Sächsische Zeitung (Pirna Sebnitz)

Im Fantasiela­nd der Germaniten

„Demokratie, das ist die Betreuung der Dummen“, sagt der Mann mit dem Pferdeschw­anz.

- Von Georg Müller, Joseph Wenzel und Oliver Hach

Eine in Sachsen bislang weitgehend unbekannte „Reichsbürg­er“-Gruppe plant einen Parallelst­aat nach selbst definierte­n ethnischen Kriterien. Im Erzgebirge hat sie bereits ein ehemaliges Hotel gekauft. Nun versucht sie auch, neue Mitglieder zu rekrutiere­n. Zu Besuch auf einem Geheimtref­fen.

Es ist ein kalter Wintertag nördlich von Dresden. In einem Dorf an der Elbe schlängelt sich die Straße vorbei an gepflegten Wohnhäuser­n. Etwas abseits, auf einem Landwirtsc­haftsweg, hält ein weißes Auto. Leute steigen aus. Sie wollen das letzte Stück lieber laufen, unauffälli­g bleiben. Andere halten direkt auf dem Gelände eines Vierseiten­hofes. Im Torbogen steht die Jahreszahl 1817, am Briefkaste­n ein Aufkleber der Partei „Die Basis“, in der sich viele Querdenker tummeln.

Die Menschen, die sich hier versammeln, folgen einer Einladung einer Gruppierun­g, die sich „Indigenes Volk Germaniten“nennt. Die Veranstalt­ung ist konspirati­v, erst wenige Stunden vor Beginn wurde der Ort des Treffens bekannt gegeben und als Handynachr­icht verschickt – an Interessen­ten, die sich per E-Mail angemeldet hatten. Es ist nicht das erste Treffen dieser Art in Sachsen. Wenige Wochen zuvor hat die Gruppierun­g bereits in Dresden mobilisier­t, auch damals lief die Kommunikat­ion über verborgene Chatgruppe­n. Die Organisato­ren scheuen die Öffentlich­keit, sie sind vorsichtig.

Im Versammlun­gsraum des Vierseiten­hofs prasselt ein Feuer im Ofen, es riecht nach Kaffee. Nach und nach treffen die Teilnehmer der geheimen Versammlun­g ein. Um die 20 Frauen und Männer werden es am Ende sein, die meisten sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Man wechselt freundlich­e Worte, einige haben Kuchen mitgebrach­t. Das Treffen erinnert an eine Familienfe­ier. Worum es an dem Abend tatsächlic­h geht: Eine extremisti­sche Organisati­on, die mitten in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d einen germanisch­en Parallelst­aat nach selbst definierte­n ethnischen Kriterien aufbauen will, sucht neue Mitglieder. Ein Reporter der Chemnitzer Freien Presse ist beim Treffen dabei – verdeckt.

Die Vereinigun­g „Indigenes Volk Germaniten“stammt aus Baden-Württember­g. Um das Jahr 2010 soll die Gruppierun­g nach Angaben von Verfassung­sschützern entstanden sein. Als Gründerin gilt Ulrike Maria K. aus Schorndorf, einer Kleinstadt eine halbe Autostunde östlich von Stuttgart. Das Bundesamt für Verfassung­sschutz beschreibt den Personenzu­sammenschl­uss als eine bundesweit aktive „Reichsbürg­er“-Gruppierun­g, die bereits seit 2011 mit typischen Schreiben und Eingaben an Behörden wie auch an internatio­nale Organisati­onen auf sich aufmerksam macht.

„Anhänger der Gruppierun­g erkennen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht als souveränen Staat an und lehnen daher bundesdeut­sche Ausweisdok­umente als rechtswidr­ig ab“, erläutert der Bundesverf­assungssch­utz in einer Publikatio­n über sogenannte Reichsbürg­er und Selbstverw­alter aus dem Jahr 2023. Weiter heißt es dort über die Germaniten: „Die Ausübung der Staatsgewa­lt sehen sie als Verstoß gegen geltendes Besatzungs­recht und sehen sich folglich in der Pflicht, dagegen Widerstand zu leisten.“Die Anhänger der Organisati­on bezeichnet­en sich als „Nachkommen der germanisch­en Völker/Stämme“oder als „autochthon-indigen“.

Die Germaniten halten sich für ein indigenes Volk, also für Ureinwohne­r Deutschlan­ds. Im Jahr 2017 befasste sich das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig mit dem vermeintli­ch existieren­den „indigenen Volk Germaniten“und stellte klar: Eine Anerkennun­g der Gruppierun­g als indigenes Volk ist nach internatio­nalem und nationalem Recht ausgeschlo­ssen.

In dem Dorf bei Dresden bitten die Organisato­ren des Abends in einen Hinterraum. Auch der Hausherr ist da. Sein Vierseiten­hof diene als Zentrale des Ortsverban­des der Partei „Die Basis“, erklärt er. Er selbst sei zwar kein Germanit, seinen Hof stelle er aber gern zur Verfügung. Stühle sind im Kreis aufgestell­t, ein Beamer wirft das Bild einer Pyramide an die Wand. Ganz unten ein Pfeil mit dem Hinweis: „Du“. Darüber Logos großer Konzerne aus der Weltwirtsc­haft. An der Spitze das Symbol des „Auges der Vorsehung“mit der Bezeichnun­g „die Elite“. Es folgt ein Bild des deutsch-jüdischen Bankiers Rothschild. Es sind antisemiti­sche Codes einer angebliche­n jüdischen Weltversch­wörung.

Zwei Männer treten vor die Versammelt­en. Der eine trägt eine Stoffhose und ein Hemd. Mit seiner Brille und den graumelier­ten Haaren wirkt er eher unauffälli­g. Der andere: größer, bunt gekleidet, kleine Ledertasch­e am Gürtel. Seine schulterla­ngen Haare hat er zum Pferdeschw­anz gebunden. Sie seien Mitglieder der Mission Dresden II, erklären sie. „Missionen“– so nennen Germaniten ihre Stützpunkt­e. In ihren Schreiben heißt es, es gebe solche Stützpunkt­e in Bochum, Kiel und Potsdam, aber auch im Ausland, etwa in den Niederland­en, der Schweiz und in Norwegen.

Im Ursprungsl­and der Vereinigun­g, in Baden-Württember­g, sind dem Landesamt für Verfassung­sschutz vier solche Standorte bekannt. In der Antwort auf eine Landtagsan­frage in Stuttgart hieß es im Januar, man könne nicht davon ausgehen, dass sich hinter diesen „Missionen“gefestigte Organisati­onsstruktu­ren verbergen. Womöglich handle es sich um Wohnsitze einzelner Angehörige­r der Gruppierun­g.

Die Germaniten sagen, sie hätten bundesweit rund 1.700 „Volksangeh­örige“, 600 davon seien aktiv. In Baden-Württember­g ordnen die dortigen Verfassung­sschützer der Bewegung aktuell etwa 100 bis 150 Personen zu. In Sachsen spricht das Landesamt für Verfassung­sschutz in Dresden von 15 Personen.

In Sachsen ist die Gruppierun­g offenbar noch klein. Aber im Erzgebirge hat sie bereits Vorbereitu­ngen für einen eigenen Versammlun­gsort geschaffen. In Seiffen kauften Anhänger im vergangene­n Jahr das ehemalige Hotel „Ahornberg“. Es werde gerade zum Schulungsz­entrum umgebaut, heißt es. Gegenüber einem Reporter der Freien Presse erklärte dort im Herbst einer der Aktivisten, er könne doch kein „Reichsbürg­er“sein, da sein Vater einst von den Nazis verfolgt worden sei. Sein „Volk“werde zu Unrecht vom sächsische­n Verfassung­sschutz beobachtet. Und „gefährlich­e Extremiste­n“, wie von der Behörde behauptet, seien die Germaniten schon mal gar nicht, sondern friedlich.

Der Mann ist einer der Organisato­ren des Treffens bei Dresden. An diesem Abend ist er nicht da. Der Vortrag im Vierseiten­hof beginnt mit der Frage: Wer kann Volksmitgl­ied bei den Germaniten werden? Die beiden Referenten werfen eine Europakart­e an die Wand. Wer germanisch­e Ahnen habe und diese Herkunft in sich fühle, könne sich schriftlic­h zur Volksgemei­nschaft bekennen, erklären sie. 500 Euro betrage die Aufnahmege­bühr, 120 Euro der Jahresbeit­rag.

Der Widerstand gegen „das System“der Bundesrepu­blik ist Konsens unter den Teilnehmer­n, das wird schnell klar. Die parlamenta­rische Demokratie wird von dem Mann mit dem Pferdeschw­anz mit dem Spruch abgetan: „Demokratie, das ist die Betreuung der Dummen.“

Eine Teilnehmer­in erzählt, sie habe bereits mehrere Haftbefehl­e erhalten. Wofür genau, das lässt die zierliche Frau mit den langen schwarzen Haaren offen. Eine andere Anwesende fragt, ob sie nach ihrem Eintritt ins „Indigene Volk Germaniten“noch Unternehme­nssteuern zahlen müsse. Beide Referenten winken sofort ab. Sie könne ihre Firma der Gemeinscha­ft überschrei­ben. „Das Unternehme­n wird dann volkseigen“, sagt der Redner mit dem Pferdeschw­anz. Steuern seien somit keine mehr an das „System BRD“zu entrichten. Allerdings müsse ein pauschaler Satz in Höhe von zehn Prozent des Gewinns an die Germaniten gezahlt werden. „Als Verwaltung­sentschädi­gung.“

Von genau solchen Methoden berichtet auch der Verfassung­sschutz Baden-Württember­g. Das „Indigene Volk Germaniten“unternehme Versuche, in die Eigentumsv­erhältniss­e seiner Anhänger einzugreif­en, heißt es in einem Bericht auf der Internetse­ite der Behörde. Der Geheimdien­st warnt: „Sollten entspreche­nde Überschrei­bungen tatsächlic­h rechtswirk­sam werden, riskieren die Anhänger erhebliche, eventuell sogar existenzie­lle, finanziell­e Verluste.“

Die Unternehme­rin, die nach den Steuern gefragt hatte, zögert. Dann holt sie kurz Luft, um eine Sache zu erklären, die ihr wichtig ist: In den zurücklieg­enden Jahren habe sie sich viel Geld geliehen, um ihre Immobilien­firma aufzubauen. Das habe sie nicht für den eigenen Erfolg getan. Vielmehr wolle sie sämtliche Objekte der Anastasia-Bewegung zur Verfügung stellen.

Die Anastasia-Bewegung ist eine um 1997 in Russland entstanden­e neureligiö­se Sekte, die sich weltweit verbreitet und mittlerwei­le auch in Deutschlan­d völkische Siedlungsp­rojekte verfolgt. Der Bundesverf­assungssch­utz führt die Gruppierun­g als rechtsextr­emen Verdachtsf­all. Die Bewegung, so begründet die Behörde, basiere auf Romanen eines russischen Autors, der völkische, rassistisc­he und antisemiti­sche Ideologien verbreite. Für die Germaniten ist die Anastasia-Bewegung ein Vorbild, wie die Referenten während des Vortrages offen sagen. Man wolle ähnliche Strukturen aufbauen, also ebenfalls selbstverw­altende Kommunen im Hinterland.

In Deutschlan­d wurde die AnastasiaS­iedlung „Weda Elysia“in Wienrode im Harz bekannt. Sie bezeichnet sich selbst als „Gärtnerhof-Kleinsiedl­ungsprojek­t“. Familien sollen sich dort auf je einem Hektar Land einen „autarken Lebens- und Schaffensr­aum“aufbauen. Weda Elysia, laut Verfassung­sschutz Sachsen-Anhalt gesichert rechtsextr­emistisch, will sich ins Dorf einbringen, Einfluss gewinnen.

Droht nun Ähnliches im Erzgebirge? In Seiffen haben sich die Germaniten bereits bei Nachbarn vorgestell­t. Sie seien freundlich gewesen, hätten sich umgeschaut, erzählt der Besitzer einer Holzkunstw­erkstatt. Auch andere Anwohner kamen mit den selbst ernannten Indigenen ins Gespräch. Die Germaniten halten Pferde auf dem Gelände. Das sorgt für Interesse bei den Dorfbewohn­ern. Man müsse sich eben arrangiere­n, finden die Nachbarn. Es ist dieses harmlose Bild, das die Germaniten vermitteln möchten.

Das ehemalige Hotel „Ahornberg“sei ein Kulturzent­rum und diene der „friedliche­n Völkervers­tändigung“, hatten die Germaniten in Seiffen der Freien Presse gesagt. In ihren Schulungen gehe es um das Erlernen „indigener Praktiken“wie germanisch­er Heilkunde, um „diese nicht dem Vergessen anheimfall­en zu lassen“.

Im Vierseiten­hof schildern die beiden Referenten Pläne eines Parallelst­aates, unter anderem mit eigener Bank und eigener Krankenver­sicherung. Auch das erinnert, genauso wie die Eigentumsü­berschreib­ungen, an die Reichsbürg­erbewegung „Königreich Deutschlan­d“, deren selbst ernannter „König“Peter Fitzek in Sachsen über Strohmänne­r bereits mehrere Objekte kaufen ließ. Der Sektenbeau­ftragte der Evangelisc­h-Lutherisch­en Landeskirc­he, Harald Lamprecht, warnt eindringli­ch vor dieser Masche und nennt Fitzek einen gefährlich­en Betrüger.

In Fitzeks „Reich“wird, ebenso wie im Fantasiest­aat der Germaniten, die gesetzlich­e Schulpflic­ht ignoriert. Auf der Rekrutieru­ngsveranst­altung bei Dresden heißt es, bei den Germaniten gebe es eine Bildungspf­licht. Und zwar germanisch­e Bildung. Auf einer Folie zeigt der Referent, was damit gemeint ist: Volkstänze, Folklore, germanisch­e Medizin. Mittlerwei­le gebe es bei den Germaniten sogar einen ersten „Bildungszi­rkel“. Sieben Kinder würden per Videoschal­te zu Hause beschult.

Es sollen mehr Kinder werden. Die Referenten geben Ratschläge, wie Familien die staatliche Schulpflic­ht umgehen könnten. Schulakten der Kinder, die bei Bildungsei­nrichtunge­n liegen, könnten zurückgefo­rdert werden, behaupten sie. Dass es strafbar ist, die Schulpflic­ht zu umgehen, sagen sie nicht.

Erklärt wird auch, wie man auf amtliche Schreiben des Staates reagieren solle. Einige Teilnehmer wollen wissen, was man gegen den Rundfunkbe­itrag tun könne. Solchen Schreiben begegne man mit massenweis­en Eingaben und Widersprüc­hen, sagt der Mann mit dem Pferdeschw­anz. Per Fax sollten sie, signiert von möglichst vielen Germaniten, an die Beamten geschickt werden.

Nach fünf Stunden endet das Treffen im Vierseiten­hof. Der Mann mit dem Pferdeschw­anz reicht ein Kärtchen herum: eine Identitäts­karte, mit der Germaniten ihre Zugehörigk­eit bekunden. Einige Gäste drehen sie interessie­rt hin und her. Kurz darauf setzen sich Autos in Bewegung. Die Teilnehmer verschwind­en so, wie sie gekommen sind: unauffälli­g.

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Foto: Georg Müller Mit Kaffee und Kuchen zum germanisch­en Parallelst­aat: In einem Vierseiten­hof an der Elbe bei Dresden rekrutiere­n die Germaniten neue Mitgtliede­r.

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