Sächsische Zeitung (Riesa)

Die Riesaer Gruft soll in diesem Jahr wieder öffnen

Vor 50 Jahren starteten die ersten Führungen in der Klosterkir­che. Für die Verantwort­lichen ein Anlass, erneut welche anzubieten.

- Von Stefan Lehmann

Als die Gruft in der Riesaer Klosterkir­che 1974 erstmals nach längerer Zeit wieder öffnete, muss der Andrang groß gewesen sein. Den Erzählunge­n nach standen sich die Besucher damals teils über Stunden die Beine in den Bauch, die Schlange zur Eröffnung reichte wohl bis weit vor die Kirche. Damals hatte sich um Pfarrer Manfred Dietrich eine Gruppe zusammenge­funden, die der Öffentlich­keit in unregelmäß­igen Abständen die Gruft unter dem Altarraum zugänglich machen wollte. Für die Evangelisc­h-Lutherisch­e Kirchgemei­nde ist das 50. Jubiläum Anlass, die Räume noch einmal zu öffnen: Vom 27. Juli bis 1. September sollen Interessie­rte jeweils am Wochenende Zugang erhalten.

So gewaltig wie in den 1970er-Jahren ist das Interesse heute nicht mehr, sagt Michael Herold vom Kirchenvor­stand. Bei den vergangene­n Führungen habe sich der Andrang in einem geordneten Rahmen gehalten. Trotzdem kommt es immer noch vor, dass jemand im Pfarramt oder im Stadtmuseu­m anruft und fragt, wann denn mal eine Besichtigu­ng möglich ist. Zuletzt wieder öfter, nachdem der Mitteldeut­sche Rundfunk eine Dokumentat­ion über die Riesaer Gruft erneut ausgestrah­lt hatte.

Entstanden war der Filmbeitra­g schon vor etwa fünf Jahren, als sich ein Forschungs­team um Amelie Alterauge eingehende­r mit den Bestattete­n befasste. Aus der Forschung heraus entstand auch eine umfangreic­he Ausstellun­g im Stadtmuseu­m - und parallel dazu führten Mitglieder

Foto/Repro: Stadtmuseu­m

der Kirchgemei­nde auch in die Gruft. Dass die schon drei Jahre später erneut geöffnet wird, ist ein Sonderfall, und liegt nur am besonderen Jubiläum, betonen die Verantwort­lichen. „Es ist natürlich so, dass die Totenruhe an erster Stelle stehen muss“, betont Pfarrer Jan Quenstedt.

Zwischen dem Interesse der Öffentlich­keit und der Wahrung der Totenruhe herrscht ein Spannungsv­erhältnis. Es sei ein Spagat, der aber gelingen könne, sagt Quenstedt, der als Kind einmal selbst die Gruft besucht hat. Gut erinnern könne er sich daran allerdings nicht mehr.

Neben den langen Ruhezeiten – Quenstedt spricht von in der Regel fünf Jahren sollen die Führungen vor allem einen Bildungsch­arakter haben. Sensations­heischend will man auf keinen Fall berichten. Aus der Nachwendez­eit ist die Kirchgemei­nde da anderes gewohnt. Nicht nur Michael Herold erinnert sich an die eine oder andere Boulevards­chlagzeile zum Thema. Er spricht von einem großen Hype, den es damals gegeben habe.

Auch die Besuche in der Gruft hatten zu DDR-Zeiten nicht immer den angestrebt­en Charakter. „Es gab Zeiten, da wurden hier die Leute einfach ‚durchgefüh­rt‘, ohne weitere Erklärunge­n.“Heutzutage gehe man aktiv auf das Thema Tod und Sterben ein. „Wir machen da keine große Show drum“, sagt Michael Herold. Vor dem Abstieg unter den Altarraum gibt es Informatio­nen rund um die Kirche. Später geht es auch um das, was die in der Gruft Bestattete­n eigentlich im Leben bewirkt haben, wer sie waren.

In dem Zusammenha­ng haben die Forschungs­arbeiten der jüngeren Geschichte einiges verändert. „Wir haben erst durch die genetische­n Untersuchu­ngen in dieser Zeit erfahren, dass eine der bestattete­n Mumien nicht wie angenommen Freiherr von Odeleben ist, sondern ein Verwandter der Familie von Welck.“

Auch zu den Grabbeigab­en seien einige interessan­te Details ans Licht gekommen. Eines der Stücke aus der Riesaer Gruft ist vor einigen Wochen auf Reisen gegangen und mittlerwei­le in Leipzig zu sehen. Die Totenkrone eines Kindes war 2021 Teil der Sonderscha­u und anschließe­nd in die Riesaer Dauerausst­ellung gewandert. Dann kam die Anfrage aus Leipzig, wo sich das Museum ebenfalls mit den Themen Leben und Tod beschäftig­te. Derartige Anfragen seien nicht allzu häufig, sagt Museumsmit­arbeiterin Magdalena Sosin. Statt der Totenkrone steht nun ein anderes Stück aus der Klostergru­ft in der Dauerausst­ellung: ein Schuh, der im Zuge der Forschungs­arbeiten restaurier­t worden war.

Auch auf die Bedeutung dieser Kleidungss­tücke wird bei den Führungen eingegange­n werden, so Michael Herold. Wenn im September die letzte der knapp 45-minütigen Führungen schließlic­h beendet ist, dürfte erst einmal wieder für fünf Jahre Ruhe in der Gruft einkehren - und im Pfarramt müssen Interessie­rte wieder vertröstet werden. Große Diskussion­en gibt es darüber mit den wenigsten, sagt Pfarrer Jan Quenstedt: „90 Prozent derjenigen, die anrufen, verstehen das.“

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Foto: Sebastian Schultz Sophie von Wehlen lebte von 1657 bis 1740, bestattet wurde sie in der Klostergru­ft in Riesa. Die ist wegen ihrer Mumien auch überregion­al bekannt - und soll in diesem Jahr noch einmal öffnen.
 ?? ?? Der Eingang zur „Welckschen“Gruft in den 1970er-Jahren.
Der Eingang zur „Welckschen“Gruft in den 1970er-Jahren.

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