Die Riesaer Gruft soll in diesem Jahr wieder öffnen
Vor 50 Jahren starteten die ersten Führungen in der Klosterkirche. Für die Verantwortlichen ein Anlass, erneut welche anzubieten.
Als die Gruft in der Riesaer Klosterkirche 1974 erstmals nach längerer Zeit wieder öffnete, muss der Andrang groß gewesen sein. Den Erzählungen nach standen sich die Besucher damals teils über Stunden die Beine in den Bauch, die Schlange zur Eröffnung reichte wohl bis weit vor die Kirche. Damals hatte sich um Pfarrer Manfred Dietrich eine Gruppe zusammengefunden, die der Öffentlichkeit in unregelmäßigen Abständen die Gruft unter dem Altarraum zugänglich machen wollte. Für die Evangelisch-Lutherische Kirchgemeinde ist das 50. Jubiläum Anlass, die Räume noch einmal zu öffnen: Vom 27. Juli bis 1. September sollen Interessierte jeweils am Wochenende Zugang erhalten.
So gewaltig wie in den 1970er-Jahren ist das Interesse heute nicht mehr, sagt Michael Herold vom Kirchenvorstand. Bei den vergangenen Führungen habe sich der Andrang in einem geordneten Rahmen gehalten. Trotzdem kommt es immer noch vor, dass jemand im Pfarramt oder im Stadtmuseum anruft und fragt, wann denn mal eine Besichtigung möglich ist. Zuletzt wieder öfter, nachdem der Mitteldeutsche Rundfunk eine Dokumentation über die Riesaer Gruft erneut ausgestrahlt hatte.
Entstanden war der Filmbeitrag schon vor etwa fünf Jahren, als sich ein Forschungsteam um Amelie Alterauge eingehender mit den Bestatteten befasste. Aus der Forschung heraus entstand auch eine umfangreiche Ausstellung im Stadtmuseum - und parallel dazu führten Mitglieder
Foto/Repro: Stadtmuseum
der Kirchgemeinde auch in die Gruft. Dass die schon drei Jahre später erneut geöffnet wird, ist ein Sonderfall, und liegt nur am besonderen Jubiläum, betonen die Verantwortlichen. „Es ist natürlich so, dass die Totenruhe an erster Stelle stehen muss“, betont Pfarrer Jan Quenstedt.
Zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und der Wahrung der Totenruhe herrscht ein Spannungsverhältnis. Es sei ein Spagat, der aber gelingen könne, sagt Quenstedt, der als Kind einmal selbst die Gruft besucht hat. Gut erinnern könne er sich daran allerdings nicht mehr.
Neben den langen Ruhezeiten – Quenstedt spricht von in der Regel fünf Jahren sollen die Führungen vor allem einen Bildungscharakter haben. Sensationsheischend will man auf keinen Fall berichten. Aus der Nachwendezeit ist die Kirchgemeinde da anderes gewohnt. Nicht nur Michael Herold erinnert sich an die eine oder andere Boulevardschlagzeile zum Thema. Er spricht von einem großen Hype, den es damals gegeben habe.
Auch die Besuche in der Gruft hatten zu DDR-Zeiten nicht immer den angestrebten Charakter. „Es gab Zeiten, da wurden hier die Leute einfach ‚durchgeführt‘, ohne weitere Erklärungen.“Heutzutage gehe man aktiv auf das Thema Tod und Sterben ein. „Wir machen da keine große Show drum“, sagt Michael Herold. Vor dem Abstieg unter den Altarraum gibt es Informationen rund um die Kirche. Später geht es auch um das, was die in der Gruft Bestatteten eigentlich im Leben bewirkt haben, wer sie waren.
In dem Zusammenhang haben die Forschungsarbeiten der jüngeren Geschichte einiges verändert. „Wir haben erst durch die genetischen Untersuchungen in dieser Zeit erfahren, dass eine der bestatteten Mumien nicht wie angenommen Freiherr von Odeleben ist, sondern ein Verwandter der Familie von Welck.“
Auch zu den Grabbeigaben seien einige interessante Details ans Licht gekommen. Eines der Stücke aus der Riesaer Gruft ist vor einigen Wochen auf Reisen gegangen und mittlerweile in Leipzig zu sehen. Die Totenkrone eines Kindes war 2021 Teil der Sonderschau und anschließend in die Riesaer Dauerausstellung gewandert. Dann kam die Anfrage aus Leipzig, wo sich das Museum ebenfalls mit den Themen Leben und Tod beschäftigte. Derartige Anfragen seien nicht allzu häufig, sagt Museumsmitarbeiterin Magdalena Sosin. Statt der Totenkrone steht nun ein anderes Stück aus der Klostergruft in der Dauerausstellung: ein Schuh, der im Zuge der Forschungsarbeiten restauriert worden war.
Auch auf die Bedeutung dieser Kleidungsstücke wird bei den Führungen eingegangen werden, so Michael Herold. Wenn im September die letzte der knapp 45-minütigen Führungen schließlich beendet ist, dürfte erst einmal wieder für fünf Jahre Ruhe in der Gruft einkehren - und im Pfarramt müssen Interessierte wieder vertröstet werden. Große Diskussionen gibt es darüber mit den wenigsten, sagt Pfarrer Jan Quenstedt: „90 Prozent derjenigen, die anrufen, verstehen das.“