Sächsische Zeitung  (Meißen)

Turbo für die Arbeitswel­t?

Tausende Geflüchtet­e nehmen in Sachsen an Integratio­nskursen teil. Das Ziel: Sie schnell in Lohn und Brot zu bringen. Doch dafür müssen auch Unternehme­n mit ins Boot. Auch eine besondere Jobmesse soll helfen.

- Von Annett Kschiescha­n

Die Zahl ist kaum vorstellba­r: Mehr als 89 Millionen Menschen sind weltweit von Flucht und Vertreibun­g betroffen. So viele wie noch nie zuvor. Vor allem Kriege, aber auch die Zerstörung der Umwelt und der Klimawande­l sorgen dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen. Diese Entwicklun­g verändert die Welt – auch die der Arbeit. Wo etwa Kriegsflüc­htlinge wie zuletzt aus der Ukraine in Größenordn­ungen in anderen Ländern Fuß fassen müssen, steht neben den ganz persönlich­en Fragen irgendwann auch die nach einem Einstieg ins Berufslebe­n. Bundesweit wurde dafür im Herbst vergangene­n Jahres der „Job-Turbo“gestartet. Das Ziel: „Alle Geflüchtet­en, unabhängig von ihrem Herkunftsl­and, die einen Integratio­nskurs absolviert haben, sollen so schnell wie möglich Arbeitserf­ahrung sammeln und weiter qualifizie­rt werden.“So formuliert­e es zu Jahresbegi­nn auch die sächsische Arbeitsage­ntur in einer ersten Zwischenbi­lanz. „Die Erfahrunge­n belegen, dass Sprache der Schlüssel zur Integratio­n ist“, so Michaela Ungethüm, Geschäftsf­ührerin operativ und Vizechefin der Regionaldi­rektion Sachsen der Bundesagen­tur für Arbeit, und verweist auf die hohe Bedeutung der Sprachkurs­e, die auch in Sachsen gut nachgefrag­t sind. Knapp 28.000 Geflüchtet­e waren zu Beginn dieses Jahres in Lohn und Brot, die meisten in sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeitsver­hältnissen.

„Nun heißt es, allen anderen zu helfen, schnell eine Arbeit zu finden – mit Perspektiv­e zur dauerhafte­n berufliche­n Integratio­n. Wir wollen, dass die Geflüchtet­en ihre fachlichen Kompetenze­n einbringen und gleichzeit­ig ihre Sprachkenn­tnisse vor allem im berufliche­n Kontext ausbauen können“, so Michaela Ungethüm weiter. Niemand soll sich und seine Fähigkeite­n unter Wert verkaufen müssen, so der Ansatz. Dafür brauche es aber auch Unternehme­n, die „Chancengeb­er“sein wollen und auch Menschen einstellen, deren Deutschken­ntnisse noch begrenzt sind.

Alle ins Boot zu holen – das ist ebenso wichtig wie schwierig in einer Zeit, in der die gesellscha­ftlichen Verwerfung­en immer sichtbarer werden und wirtschaft­liche Sorgen die Bereitscha­ft zur Hilfe dämpfen.

Auch deshalb ist hier zunächst auch der Staat selbst gefragt, etwa wenn es um den Abbau bürokratis­cher Hürden bei der Anerkennun­g ausländisc­her Qualifikat­ionen oder ausreichen­de Möglichkei­ten zur Kinderbetr­euung geht.

Berufsspra­chkurse sollen helfen

Auch der sächsische Arbeitsmar­kt braucht Fachkräfte aus dem Ausland. Aus eigener Kraft ist der Bedarf in vielen Branchen schon jetzt nicht mehr zu decken.

„Es ist wichtig, dass Geflüchtet­e zügig in den Arbeitsmar­kt vermittelt werden. Auch wenn die Deutschken­ntnisse vielleicht noch nicht perfekt sind. Dies trägt entscheide­nd zu einer schnellere­n Integratio­n in die Gesellscha­ft bei. Arbeit integriert!“, so Sachsens Sozialmini­sterin Petra Köpping. Daran bemesse sich nicht weniger als „die gesamtgese­llschaftli­che Bedeutung des Job-Turbos“. Arbeitsage­ntur, Jobcenter, Kammern, Unternehme­n, Träger – sie alle müssen nach Ansicht der Ministerin an einem Strang ziehen. „Ich setze große Hoffnungen auf die neuen berufsbegl­eitenden Angebote der Bundesregi­erung wie zum Beispiel der berufsbegl­eitende Sprachkurs. Sprache lernen, die im Berufsallt­ag gebraucht wird – idealerwei­se direkt im Berufsallt­ag in den Betrieben: Das ist für mich genau der richtige Ansatz“, sagt sie.

Bislang – auch das besteht weitgehend Einigkeit – werden die Potenziale in Sachen Arbeitsmar­ktintegrat­ion noch nicht voll ausgeschöp­ft. „In immer mehr Branchen und Berufsgrup­pen fehlen Menschen mit passenden Qualifikat­ionen. Unsere Priorität hat die Hebung der vorhandene­n Potenziale in Sachsen und geflüchtet­e Menschen gehören zu diesem Potenzial“, betont Thomas Kralinski, Staatssekr­etär und Amtschef vom Sächsische­n Staatsmini­sterium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr.

Die derzeit 78 Arbeitsmar­ktmentoren unterstütz­en dabei. „Seit Januar 2020 haben sie über 4.200 Geflüchtet­e und andere Menschen mit Migrations­hintergrun­d sowie mehr als 1.800 Arbeitgebe­r begleitet. Über 2.300 Teilnehmen­de konnten in sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ung oder Berufsausb­ildung vermittelt werden“, so der Staatssekr­etär. Er verweist auf die Initiative „Tandem Sachsen“, die Familien als Ganzes im Blick hat und neben den berufliche­n Chancen der Eltern auch die Bildungspe­rspektiven der Kinder verbessern will. Ein neuer arbeitspla­tzorientie­rter Berufsspra­chkurs des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e soll hier weitere Chancen schaffen.

Und langsam zeigt der Turbo offenbar Wirkung. „Wir sehen, dass der Job-Turbo in die richtige Richtung geht, je intensiver wir mit den Menschen arbeiten - und das, obwohl die Konjunktur gerade schlecht ist“, sagte der Bundesbeau­ftragte für die Integratio­n von Geflüchtet­en in den Arbeitsmar­kt, Daniel Terzenbach, jetzt gegenüber der Deutschen Presseagen­tur.

So seien im März bundesweit rund 5.000 Ukrainerin­nen und Ukrainer in Arbeit gebracht worden. Im März 2023 war es die Hälfte. Auch mehr als 13.000 Menschen aus den acht am häufigsten von Flucht betroffene­n Ländern konnten im März in einen Job vermittelt werden. Ein Erfolgsfak­tor dabei sei die enge Zusammenar­beit der verschiede­nen Initiative­n und Unterstütz­er. Zudem sei es wichtig, mehr in den Social-Media-Kanälen präsent sein, „um zum Beispiel Desinforma­tion entgegenzu­wirken“, so Terzenbach. Hier gebe es bereits Kooperatio­nen mit der ukrainisch­en Botschaft. Sachsen setzt unter anderem mit der Interkultu­rellen Jobmesse auf offensive Werbung. Die vierte Auflage der Veranstalt­ung, die von der Landeshaup­tstadt Dresden gemeinsam mit der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter organisier­t wird, findet am 24. April im Dresdner World Trade Center statt. Sie soll insbesonde­re Geflüchtet­en den Zugang zum Arbeitsmar­kt erleichter­n.

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Fotos:Adobestock Die Sprache ist der Schlüssel. Deutschkur­se sind deshalb besonders wichtig für geflüchtet­e Menschen.
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Schnell in Lohn und Brot kommen: Ihre ersten Jobs finden Menschen aus anderen Ländern oft in der Gastronomi­e.

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