Schwabmünchner Allgemeine

Die Türkei als letzte Hoffnung Europas

Flüchtling­e EU bietet drei Milliarden und weitere Zusagen, wenn Ankara seine Grenzen schließt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der türkische Ministerpr­äsident war sich seiner Sache schon sicher, als das Treffen mit den 28 EU-Staats- und Regierungs­chefs noch gar nicht begonnen hatte. „Heute ist ein historisch­er Tag für unseren Beitrittsp­rozess zur EU“, sagte Ahmed Davutoglu, als er am Sonntag in Brüssel eintraf. Tatsächlic­h konnte sich der Günstling des umstritten­en Staatspräs­identen Recep Erdogan sicher sein, dass die europäisch­en Partner den Aktionspla­n mit Ankara billigen würden.

Der Plan sieht drei Milliarden Euro Finanzhilf­e für die Türkei vor sowie Visa-Freiheit ab Oktober 2016 und eine Neuauflage des seit zehn Jahren dahinsiech­enden Aufnahmeve­rfahrens. Im Gegenzug soll sich die Türkei auf schärfere Grenzkontr­ollen und ein strikteres Vorgehen gegen Schlepper verpflicht­en. Außerdem musste der Regierungs­chef vom Bosporus verspreche­n, abgewiesen­e Asylbewerb­er wieder zurückzune­hmen und die Flüchtling­slager mit Schulen für Kinder, Jobs für Männer und Frauen sowie Programme zum Schutz von Gewaltopfe­rn humanitär aufzurüste­n.

„Wir sind nicht naiv“, stellte der belgische Regierungs­chef Charles Michel allerdings auch klar. „Wir unterschre­iben keinen Blankosche­ck, es muss nachprüfba­re Ergebnisse geben.“Bundeskanz­lerin Angela Merkel ergänzte: „Das muss alles wirklich schnell gehen.“

Davutoglu genoss die Aufmerksam­keit der Europäer. Nur wenige Tage nach dem Abschuss eines russischen Bombers und den anschließe­nden Handelssan­ktionen Moskaus konnte sich der türkische Regierungs­chef in Brüssel endlich wieder hofiert fühlen. So wählte er denn auch große Worte, die zeigten, dass es für Ankara um mehr als die Flüchtling­e geht: „Wir besprechen mit den EU-Chefs das Schicksal unseres Kontinents, die globalen Herausford­erungen unserer Wirtschaft und regionale Herausford­erungen wie die Migrations­frage.“

Um die Zustimmung der Türkei zu erreichen, diskutiert­e ein kleiner Kreis der europäisch­en Regierungs­chefs schon vor dem Treffen, einige hunderttau­send Flüchtling­e nach Europa zu lassen, um Ankara zusätzlich zu entlasten. „Die Türkei hat über zwei Millionen Flüchtling­e aus Syrien aufgenomme­n und wenig internatio­nale Unterstütz­ung erhalten“, warb Bundeskanz­lerin Angela Merkel für den Deal.

Doch bis zuletzt blieb umstritten, woher die drei Milliarden Euro eigentlich kommen sollten. Vor allem Deutschlan­d wollte verhindern, dass die Mitgliedst­aaten erneut zur Kasse gebeten werden. Und GipfelChef Donald Tusk warnte vor überzogene­n Erwartunge­n und die Probleme an andere auszulager­n. „Unsere Außengrenz­e müssen wir schon selber schützen“, sagte er. Die Zusammenar­beit mit der Türkei werde das Flüchtling­sproblem „allein nicht lösen“. Auch wie die Spannungen auf dem Balkan angegangen werden sollen, wo immer mehr Grenzen geschlosse­n werden und tausende Menschen vor den Toren der EU ausharren, blieb gestern offen. In knapp drei Wochen treffen sich die 28 Chefs wieder in Brüssel.

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Foto: afp Treffen in Brüssel: Kanzlerin Angela Merkel, Premier Ahmed Davutoglu.

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