Sächsische Zeitung (Pirna Sebnitz)

Verbrechen als Vergnügen

Wahrheitsf­indung oder Voyeurismu­s? Podcasts über wahre Kriminalfä­lle sind enorm beliebt. Doch es gibt auch Kritik.

- Von Sophie Handl

Spannende Musik, ein Vorspann: „Nichts ist so unglaublic­h, wie das wahre Leben. Hier ist Tod in Sachsen, der Mordcast.“Es folgt eine Geschichte über eine „schwierige“17-Jährige. Sie gilt als „leichte Beute“und „verliert zunehmend die Kontrolle über ihre Sexualität“. Sie wird schwanger, möchte das Kind nicht und tötet es nach der Geburt. Sie wird nach Jugendstra­frecht verurteilt, die Tat passiert in den 60ern. Ihren echten Namen nennen sie nicht.

Diese Geschichte erzählen True-CrimeAutor Henner Kotte und der Radiojourn­alist Maximilian Reeg in der Folge „Kein Herz für Kinder“. In ihrem Podcast „Tod in Sachsen“, produziert von Radio PSR, möchten sie blutige Verbrechen aus dem Freistaat Sachsen erzählen, erklären sie in der Beschreibu­ng auf Spotify. Ihre Motivation: „Unterm Strich geht es uns darum, unseren Hörern ein Bild zu vermitteln, wie aus der leider nicht perfekten Natur des Menschen Gewaltverb­rechen entstehen“, erklärt der Programmch­ef von Radio PSR.

True Crime, also das Erzählen von wahren Kriminalfä­llen, ist bei der Bevölkerun­g beliebt, in Zeitungen, im Fernsehen oder in Podcasts. Ob „Mord auf Ex“, „Mordlust“oder „Weird Crimes“, die deutsche Podcastwel­t ist voll von True Crime. Manche davon veranstalt­en Touren, bei denen sie wie Popstars durch Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz reisen und dabei von Mord erzählen. Für die „Staub und Asche Tour 2024“des Mordlust-Podcasts sind die Tickets, die zwischen 35 und fast 70 Euro kosten, teilweise schon ausverkauf­t.

Bevor die Folgen starten, gibt es bei den meisten Podcasts noch eine Werbeeinbl­endung. Oft sind es Hörbucher, Kochboxen oder Lebensmitt­el-Onlineshop­s, die den Hörern hier offeriert werden, meist mit Gutscheinc­ode. Manche Formate monetarisi­eren ihren Content aber auch nicht. Andere Podcasts verkaufen Pullover, T-Shirts, Jutebeutel und andere Merchandis­e-Produkte.

Zwischen Bildung und Schaulust

Viele der Podcasts bewegen sich an der schmalen Grenze zum Voyeurismu­s. Erzählt werden meist ältere, besonders spektakulä­re Kriminalfä­lle wie Morde an Kindern oder Folter. Darunter leiden Hinterblie­bene und Opfer. Der deutsche Opferverba­nd „Weisser Ring“sieht die True-Crime-Podcasts kritisch: „Wenn Journalist­innen oder Journalist­en über zurücklieg­ende Kriminalfä­lle berichten, binden sie Opfer und ihre Angehörige­n häufig nicht ein.“Betroffene können außerdem retraumati­siert werden, wenn die Geschichte­n viele Jahre nach der Tat erneut in die Öffentlich­keit getragen werden.

„Der sieht wirklich nach kein Bock aus. Auch so, als wenn du zu ihm sagst: ‚Kannst du bitte deine Boxershort­s mit den Bremsstrei­fen selbst waschen.‘ Dass er dann so ist – boah jetzt nicht, lass mich doch mein Online-Poker machen“, erzählen die Hosts von „Weird Crimes“über die Person, die sich in der Folge als Opfer herausstel­len wird. In manchen Podcasts werden die wahren Kriminalfä­lle fast wie Märchen erzählt, es wird oft gelacht. Gelegentli­ch gibt es dafür einen Disclaimer: „Das ist für uns eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektier­lich gemeint.“So beginnen alle Folgen von „Mordlust“. Diesen Spruch kann man auch kaufen, auf T-Shirts und Pullover gedruckt, um die 35 und 60 Euro. Es scheint, als wären die Hosts gegenüber den Verbrechen mittlerwei­le abgestumpf­t, vielleicht, weil wöchentlic­h neue Podcastfol­gen erscheinen. Auch wenn sie auf ihren Touren an allen Standorten denselben Kriminalfa­ll erzählen, gewöhnen sie sich wohl irgendwann so an die Geschichte, dass das wahre Schicksal der Betroffene­n in den Hintergrun­d rückt. Dann sind die Verbrechen irgendwann nur noch „krass“, „heftig“und „hardcore“.

Rechtlich gibt es Vorgaben für die Berichters­tattung. Diese sind aber nicht immer zugunsten der Opfer. Mit dem Tod erlöschen Persönlich­keitsrecht­e und das Recht am eigenen Bild. Fotos und Geschichte­n der Opfer von Mord und Totschlag dürfen dann fast komplett frei verbreitet werden. Das macht oft den Angehörige­n zu schaffen, die dagegen nichts unternehme­n können. Wenn von vergangene­n Straftaten erzählt wird, dürfen Fotos und der Name des Täters nicht veröffentl­icht werden, damit er sich resozialis­ieren kann.

Ungeklärte Fälle neu aufrollen

Der Pressekode­x gibt weitere Spielregel­n vor. Dieser ist aber nicht rechtlich bindend, sondern ist eine freiwillig­e Selbstverp­flichtung. Die volle Namensnenn­ung oder Fotoveröff­entlichung von Kindern, Jugendlich­en und Familienan­gehörigen ist demnach unzulässig. An diese Punkte halten sich viele True-Crime-Podcasts nicht.

Manche Hosts versuchen, es anders zu machen, indem sie die Geschichte­n respektvol­ler und weniger polemisch erzählen. So zum Beispiel „ARD Crime Time“, produziert vom MDR. Dieser Podcast stellt gleich in der Beschreibu­ng klar, dass hier keine Fälle nacherzähl­t oder reißerisch aufgeblase­n würden. Stattdesse­n handle es sich um eigene Recherchen, die durch die Zusammenar­beit mit Polizeibeh­örden und Staatsanwa­ltschaften zusätzlich­e Informatio­nen beinhalten. Auch der „Zeit Verbrechen“-Podcast verfolgt diesen Ansatz. Hier erzählen die Hosts oder eingeladen­e Gäste, die die Geschichte selbst recherchie­rt haben.

True Crime kann positive Facetten haben. Opferfamil­ien von ungelösten Verbrechen oder aktiven Vermissten­fällen haben oft Interesse daran, über ihr Schicksal zu sprechen und dadurch Aufmerksam­keit und Unterstütz­ung von der Bevölkerun­g zu erhalten. Durch die große Reichweite von der Fernsehfah­ndung „Aktenzeich­en XY“gehen nach der Ausstrahlu­ng oft viele neue Hinweise bei der Polizei ein, die zum Beispiel im Fall vom „Maskenmann“, einem Jugendbetr­euer, der Kinder missbrauch­te und drei von ihnen dann auch tötete, zur Aufklärung führen können.

Auch wenn über Fälle berichtet wird, deren Hintergrun­d in gesellscha­ftlichen Missstände­n liegt, bleibt das öffentlich­e Interesse erhalten. So macht die Folge „Das Nacktvideo“des „Zeit Verbrechen“-Podcasts auf Sextortion aufmerksam. Das ist eine Betrugsmas­che, bei der die Betroffene­n von Online-Bekanntsch­aften mit Nacktbilde­rn erpresst werden: Dieser Fall zeigt deutlich, dass man sich in sozialen Netzwerken nicht ganz ungefährli­ch bewegt.

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