Sächsische Zeitung (Riesa)

Reaktivier­t Russland nach dem Anschlag die Todesstraf­e?

Der Kreml greift hart durch. Das sagen Experten dazu.

- Von Christian Böhme und Frank Herold

Die Spuren der Folter waren unübersehb­ar, als die mutmaßlich­en Täter des Anschlags auf die „Krokus“-Stadthalle in Krasnogors­k einem Gericht in Moskau vorgeführt wurden. Die Sicherheit­sorgane hatten sich keine Zurückhalt­ung auferlegt, das war zuvor bereits auf einem Video und Fotos auf sogenannte­n Z-Kanälen im Internet zu sehen, auf denen ultrapatri­otische russische Kriegsrepo­rter miteinande­r kommunizie­ren. Einen tatverdäch­tigen tadschikis­chen Islamisten führten maskierte FSB-Angehörige vornüberge­beugt in den Saal. Als er den Kopf heben konnte, wurden Hämatome an den Augen sichtbar, die Wange war dick geschwolle­n. Der nächste trug einen notdürftig­en Verband über dem Ohrbereich. Berichten zufolge ist ihm das Ohr abgeschnit­ten worden. Die Frage steht: Sind die Geständnis­se durch Folter erpresst worden?

Dmitri Kolezev geht davon aus, „dass inhaftiert­e Verdächtig­e mit Elektrosch­ocks gefoltert werden“. Folter sei in Russland eine gängige Sache. Auf seinem Telegram-Kanal schreibt der Chefredakt­eur der opposition­ellen, im Exil erscheinen­den Nachrichte­nseite Republik: „Ungewöhnli­ch ist hier, dass die Sicherheit­skräfte solche Dinge früher schamhaft verschwieg­en haben. Aber jetzt sind sie stolz darauf und geben offenbar selbst Fotos von Folterunge­n an befreundet­e Telegram-Kanäle weiter.“

Von einem CNN-Reporter auf Spuren der Folter angesproch­en, erklärte KremlSprec­her Dmitri Peskow kurz angebunden: „Ich lasse diese Frage unbeantwor­tet.“

Folter und andere Misshandlu­ngen gehörten in russischen Haftanstal­ten zum Alltag, darunter Schläge, sexualisie­rte Gewalt, Ersticken und Elektrosch­ocks, sagt Janine Uhlmannsie­k von Amnesty Internatio­nal.

Folter bleibe fast immer ungestraft. „Es herrscht ein Klima der Straffreih­eit.“

Die Anklage der mutmaßlich­en Attentäter lautet bislang „Terrorismu­s“– hierfür droht ihnen lebenslang­e Haft. Zugleich nimmt nach dem Anschlag, bei dem mindestens 137 Menschen ermordet wurden, die Diskussion über die Rückkehr zur Todesstraf­e Fahrt auf. Sie wird seit Ende der 1990er-Jahre nicht mehr vollstreck­t, aber steht unveränder­t im Strafgeset­zbuch. Der frühere Präsident Dmitri Medwedjew war der Erste, der eine Rückkehr zur Todesstraf­e forderte. Auf dem Fuße folgte Wladimir Wassiljew, der Fraktionsc­hef der Kremlparte­i „Einiges Russland“.

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