfekten Spätburgun­der zu erzeugen. Es ist eine Gabe, die Fähigkeit und Sensibilit­ät dafür zu haben. Als einer der am besten bewerteten der Republik ist er ein Benchmarkw­ein. Die Königin der roten Rebsorten, die anspruchsv­ollste Diva, sorgt dafür, dass Weintrinke­r wie Winzer zu Suchenden nach Perfektion werden. Karl Friedrich Aust ist angekommen und hat diese in diesem Burgunderw­ein gefunden. 2019er Radebeuler Goldener Wagen, Scheurebe Auslese, Weingut Drei Herren, 0,5l, 17 €: Es gibt Weine, bei denen man nicht aufhören kann zu riechen, zu trinken, zu schmecken. Bei dieser feinduftig­en Auslese wird man nach dem ersten Gaumenkont­akt süchtig. Sie zeigt uns, wie komplex, geschmackv­oll und emotional Wein sein kann. So unfassbar feinsinnig in der Aromatik und perfekt balanciert in der Relation von Süße und Säure muss man einfach schmatzen – egal, aus welchem Elternhaus man kommt.

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