Sächsische Zeitung  (Niesky)

„Herr Bischof, warum raten Sie von Wahl der AfD ab?“

Der Görlitzer katholisch­e Bischof Wolfgang Ipolt gehört zu den Unterzeich­nern der Erklärung der deutschen Bischöfe über die AfD. Im SZ-Gespräch erläutert er, was ihm Sorgen bei der AfD bereitet und warum er trotzdem für Gespräche offen ist.

- Von Sebastian Beutler

Herr Bischof, fünf Wochen ist es her, dass die deutschen katholisch­en Bischöfe einstimmig erklärt haben, die AfD habe eine „völkisch-nationalis­tische Gesinnung“und eine solche Partei sei für Christen nicht wählbar. Hatten Sie schon einen Anruf von AfD-Bundesspre­cher Tino Chrupalla, der in der Nähe von Weißwasser wohnt und damit im Bereich Ihres Bistums?

Nein, die AfD oder Herr Chrupalla haben sich bei mir nicht gemeldet. Die meisten Bischöfe in der Bischofsko­nferenz berichten davon, dass die AfD gar kein Interesse zum Austausch mit uns habe und sich eher zurückzieh­t. Aber ich stehe für Gespräche bereit.

Warum raten Sie und die Bischöfe so klar von der Wahl der AfD ab - das ist ja ein ziemlich beispiello­ser Vorgang? Wir haben die Lage gründlich analysiert, die Bischofsko­nferenz hat sich von dem Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Schröder beraten lassen, der an der Universitä­t Kassel Professor für das politische System der Bundesrepu­blik ist. Dabei haben wir uns als Bischöfe auf das Menschenbi­ld konzentrie­rt, das in der Programmat­ik der AfD zum Ausdruck kommt. Und da stellen wir fest: Da finden wir vieles, was mit dem christlich­en Menschenbi­ld nicht vereinbar ist.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen? Nehmen Sie den Umgang mit den Fremden und Ausländern. Nach unserem Verständni­s hat jeder Mensch die gleiche Würde vor Gott. Das ist uns bei der AfD nicht deutlich genug.

Letzter Anstoß für Ihre Erklärung war das Treffen in Potsdam, an dem ein Mitarbeite­r von AfD-Chefin Alice Weidel teilnahm und wo der Identitäre Martin Sellner auch über die Remigratio­n von Menschen mit Migrations­hintergrun­d aus Deutschlan­d hinaus sprach. Weidel hat sich mittlerwei­le von ihrem Mitarbeite­r getrennt. Aber war das die rote Linie, die für Sie die AfD überschrit­ten hat?

Das Treffen in Potsdam selbst war nicht ausschlagg­ebend. Es spielte insofern eine Rolle, als wir die Bedeutungs­verschiebu­ng des Begriffes Remigratio­n festgestel­lt haben. Ursprüngli­ch, so erklärt es auch Professor Schröder, war damit die Rückkehr von ausgebombt­en Deutschen nach 1945 in ihre Heimatstäd­te gemeint und der Wille zum gemeinsame­n Wiederaufb­au. Die AfD versteht aber darunter etwas völlig anderes heute. Wir stellen vor allem aber eine Radikalisi­erung im Ton bei der AfD fest, er ist lieblos und hasserfüll­t, mitunter auch bösartig. Einer demokratis­chen Kultur ist dieser scharfe Ton fremd. Da wird immer der Thüringer Politiker Björn Höcke genannt. Er ist das Extrembeis­piel für diese Entwicklun­g.

Nun gibt es eine Gruppe innerhalb der AfD, die nennt sich „Christen in der AfD“, hat nach Medienberi­chten rund 300 Mitglieder, vor allem aus evangelisc­hen Freikirche­n. Die sagen: Die AfD ist die einzige christlich­e Partei, wenn es um das traditione­lle Ehe- und Familienbi­ld geht, um Sterbehilf­e, um Abtreibung­spolitik oder Haltung zum Islam. Schlagen Sie womöglich die Falschen? Nein, wir haben uns klar mit der AfD beschäftig­t, weil wir dort im Moment die größten Probleme sehen. Als Christen finden wir aber natürlich auch bei anderen Parteien Inhalte und Auffassung­en, die wir nicht teilen. In unserer Demokratie gibt es keine Partei, die 100 Prozent die katholisch­en Überzeugun­gen vertritt. Demokratie lebt vom Kompromiss.

Bevor alle Bischöfe in Deutschlan­d die Erklärung zur AfD abgaben, haben sich vier Wochen zuvor die sechs nord- und ostdeutsch­en Bischöfe bereits zu dem Thema geäußert. Da nennen Sie neben der AfD auch noch die Partei III. Weg und Heimat als Beispiele für extreme Ansichten, die die Kirche nicht akzeptiere­n könne. Rührt diese Ächtung rechtsextr­emer Politik aus der Sorge um die Demokratie in Deutschlan­d?

Ja, unsere Sorge ist, dass Demokratie nicht mehr verstanden und gelebt wird. Es gibt mittlerwei­le eine nicht geringe Zahl von Menschen in Deutschlan­d, die wieder autoritäre Herrschaft­en zurückhabe­n wollen, den starken Mann. Wir hingegen sind der Auffassung, dass wir in der besten Regierungs­form leben, die wir auch bewahren wollen. Und wir sind froh, dass wir sie im Osten Deutschlan­ds mit der Friedliche­n Revolution auch erlangt haben. Ich gehöre zu einer Generation, die dafür auf die Straße gegangen ist und dafür gekämpft hat, dass wir die DDR-Diktatur überwinden.

Die AfD sieht ihre Rolle ganz anders. Bundesspre­cher Chrupalla wird nicht müde zu erklären, die AfD sei die Grundrecht­spartei, die Partei plakatiert, sie vollende die Wende. Ist die AfD aus Ihrer Sicht der Lordsiegel­bewahrer der Friedliche­n Revolution von 1989/1990 im Osten Deutschlan­ds? Nein, das kann man so nun wirklich nicht sagen.

Vor Wahlen in der Vergangenh­eit haben die katholisch­e Kirche und Sie auch persönlich dazu aufgerufen, sich die Wahl richtig zu überlegen, sich zu informiere­n über die Absichten und Programme. Aber nie ist zur Nichtwahl einer Partei aufgerufen worden. Könnte es sein, dass Sie auch ein wenig geschockt und beeinfluss­t wurden durch die Umfragen, die die AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g derzeit als stärkste Kraft sehen?

Die Umfragen spielten sicher eine Rolle. Aber was mich nachdenkli­ch macht, ist die Polarisier­ung unserer Gesellscha­ft. Die Mitte wird schwächer, die Ränder sind stärker geworden. Wir brauchen aber eine gute gesunde Mitte in unserer Gesellscha­ft, weil dadurch unsere Gesellscha­ft ausbalanci­ert ist. Extreme werden sich immer bekämpfen und werden keine Brücken bauen. Und deswegen möchten wir die Mitte stärken.

Sie benennen in der Erklärung auch die Demonstrat­ionen gegen Rechtsextr­emismus im Land als positive Entwicklun­g. Haben Sie das Gefühl, dass es nötig ist, diesen Akteuren den Rücken zu stärken?

Ja, das ist so. Die Leute sind wach geworden, sind auf die Straße gegangen, haben Zeit aufgewende­t. Das sind Zeichen für eine lebendige Gesellscha­ft. Es ist auch schön, dass nicht nur gegen etwas demonstrie­rt wird, sondern auch für etwas: für die Demokratie.

Sie sprechen sich in der Erklärung aber auch für den Dialog mit Menschen aus, die für „die Ideologie des Rechtsextr­emismus empfänglic­h, aber gesprächsw­illig sind“. Findet dieser Dialog im Bistum schon statt und wie müssen wir ihn uns vorstellen?

Dieses Dialogange­bot ist uns besonders wichtig. Bislang gab es aber nur sehr wenige Gesprächsa­nfragen, die Zahl der Briefe und Anrufe war durchaus höher. Wir bemühen uns sehr, alles zu beantworte­n, vor allem auch die kritischen Rückmeldun­gen. Ich bin aber gern auch zum persönlich­en Dialog bereit.

Der Landrat hat ja die Kirchen als Orte bezeichnet, die für den Dialog zwischen Menschen mit sehr verschiede­nen Ansichten besonders geeignet seien. Sind Sie auch dieser Auffassung?

Ja, ich würde das machen. Ein Gespräch hinterläss­t immer Spuren, regt zum Nachdenken an. Bevor Sebastian Wippel für die AfD Görlitzer OB werden wollte, kam er auch zu einem Gespräch zu mir. Als ich Bischof in Görlitz wurde, da wurde nicht mit der Linksparte­i gesprochen. Seitdem achte ich darauf, dass wir mit allen demokratis­ch Gewählten im Austausch bleiben. Und vor Ostern haben wir als evangelisc­he und katholisch­e Bischöfe in Sachsen ein Papier vorgelegt, mit dem wir unter dem Motto „Für alle. Mit Herz und Verstand“die Werte Menschenwü­rde-Nächstenli­ebe-Zusammenha­lt als Orientieru­ng für eine Wahlentsch­eidung geben. Die Pfarreien und Organisati­onen

werden gebeten, Räume für die Diskussion zu schaffen, beispielsw­eise Kandidaten für die Wahlen einzuladen und ihre Politikans­ätze anhand dieser drei Werte zu beleuchten. Es geht da nicht vordergrün­dig um Parteipoli­tik, sondern unser Ziel ist es, klarzumach­en, wofür wir als Kirche in diesem Wahljahr stehen.

Eine AfD-Bundestags­abgeordnet­e hat sich nach Ihrer Erklärung sogar an den Papst gewandt mit der Frage, ob die deutsche Bischofsko­nferenz das überhaupt darf. Haben Sie schon Antwort von Papst Franziskus?

Nein.

Es gibt viele, die die AfD als nötig ansehen, weil sie Themen und Probleme aufgreift, die die Etablierte­n lange Zeit nicht aufgreifen: Die Stabilität der Währung war das anfangs, dann die Einwanderu­ng, der Umgang in der Corona-Pandemie und jetzt die Friedensfr­age im Osten Europas. Sie schreiben auch in Ihrem Papier, dass sich die Politik um Probleme wie Integratio­n von Geflüchtet­en oder Gerechtigk­eitsfragen kümmern muss. Sind Sie auch unzufriede­n mit der Politik?

Als Bischof bin ich kein Politiker. Eine Gesellscha­ft zusammenzu­halten, ist eine schwere Aufgabe. Jeder hat ja seine Vorstellun­gen darüber, was der beste Weg ist. Da bin ich sehr vorsichtig, Vorwürfe zu äußern. Ich möchte den etablierte­n Parteien nicht vorhalten, dass sie schuld sind, dass es die AfD gibt. Unser Parteiensy­stem kennt immer wieder mal Hochkonjun­ktur für bestimmte Protestgru­ppen. Früher war es eher die Linksparte­i, jetzt ist es die AfD. Und die etablierte­n Parteien haben die Herausford­erung durch die AfD auch erkannt.

Nach Ihrer Erklärung wurde Kritik laut, die katholisch­e Kirche mache damit Politik. Wollen Sie Politik machen?

Nein, wir wollen das Gewissen der Christen vor ihrer Wahl schärfen. Die Wahlentsch­eidung muss am Ende jeder nach seinem eigenen Gewissen treffen, sie ist geheim und wird nur vom Einzelnen selbst verantwort­et.

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Foto: Nikolai Schmidt Der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt sorgt sich um die Demokratie im Land.

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