Sächsische Zeitung  (Niesky)

Ostern ist gegen alle Regeln

- Von Albrecht Bönisch mail

Der Friedhof ist für die Besucher von Sonnenaufg­ang bis Sonnenunte­rgang geöffnet.“So steht es auf einer großen Tafel am Eingang. Alle können es lesen. Die wenigsten tun es. Die Bibel erzählt aber: „Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum Grab.“Was treibt die Frau bloß an diesen Ort? „Auf dem Friedhof ist es nicht gestattet, sich sportlich zu betätigen.“So steht es erst nach einigen Absätzen in Paragraf 5 auf der Tafel. Bis dahin kommen selbst die nur selten, die doch mit dem Lesen angefangen haben. Aber man weiß ja, wie man sich auf einem Friedhof verhält. Die Bibel erzählt: „Es liefen aber die beiden miteinande­r, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zum Grab.“Was muss passiert sein, dass sich da zwei gestandene Männer einen Wettlauf auf dem Friedhof liefern?

Und Paragraf 17 bestimmt: „Die Öffnung einer Grabstätte ist nur mit Genehmigun­g des Friedhofst­rägers zulässig.“Doch der wurde ganz gewiss nicht konsultier­t, als am Ostermorge­n Maria Magdalena das Grab offen und leer vorfand und die zwei Männer an jene Stelle rannten, um nur eins zu sehen: nichts. Außer ein paar Tücher.

Ostern ist gegen die Ordnung. Und das löst Entsetzen aus. Nicht nur bei strengen Regelwächt­ern. Wir haben uns doch mit dem Sterben arrangiert. Jedenfalls ein wenig. Und wenn es eine Friedhofso­rdnung ist. Sie gibt etwas Halt, wenn der Boden unter den Füßen weggezogen ist. Da weiß ich, was ich tun muss, was ich darf und was keinem erlaubt ist. Das erleichter­t meinen Umgang mit dem Tod. Doch was, wenn die Regeln gebrochen werden? Dann ist Ostern. Alles wird auf den Kopf gestellt. Wer das Normale feiern will, braucht Ostern nicht. Der Friedhof ist nicht der letzte Ort und der Tod hat nicht das letzte Wort. Jesus lebt. Er ist auferstand­en. Daran kann ich mich wirklich halten. Und da leuchtet sogar die Friedhofso­rdnung. Im Sonnenlich­t. Und der Frieden, der diesem Ort seinen Namen gibt. Den wir so sehr brauchen.

Albrecht Bönisch ist Pfarrer im Pfarrspren­gel Am Bärwalder See pfarrer@kirche-kreba.de

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