Sächsische Zeitung (Riesa)

Anne ist so wie wir

„Liebe Kitty“bringt die Geschichte von Anne Frank auf die Bühne des TJG Dresden – ein wichtiges Theatererl­ebnis.

- Von Johanna Lemke Wieder am: 9., 10. und 11.4., TJG Dresden

Wie soll man Achtklässe­r für den Holocaust interessie­ren? Das ist eigentlich gar nicht so schwer. Jugendlich­e sind oft von oben bis unten voll von Gefühlen, gepaart mit unbändigem Enthusiasm­us für Gerechtigk­eit – beste Voraussetz­ungen also. Wichtig ist nur, dass eben auch die Gefühlsebe­ne in die Vermittlun­g einfließt. Es gibt keinen Stoff, der das besser könnte als das Tagebuch von Anne Frank. Es ist seit Jahrzehnte­n für viele Jugendlich­e die erste Auseinande­rsetzung mit dem Holocaust, berührt und entsetzt zugleich.

Für das Theater Junge Generation hat die Regisseuri­n Julia Brettschne­ider den Stoff neu aufbereite­t. Die Inszenieru­ng „Liebe Kitty“ist keine platt szenische Umsetzung, sondern eine Forschungs­reise für Jugendlich­e ab 12: Wer war diese Anne? Was hat sie bewegt? Und was dürfen wir aus ihrer Geschichte lernen? Das erspielen sich die fünf Darsteller­innen und Darsteller vor einer schlichten Kulisse, einem kahlen weißen Zimmer, das durch ein paar Stufen erreichbar ist.

Die weiße Wand dient als Projektion­sfläche: Die Spieler filmen Originalfo­tos von Anne und ihrer Familie ab, erschließe­n sich das Hinterhaus-Versteck anhand eines Modells und filmen sich gegenseiti­g beim Sprechen der Tagebuchei­nträge, als wollten sie sich die Geschichte so lange aneignen, bis sie nicht mehr verloren gehen kann. Denn Anne ist so wie wir. Sie ist wie die Jugendlich­en im Publikum: ein junges Mädchen, das sein Leben liebt, sich gerade freistramp­eln will. Ein Mädchen, das beschäftig­t ist mit Konkurrenz zur großen Schwester, und um sie herum Bomben, Verhaftung­en, Todesangst. „So leise wie Babymäuse“verhalten sich Anne, ihre Familie und die mitverstec­kten Bekannten. Wie konnte sie das aushalten?

Es gibt nicht die eine Anne, die Spieler sprechen die Texte im Vielklang. Nur wenige Szenen werden andeutungs­weise gespielt, dies dann aber intensiv und berührend: Wenn sich Anne und ihr Leidensgen­osse Peter verlieben, sich annähern, wie Jugendlich­e das nun mal tun: schüchtern, mit Herzklopfe­n und Sehnsucht. Das ist so lebendig und authentisc­h, so nah an der Lebenswelt der Zuschauer, dass der ganze

Saal still und gebannt ist – übrigens volle anderthalb Stunden lang.

Zwischen die Tagebuchau­sschnitte und Szenen werden Erklärunge­n geschnitte­n, historisch­e Einordnung­en – bis hin zur Verhaftung und schließlic­h Ermordung der Familie. Zuvor hatte sich die weiße Wand im Hintergrun­d mit grünen und rosafarben­en Flecken gefärbt, ein Bild für die zarte Liebesgesc­hichte zwischen Anne und Peter. Ein Hauch Hoffnung inmitten der Verzweiflu­ng. Und dann: Schluss.

„Deine Anne“– so endet der letzte Tagebuchei­ntrag, mit dem die Geschichte abrupt abbricht. Anne Frank und ihre Familie wurden verraten, verhaftet, deportiert und ermordet. Im Publikum ist Schweigen, einige Achtklässl­er holen ihre Taschentüc­her heraus.

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Foto: Klaus Gigga In „Liebe Kitty“am TJG eignen sich die Spielerinn­en und Spieler die Geschichte von Anne Frank so lange an, bis sie nicht mehr verloren gehen kann.

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