„Herr Bischof, warum raten Sie von Wahl der AfD ab?“
Der Görlitzer katholische Bischof Wolfgang Ipolt gehört zu den Unterzeichnern der Erklärung der deutschen Bischöfe über die AfD. Im SZ-Gespräch erläutert er, was ihm Sorgen bei der AfD bereitet und warum er trotzdem für Gespräche offen ist.
Herr Bischof, fünf Wochen ist es her, dass die deutschen katholischen Bischöfe einstimmig erklärt haben, die AfD habe eine „völkisch-nationalistische Gesinnung“und eine solche Partei sei für Christen nicht wählbar. Hatten Sie schon einen Anruf von AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, der in der Nähe von Weißwasser wohnt und damit im Bereich Ihres Bistums?
Nein, die AfD oder Herr Chrupalla haben sich bei mir nicht gemeldet. Die meisten Bischöfe in der Bischofskonferenz berichten davon, dass die AfD gar kein Interesse zum Austausch mit uns habe und sich eher zurückzieht. Aber ich stehe für Gespräche bereit.
Warum raten Sie und die Bischöfe so klar von der Wahl der AfD ab - das ist ja ein ziemlich beispielloser Vorgang? Wir haben die Lage gründlich analysiert, die Bischofskonferenz hat sich von dem Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder beraten lassen, der an der Universität Kassel Professor für das politische System der Bundesrepublik ist. Dabei haben wir uns als Bischöfe auf das Menschenbild konzentriert, das in der Programmatik der AfD zum Ausdruck kommt. Und da stellen wir fest: Da finden wir vieles, was mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar ist.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen? Nehmen Sie den Umgang mit den Fremden und Ausländern. Nach unserem Verständnis hat jeder Mensch die gleiche Würde vor Gott. Das ist uns bei der AfD nicht deutlich genug.
Letzter Anstoß für Ihre Erklärung war das Treffen in Potsdam, an dem ein Mitarbeiter von AfD-Chefin Alice Weidel teilnahm und wo der Identitäre Martin Sellner auch über die Remigration von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland hinaus sprach. Weidel hat sich mittlerweile von ihrem Mitarbeiter getrennt. Aber war das die rote Linie, die für Sie die AfD überschritten hat?
Das Treffen in Potsdam selbst war nicht ausschlaggebend. Es spielte insofern eine Rolle, als wir die Bedeutungsverschiebung des Begriffes Remigration festgestellt haben. Ursprünglich, so erklärt es auch Professor Schröder, war damit die Rückkehr von ausgebombten Deutschen nach 1945 in ihre Heimatstädte gemeint und der Wille zum gemeinsamen Wiederaufbau. Die AfD versteht aber darunter etwas völlig anderes heute. Wir stellen vor allem aber eine Radikalisierung im Ton bei der AfD fest, er ist lieblos und hasserfüllt, mitunter auch bösartig. Einer demokratischen Kultur ist dieser scharfe Ton fremd. Da wird immer der Thüringer Politiker Björn Höcke genannt. Er ist das Extrembeispiel für diese Entwicklung.
Nun gibt es eine Gruppe innerhalb der AfD, die nennt sich „Christen in der AfD“, hat nach Medienberichten rund 300 Mitglieder, vor allem aus evangelischen Freikirchen. Die sagen: Die AfD ist die einzige christliche Partei, wenn es um das traditionelle Ehe- und Familienbild geht, um Sterbehilfe, um Abtreibungspolitik oder Haltung zum Islam. Schlagen Sie womöglich die Falschen? Nein, wir haben uns klar mit der AfD beschäftigt, weil wir dort im Moment die größten Probleme sehen. Als Christen finden wir aber natürlich auch bei anderen Parteien Inhalte und Auffassungen, die wir nicht teilen. In unserer Demokratie gibt es keine Partei, die 100 Prozent die katholischen Überzeugungen vertritt. Demokratie lebt vom Kompromiss.
Bevor alle Bischöfe in Deutschland die Erklärung zur AfD abgaben, haben sich vier Wochen zuvor die sechs nord- und ostdeutschen Bischöfe bereits zu dem Thema geäußert. Da nennen Sie neben der AfD auch noch die Partei III. Weg und Heimat als Beispiele für extreme Ansichten, die die Kirche nicht akzeptieren könne. Rührt diese Ächtung rechtsextremer Politik aus der Sorge um die Demokratie in Deutschland?
Ja, unsere Sorge ist, dass Demokratie nicht mehr verstanden und gelebt wird. Es gibt mittlerweile eine nicht geringe Zahl von Menschen in Deutschland, die wieder autoritäre Herrschaften zurückhaben wollen, den starken Mann. Wir hingegen sind der Auffassung, dass wir in der besten Regierungsform leben, die wir auch bewahren wollen. Und wir sind froh, dass wir sie im Osten Deutschlands mit der Friedlichen Revolution auch erlangt haben. Ich gehöre zu einer Generation, die dafür auf die Straße gegangen ist und dafür gekämpft hat, dass wir die DDR-Diktatur überwinden.
Die AfD sieht ihre Rolle ganz anders. Bundessprecher Chrupalla wird nicht müde zu erklären, die AfD sei die Grundrechtspartei, die Partei plakatiert, sie vollende die Wende. Ist die AfD aus Ihrer Sicht der Lordsiegelbewahrer der Friedlichen Revolution von 1989/1990 im Osten Deutschlands? Nein, das kann man so nun wirklich nicht sagen.
Vor Wahlen in der Vergangenheit haben die katholische Kirche und Sie auch persönlich dazu aufgerufen, sich die Wahl richtig zu überlegen, sich zu informieren über die Absichten und Programme. Aber nie ist zur Nichtwahl einer Partei aufgerufen worden. Könnte es sein, dass Sie auch ein wenig geschockt und beeinflusst wurden durch die Umfragen, die die AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg derzeit als stärkste Kraft sehen?
Die Umfragen spielten sicher eine Rolle. Aber was mich nachdenklich macht, ist die Polarisierung unserer Gesellschaft. Die Mitte wird schwächer, die Ränder sind stärker geworden. Wir brauchen aber eine gute gesunde Mitte in unserer Gesellschaft, weil dadurch unsere Gesellschaft ausbalanciert ist. Extreme werden sich immer bekämpfen und werden keine Brücken bauen. Und deswegen möchten wir die Mitte stärken.
Sie benennen in der Erklärung auch die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus im Land als positive Entwicklung. Haben Sie das Gefühl, dass es nötig ist, diesen Akteuren den Rücken zu stärken?
Ja, das ist so. Die Leute sind wach geworden, sind auf die Straße gegangen, haben Zeit aufgewendet. Das sind Zeichen für eine lebendige Gesellschaft. Es ist auch schön, dass nicht nur gegen etwas demonstriert wird, sondern auch für etwas: für die Demokratie.
Sie sprechen sich in der Erklärung aber auch für den Dialog mit Menschen aus, die für „die Ideologie des Rechtsextremismus empfänglich, aber gesprächswillig sind“. Findet dieser Dialog im Bistum schon statt und wie müssen wir ihn uns vorstellen?
Dieses Dialogangebot ist uns besonders wichtig. Bislang gab es aber nur sehr wenige Gesprächsanfragen, die Zahl der Briefe und Anrufe war durchaus höher. Wir bemühen uns sehr, alles zu beantworten, vor allem auch die kritischen Rückmeldungen. Ich bin aber gern auch zum persönlichen Dialog bereit.
Der Landrat hat ja die Kirchen als Orte bezeichnet, die für den Dialog zwischen Menschen mit sehr verschiedenen Ansichten besonders geeignet seien. Sind Sie auch dieser Auffassung?
Ja, ich würde das machen. Ein Gespräch hinterlässt immer Spuren, regt zum Nachdenken an. Bevor Sebastian Wippel für die AfD Görlitzer OB werden wollte, kam er auch zu einem Gespräch zu mir. Als ich Bischof in Görlitz wurde, da wurde nicht mit der Linkspartei gesprochen. Seitdem achte ich darauf, dass wir mit allen demokratisch Gewählten im Austausch bleiben. Und vor Ostern haben wir als evangelische und katholische Bischöfe in Sachsen ein Papier vorgelegt, mit dem wir unter dem Motto „Für alle. Mit Herz und Verstand“die Werte Menschenwürde-Nächstenliebe-Zusammenhalt als Orientierung für eine Wahlentscheidung geben. Die Pfarreien und Organisationen
werden gebeten, Räume für die Diskussion zu schaffen, beispielsweise Kandidaten für die Wahlen einzuladen und ihre Politikansätze anhand dieser drei Werte zu beleuchten. Es geht da nicht vordergründig um Parteipolitik, sondern unser Ziel ist es, klarzumachen, wofür wir als Kirche in diesem Wahljahr stehen.
Eine AfD-Bundestagsabgeordnete hat sich nach Ihrer Erklärung sogar an den Papst gewandt mit der Frage, ob die deutsche Bischofskonferenz das überhaupt darf. Haben Sie schon Antwort von Papst Franziskus?
Nein.
Es gibt viele, die die AfD als nötig ansehen, weil sie Themen und Probleme aufgreift, die die Etablierten lange Zeit nicht aufgreifen: Die Stabilität der Währung war das anfangs, dann die Einwanderung, der Umgang in der Corona-Pandemie und jetzt die Friedensfrage im Osten Europas. Sie schreiben auch in Ihrem Papier, dass sich die Politik um Probleme wie Integration von Geflüchteten oder Gerechtigkeitsfragen kümmern muss. Sind Sie auch unzufrieden mit der Politik?
Als Bischof bin ich kein Politiker. Eine Gesellschaft zusammenzuhalten, ist eine schwere Aufgabe. Jeder hat ja seine Vorstellungen darüber, was der beste Weg ist. Da bin ich sehr vorsichtig, Vorwürfe zu äußern. Ich möchte den etablierten Parteien nicht vorhalten, dass sie schuld sind, dass es die AfD gibt. Unser Parteiensystem kennt immer wieder mal Hochkonjunktur für bestimmte Protestgruppen. Früher war es eher die Linkspartei, jetzt ist es die AfD. Und die etablierten Parteien haben die Herausforderung durch die AfD auch erkannt.
Nach Ihrer Erklärung wurde Kritik laut, die katholische Kirche mache damit Politik. Wollen Sie Politik machen?
Nein, wir wollen das Gewissen der Christen vor ihrer Wahl schärfen. Die Wahlentscheidung muss am Ende jeder nach seinem eigenen Gewissen treffen, sie ist geheim und wird nur vom Einzelnen selbst verantwortet.