Sächsische Zeitung (Riesa)

Assange darf noch einmal hoffen

Der Rechtsstre­it um den Wikileaks-Gründer geht in eine nächste Runde. Er könne nicht unmittelba­r in die USA ausgeliefe­rt werden, entschied der Londoner High Court.

- Von Maxi Beigang und Andrea Dernbach

Die Regierung in Washington will dem 52-jährigen Australier Julian Assange seit Jahren wegen Spionage den Prozess machen, Assange sieht sich wegen seiner journalist­ischen Tätigkeit strafrecht­lich verfolgt. Er sitzt deshalb seit fast genau fünf Jahren im Hochsicher­heitsgefän­gnis Belmarsh in London. Zuvor versteckte er sich sieben Jahre unter diplomatis­chem Asyl in Ecuadors Botschaft in der britischen Hauptstadt. Assanges Berufungsa­ntrag wurde laut schriftlic­hem Urteil in sechs von neun Punkten abgelehnt. Bei drei Punkten hänge es davon ab, ob sowohl die US-Behörden als auch das britische Innenminis­terium bestimmte Garantien abgeben. Dafür haben sie drei Wochen Zeit.

Konkret wird gefordert, dass die US-Regierunge­n versichert, dass sich Julian Assange wie alle US-Bürger bei seiner Verteidigu­ng auf den ersten US-Verfassung­szusatz – das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung – berufen kann. Zudem muss Washington garantiere­n, dass dem WikiLeaksG­ründer kein Todesurtei­l droht. Auch muss Assange als Australier während eines Verfahrens dieselben Rechte wie US-Bürger genießen. Die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal kritisiert solche diplomatis­chen Zusicherun­gen der USA als „von Natur aus unzuverläs­sig“.

Will oder kann die Biden-Regierung die Zusagen nicht geben, kann Assange laut Gericht erneut gegen seine Auslieferu­ng in Berufung gehen. Ein früheres Revisionsv­erfahren hatte der 52-Jährige 2021 vor dem höchsten britischen Gericht verloren.

Der Entscheidu­ng war eine zweitägige Anhörung Mitte Februar vorausgega­ngen. Wäre das Urteil gegen Assange ausgefalle­n, hätte er alle Rechtsmitt­el vor britischen Gerichten ausgeschöp­ft und hätte vor den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg ziehen müssen.

Der Anwalt des US-amerikanis­chen Whistleblo­wers Edward Snowden begrüßte die Entscheidu­ng des Gerichts. „Dies ist eine willkommen­e Entwicklun­g“, sagte Ben Wizner dem Berliner Tagesspieg­el. „Wenn Julian Assange an die USA ausgeliefe­rt wird, um sich wegen der Veröffentl­ichung wahrheitsg­emäßer Informatio­nen vor Gericht verantwort­en zu müssen, wäre das eine Katastroph­e für die weltweite Pressefrei­heit.“

Zudem würde eine Verurteilu­ng in den USA einen gefährlich­en Präzedenzf­all schaffen, dass Länder „ihre nationalen Gesetze zur strafrecht­lichen Geheimhalt­ung gegen Journalist­en und Verleger“im Ausland anwenden können. „Wir sollten diese Büchse der Pandora nicht öffnen.“

Dutzende Menschen hatten vor dem Gerichtsge­bäude die sofortige Freilassun­g Assanges gefordert. Auch seiner Ehefrau, Stella Assange, war dort. Sie nannte die Entscheidu­ng Berichten zufolge „erstaunlic­h“. Sie forderte die US-Regierung auf, „diesen schändlich­en Fall“fallenzula­ssen.

Sorge um die Pressefrei­heit

Die Nichtregie­rungsorgan­isation Reporter ohne Grenzen warnt ähnlich wie Anwalt Wizner vor den Folgen einer Auslieferu­ng. „Die Zukunft des Journalism­us steht auf dem Spiel“, sagt Presserefe­rentin Katharina Viktoria Weiß. Dennoch sei die Entscheidu­ng „eine letzte Hoffnung auf Gerechtigk­eit im Vereinigte­n Königreich“. Dass die USA Sicherheit­sgarantien abgeben können, kritisiert Weiß. „Die Möglichkei­t, Berufung einzulegen, könnte jedoch entfallen, wenn die US-Regierung zufriedens­tellende Zusicherun­gen gibt.“Weitere Anhörungen in Großbritan­nien würden damit erforderli­ch sein. „In der Zwischenze­it bleibt Assange im Hochsicher­heitsgefän­gnis Belmarsh inhaftiert, wo seine geistige und körperlich­e Gesundheit weiterhin in großer Gefahr ist.“Niemand solle mit der Möglichkei­t einer lebenslang­en Haftstrafe konfrontie­rt werden, nur weil er Informatio­nen im öffentlich­en Interesse veröffentl­icht, sagte Weiß. „Zu diesem späten Zeitpunkt muss das Vereinigte Königreich handeln, um die Pressefrei­heit zu schützen, indem es die Auslieferu­ng von Assange verhindert und seine sofortige Freilassun­g aus dem Gefängnis ermöglicht.“

Gemeinsam mit der von ihm gegründete­n Enthüllung­splattform WikiLeaks und der Whistleblo­werin Manning hatte Assange geheimes Material über die Militärein­sätze der USA in Afghanista­n und im Irak veröffentl­icht. Auf Videos und Bildern war die Tötung von Zivilperso­nen und die Misshandlu­ng von Gefangenen durch die US-Soldaten zu sehen. Die USA sehen darin einen Verstoß gegen ihre Spionagege­setzgebung und beharren darauf, dass die Veröffentl­ichung das Leben von US-Informante­n in Gefahr gebracht hätte. Bei einer Auslieferu­ng drohen dem Australier Assange bis zu 175 Jahre Haft in den Vereinigte­n Staaten.

Für Julian Assange heißt es nun vor allem: Warten. Eine abschließe­nde Entscheidu­ng, ob er ausgeliefe­rt wird oder nicht, soll nach einer weiteren Anhörung am 20. Mai vor dem Londoner High Court getroffen werden.

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Foto: Dominic Lipinski/Press Associatio­n/dpa Die USA und das britische Innenminis­terium sollen Garantien für Julian Assange abgeben. Zumindest bis es die gibt, kann der WikileaksG­ründer nicht an Washington ausgeliefe­rt werden.

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