„Wir müssen wieder mehr anpacken“
Helmut Goltz ist seit wenigen Tagen Vorsitzender des Görlitzer Unternehmerverbandes. Er fordert ein Umdenken.
Herr Goltz, vor 20 Jahren kamen Polen, Tschechien, das Baltikum zur EU. Was bedeutete das für die Görlitzer Wirtschaft?
Auf jeden Fall eine Öffnung und eine Bereicherung. Die Wirtschaft hatte alle Möglichkeiten, sich selbstständig zu entwickeln.
Wenn man sich die Entwicklung bei Alstom oder auch bei Siemens anschaut, dann waren es aber nicht nur gute 20 Jahre für Görlitzer Unternehmen.
Nein. Wir sind sehr euphorisch gestartet, fühlten uns überlegen. Nach 20 Jahren hat sich das stark relativiert: Länder wie Polen und Tschechien sind hungrig nach Erfolg und Wohlstand und haben auch beim Knowhow aufgeholt. Heute sagen polnische Unternehmer, es war für sie noch nie so einfach, nach Deutschland zu liefern. Sie haben technisch aufgeholt, sie sind marktorientierter und ihre Preisstruktur ist günstiger.
Aber die Region um Zgorzelec ist doch in einer ähnlichen Randlage wie Görlitz mit all diesen Problemen.
Ja, das ist wahr. Sie erleben auch die Abwanderung der jungen Generation, und wir finden jenseits der Grenze vor allem eine sehr kleinteilige Wirtschaft. Das ist ganz ähnlich wie bei uns. Der Unterschied ist das Kraftwerk und die Grube Turow. Beides macht die Region zu einem der wichtigsten Energiestandorte von Polen. Zugleich hält der Energiestandort alles am Laufen. Deswegen muss man auch verstehen, dass die Polen alles versuchen werden, um langfristig einen sanften Übergang zu einer modernen technologieoffenen Energiewirtschaft zu gestalten.
Profitiert die Görlitzer Wirtschaft vom Strukturwandel?
Wir brauchen Großbetriebe, mit denen wir wachsen können. Deswegen ist es so wichtig, dass es eine gute Standortpolitik dafür gibt. Und wir brauchen neue Produkte, mit denen es uns gelingt, auf den Märkten zu überzeugen. Mein Unternehmen, die Hanfund Drahtseilerei Goltz mit 70 Mitarbeitern, ist ein mittelständisches Unternehmen. Niemand glaubt, dass wir mit Hilfe der jetzt möglichen Förderung im Strukturwandel über den Just-Transition-Fund an allen vorbei Weltmarktführer werden. Betriebe wie wir sind darauf angewiesen, gute Beziehungen mit großen Werken zu haben, die unsere Produkte benötigen.
Aber gerade mit Großunternehmen sieht es im engeren Umfeld schlecht aus. Wenn sich die Leag aus dem Kohleabbau zurückzieht, weil es der Staat so will, dann werden da auch weniger Seile benötigt.
Das ist so. Wir haben es auch im vergangenen Jahr unter anderem mit dem Waggonbau in Niesky erlebt. Wir müssen eben neue Kooperationspartner weiter weg suchen, in Hof und München, in Kassel und Hamburg, in Walbrzych und Boleslawice.
Dort finden wir noch eine hohe Industriedichte, und da haben wir gegenüber westdeutschen Mitbewerbern auch wieder Preisvorteile.
Große deutsche Industriebetriebe wie Bosch und Mercedes Benz investieren in Niederschlesien, also gar nicht so weit weg von uns in große Werke für E-Batterien und E-Autos. Können wir davon profitieren?
Süd- und Südwestpolen wird seinem Ruf als Ruhrgebiet des Ostens wieder gerecht. Dort herrscht eine ganz andere Stimmung. Während bei uns über 4-Tage-Woche, Work-Life-Balance oder ähnliche Themen gesprochen wird, packt man da an. Wenn es da nicht ein Umdenken bei uns gibt, wenn die Wirtschaftspolitik nicht wieder unternehmerfreundlicher wird, wenn Marktwirtschaft und Wettbewerb nicht wieder bestimmende Faktoren werden, dann wird mir angst und bange. Wir reden zu viel über die Verteilung von Geld, ehe wir es erwirtschaftet haben.