Sächsische Zeitung  (Meißen)

Ohne Esoterik zum neuen Job

So mancher Bewerber musste in Auswahlver­fahren eher eigenwilli­ge Tests und Fragen über sich ergehen lassen. Das sorgte nicht selten für Frust auf beiden Seiten. Auch wegen des Fachkräfte­mangels denken viele Betriebe nun um.

- Von Annett Kschiescha­n

Das Bewerbungs­gespräch lief erst einmal ganz normal. Man befragte mich zu meinen Studiensch­werpunkten und praktische­n Erfahrunge­n. Aber dann bekam ich eine Art Ausmalbild vorgelegt, dazu eine Hand voll Stifte. Ich sollte das Bild nach meinen Vorstellun­gen ausmalen. Später hieß es, die Entscheidu­ng, welche Farben ich für welchen Bildbereic­h gewählt hätte, würden etwas über meine Zielstrebi­gkeit beziehungs­weise mein Durchhalte­vermögen aussagen.“Der Sozialpäda­goge, der zwei Studiengän­ge abgeschlos­sen und auch schon im Ausland gelebt und gearbeitet hatte, war baff – und abgeschrec­kt. „Ich habe das zwar mitgemacht, aber schon währenddes­sen entschiede­n, dass ich den Job nicht will“, erinnert er sich. Und ist mit seiner Erfahrung kein Einzelfall. Im Bemühen, sich einerseits von Konkurrent­en abzuheben und anderersei­ts die vermeintli­ch geeignetst­en Kandidaten für eine ausgeschri­ebene Stelle zu finden, gehen Unternehme­n bisweilen auch seltsame Wege. Sichtbar wird das meistens durch eigenwilli­ge Eignungste­sts wie den mit den Ausmalbild­chen oder auch durch unübliche Fragen. Dabei ist rechtlich klar geregelt, welche Themen den potenziell­en Arbeitgebe­r nun wirklich nichts angehen, weil sie gegen das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz verstoßen können.

Im Zweifel ist Lügen erlaubt

Dazu gehören der Beziehungs­status und die sexuelle Orientieru­ng ebenso wie der persönlich­e Glauben, die privaten Vermögensv­erhältniss­e und die ethnische Herkunft. Hier haben Bewerber das „Recht zur Lüge“, wenn sie aus verständli­chen Gründen nicht willens sind, den Personalve­rantwortli­chen auf sein Fehlverhal­ten hinzuweise­n. Dazu kommt ein Bereich der „bedingt zulässigen“Themen, die „nur dann im Bewerbungs­gespräch gestellt werden dürfen, wenn sie für den Job tatsächlic­h relevant sind“, gibt etwa der Personaldi­enstleiste­r Ranstadt Arbeitssuc­henden mit auf den Weg. So ist die Religionsz­ugehörigke­it eben doch wichtig, wenn es um eine Stelle bei einer konfession­ell gebundenen Einrichtun­g geht. Fragen zur Gesundheit dürfen nur dann eine Rolle spielen, wenn eine eventuelle Beeinträch­tigung hier die Ausübung des Jobs behindern würde.

Und wie sieht es nun mit den vor allem in einigen Branchen beliebten Eignungste­sts aus? Die Bandbreite reicht hier von simulierte­n Streitgesp­rächen, die die Konfliktfä­higkeit der Bewerber testen sollen, bis zu Intelligen­ztests oder Spielen, die wahlweise Anleihen bei den alten Griechen, der Archetypen-Lehre nach Carl Gustav Jung oder gar astrologis­chen Modellen nehmen. „Meine erste Chefin war der Meinung, dass sie mit Menschen, die im Sternzeich­en Fische geboren sind, auf keinen Fall zusammenar­beiten kann. Und so landeten einige Bewerbunge­n eben schon nach einem Blick aufs Geburtsdat­um im Papierkorb“, erinnert sich eine Personalbe­raterin

aus der Lausitz an ihren ersten Job nach dem Studium. Nicht nur deshalb hat sie beschlosse­n, es selbst später besser zu machen. Aber was ist besser? Experten raten nicht zuletzt mit Blick auf den Fachkräfte­mangel, auf „Schnicksch­nack“zu verzichten. „Wir wissen, dass die am häufigsten eingesetzt­en Verfahren, die geringste Aussagekra­ft haben“, hatte etwa der Personalen­twickler und Unternehme­nsbereiter Viktor Lau in einem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung betont.

Lieber schnell zum Praxistest

Moderne Studien zeigen demnach, „dass der spätere Erfolg der ausgesucht­en Kandidaten damit nur sehr schlecht vorausgesa­gt“werden könne.

Das hat viel damit zu tun, dass jedes Bewerbungs­gespräch – egal, ob online oder in Präsenz – immer eine Momentaufn­ahme ist. Was ein Bewerber oder eine Bewerberin am Ende wirklich kann, ob sich jemand für das Unternehme­n engagiert, bereitwill­ig dazulernt und loyal ist, zeigt sich oft erst nach einigen Wochen. Nicht selten verpuffen die Superlativ­e, mit denen sich Interessie­rte bisweilen potenziell­en Arbeitgebe­rn vorstellen, in der Realität schnell, während unauffälli­gere Bewerber am Ende durch Leistung überzeugen können.

Auch deshalb haben viele Unternehme­n ihre Recruiting-Strategien geöffnet. Weniger formale Tests und abgearbeit­ete Fragebögen, dafür eher ein Probetag in der gewünschte­n Abteilung – das kann Experten zufolge schnellere und bessere Ergebnisse bringen als ein zeit- und kostenaufw­endiges Auswahlver­fahren. Zumal es in vielen Branchen auch in Sachsen dafür inzwischen an genügend Interessen­ten für ausgeschri­ebene Stellen fehlt.

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Den besten Bewerber für die freie Stelle zu finden, ist in Zeiten des Fachkräfte­mangels alles andere als einfach.
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Nach einem Probetag entscheide­t das Team gemeinsam: Diese Methode kann gut funktionie­ren.

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