Psychisch kranke Kinder warten auf Hilfe
Bis zu einem Jahr vergeht, ehe Betroffene in der Region eine Therapie erhalten. Der Zittauer Kinderschutzbund hat nun eine Petition an den Landtag gestartet.
Leonie, so nennen wir das Mädchen aus der Nähe von Zittau, glaubt zuerst, sie habe Glück: Weil sie an außergewöhnlich starken Depressionen und Angststörungen leidet, bekommt die 15-Jährige relativ schnell einen Therapieplatz in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie im Fachkrankenhaus Großschweidnitz. Nach zwölf Wochen in der Klinik wird Leonie entlassen. Sie soll ihre Therapie bei einem niedergelassenen Facharzt regelmäßig fortsetzen. Doch keiner hat Termine frei. Für Leonie bahnt sich eine Katastrophe an.
In ihrer Not wenden sich Leonies Eltern an den Zittauer Kinderschutzbund. Kathrin Vogt von der Familienberatungsstelle nimmt sich der 15-Jährigen an. Schnell aber merkt die erfahrene Beraterin: Hier ist Gefahr im Verzug. „Leonie war mit ihrer Situation total überfordert“, erzählt Kathrin Vogt. „Sie hatte überhaupt kein Selbstwertgefühl mehr, hat sich schlecht gefühlt, auch als ein schlechter Mensch.“Leonie habe Angst gehabt, wieder in die Schule zu gehen: Was werden die anderen in der Klasse über sie denken? Über eine, die zwölf Wochen in Großschweidnitz war? Was werden überhaupt alle denken?
Es wird immer schlimmer. Die Depression und Angststörungen nehmen immer mehr zu. Und einmal sagt die 15-Jährige: „Ich will eigentlich gar nicht mehr leben“. Kathrin Vogt erkennt sofort, das Leonie nicht scherzt. Und sofort setzt sie alles in Bewegung. „Eine Jugendliche mit Suizidgedanken, da muss man doch ganz schnell reagieren“, sagt sie. Die Beraterin versucht es an den Unikliniken in Dresden und in Leipzig, sie versucht es am Klinikum in Görlitz und auch noch einmal in Großschweidnitz. Nirgendwo kann das Mädchen aufgenommen werden. Kathrin Vogt sucht Hilfe beim Jugendamt, bekommt für Leonie schließlich wenigstens erst einmal einen Termin bei einem niedergelassenen Facharzt in Löbau.
Situation nicht tragbar
Der rät dringend zu einem stationären Aufenthalt. Aber es wird am Ende fast ein Jahr vergehen, ehe die inzwischen 16-Jährige in einer Einrichtung in Dresden endlich den so dringend benötigten Therapieplatz bekommt. „So eine Situation ist doch nicht tragbar“, sagt Kathrin Vogt im Nachhinein. Und Leonie ist ja auch längst kein Einzelfall. Nach einem Bericht der DAK-Gesundheit ist die Zahl von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen deutlich gestiegen. Katja Schönborn, die Geschäftsführerin des Zittauer Kinderschutzbunds, kann das bestätigen: „Wir erleben zunehmend Kinder und Jugendliche mit Angststörungen, Depressionen und Essstörungen“, sagt die Sozialpädagogin. Sie weiß, dass diese Erkrankungen lebensgefährlich sind, wenn den Betroffenen nicht zeitnah geholfen werden kann. Professionelle Hilfe aber kommt im Kreis Görlitz oft erst nach mehreren Monaten. „Wir haben hier Wartezeiten von einem halben Jahr, einem Dreivierteljahr und oft auch noch länger“, sagt Katja Schönborn. „Das zeigt doch, dass die vorhandenen Kapazitäten der niedergelassenen Fachärzte und der stationären Einrichtungen einfach nicht mehr ausreichen“.
Und das wollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zittauer Kinderschutzbunds jetzt nicht mehr tatenlos hinnehmen. „Wir haben bei einer Klausurtagung zusammengesessen und über die steigenden Fallzahlen gesprochen“, erzählt Katja Schönborn. „Jeder von uns konnte von einem ähnlichen Fall wie dem von Leonie berichten. Da haben wir gesagt: Wir müssen jetzt irgendwas tun.“
Planung an Realität vorbei
Zuerst wendet sich die Geschäftsführerin an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in Sachsen. Die ist für die Planstellen von Haus- und Fachärzten zuständig. Auf dem KV-Papier aber ist der Raum Löbau-Zittau ausreichend versorgt. „Man hat uns gesagt, es gibt da eine Bedarfsplanung, die sich nach der Zahl der Einwohner und noch ein paar anderen Faktoren richtet“, erzählt Katja Schönborn. „Aber nach dem, was wir erleben, geht diese Planung doch an der Realität vorbei.“Deswegen hat der Kinderschutzbund in Zittau auf der Internetplattform openpetition.de jetzt eine Petition an den Sächsischen Landtag gestartet: „Kinder und Jugendliche brauchen ausreichend Psychotherapieplätze!“Es soll erreicht werden, die Zahl der Kassensitze für Psychotherapeuten und die Kapazitäten in den kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken der Region an den gewachsenen und tatsächlichen Bedarf anzupassen.
Seit kurzem ist die Petition (Link) online. Bis Donnerstagnachmittag hatten 235 Unterstützer unterzeichnet. Um das Quorum zu erreichen, die Petition in den Landtag zu bringen, sind aber 12.000 Unterschriften nötig. „Wir werden jetzt überall dafür werben“, kündigt Katja Schönborn an. Sie ist zuversichtlich, dass das Quorum erreicht wird. Die Petition läuft sieben Monate lang bis zum 31. Oktober.
Ein Blick in die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Fachkrankenhaus Großschweidnitz bestätigt das Problem: Die 58 stationären Therapieplätze im Krankenhaus und die zusätzlich noch 40 Plätze in vier Tageskliniken in Großschweidnitz, Görlitz, Weißwasser und Hoyerswerda sind immer belegt. Im vergangenen Jahr betreute die Klinik insgesamt 671 junge Patienten – mehr geht nicht. Und selbst in schwerwiegenden Fällen ist nur in Ausnahmen eine sofortige Aufnahme möglich.
„Wir sind bemüht, zum Beispiel Kinder und Jugendliche mit schweren Essstörungen zeitnah aufzunehmen, um lebensbedrohliche Zustände zu vermeiden“, erklärt Klinik-Sprecherin Christine Biener. In den meisten Fällen gelinge das auch innerhalb von vier bis acht Wochen. In anderen Fällen, bestätigt die Sprecherin, können Wartezeiten von bis zu mehreren Monaten entstehen. Aufnahmen im Familienhaus und im Eltern-Kind-Haus hätten im Durchschnitt eine Vorlaufzeit von einem halben bis einem Jahr.
Petition: web
www.sz-link.de/petition-ksb
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