Gelebte Nächstenliebe
Silberdistel im November Der Wertinger Asylhelfer Wolfgang Plarre kümmert sich seit über 20 Jahren um Flüchtlinge aus aller Welt. Ein Todesfall verstärkte sein Engagement
Wertingen „Ragip Jashari, kommend aus dem Kosovo, wurde von serbischen Polizeikräften exekutiert. Ich trauere um ihn.“Der Wertinger Wolfgang Plarre hatte die Todesanzeige in unserer Zeitung aufgegeben: „Ragip war mir ein Freund.“Er war Anfang der 1990er Jahre aus seiner jugoslawischen Heimat geflohen, in Wertingen im Containerdorf gelandet und dem Asylhelfer Wolfgang Plarre begegnet. Nach fünf Jahren sei der Mann zur Rückkehr in seine Heimat gedrängt worden. Kurz darauf brach der Kosovo-Krieg aus, und Ragip Jashari wurde erschossen.
Viele Flüchtlinge waren während der Jugoslawienkriege nach Wertingen gekommen. Ragip Jashari war einer von ihnen. „Er tat sich schwer, Fuß zu fassen, vielleicht, weil er nur geduldet war“, erinnert sich Plarre zurück. Die damalige Situation erinnert den 64-Jährigen sehr stark an die aktuelle Flüchtlingswelle aus Syrien, Afghanistan und dem Balkan. Und er spürt ein Unbehagen bei dem Gedanken, dass sich derartige Vorfälle wiederholen könnten, wenn Flüchtlinge in sogenannte sichere Herkunftsländer abgeschoben werden.
Das Schicksal des jungen Kosovaren Ragip war nur eines von vielen, das dem früheren Chemie- und Mathelehrer unter die Haut gegangen ist. Seit 20 Jahren begleitet und betreut er Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und im Zusamtal eine meist vorübergehende Bleibe finden. Er fährt schwangere Frauen zum Arzt, hilft beim Ausfüllen von Papieren, begleitet Menschen zu Behörden und koordiniert den Deutsch-Unterricht vor Ort. Für seinen langjährigen humanitären Einsatz erhält Wolfgang Plarre die Silberdistel unserer Zeitung.
Schon mit 19 Jahren schwor sich Wolfgang Plarre nach einem Besuch des größten deutschen Vernichtungslagers in Auschwitz: „So etwas darf nie wieder passieren.“Er hatte gerade das Abitur in der Tasche und engagierte sich im evangelischen Jugendwerk.
Als Anfang der 90er Jahre wieder Hakenkreuze an Hauswände geschmiert wurden, stand für den Wertinger sofort der Entschluss: „Ich muss mich gegen Rechts engagieren.“Damals bahnte sich gerade der Kosovo-Krieg an. Jugoslawien zerfiel, eine Flüchtlingswelle erreichte Deutschland. Als die ersten Menschen aus dem Balkan in der Zusamstadt strandeten, gehörte der Gymnasiallehrer zu den Ersten, die halfen. Der Vater von drei erwachsenen Kindern hat die Ereignisse aus dieser Zeit und den Bau des Containerdorfes festgehalten – Zeitungsausschnitte, Briefwechsel, Organisationspläne, Gesetzestexte, Fotos und vieles mehr. Viele Jahre war er Tag und Nacht für schutzbedürftige Menschen erreichbar. Er erlebte deren Ängste hautnah mit: „Ich bangte und hoffte mit ihnen.“
Im Zusamtal leben heute noch einstige Balkanflüchtlinge, bei denen das Schicksal der Abschiebung ebenfalls in letzter Minute abgewendet werden konnte, dank des gut funktionierenden Netzwerkes von Wolfgang Plarre zu Politikern, Behörden, Anwälten und Hilfsorganisationen. Die Beispiele zeigen, dass Integration gelingen kann. „Heute sind wir besser vorbereitet als vor 20 Jahren.“Derzeit leben in Wertingen rund 170 Flüchtlinge.
Der 64-Jährige berichtet von einer Welle der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Dem vor einem Jahr in Wertingen gegründeten Asyl-Unterstützerkreis haben sich mittlerweile hundert Frauen und Männer angeschlossen. Wolfgang Plarre koordiniert die Arbeitsgruppen. „Uns eint, dass wir Menschen in Not helfen wollen.“Zur Begrüßung eines jeden Flüchtlings wird ein Imbiss vorbereitet. Es sind die kleinen Gesten, ein Lächeln, ein Händedruck oder das Reichen einer Tasse Tee, die das Eis zum Schmelzen bringen zwischen den Fremden und den Einheimischen. „Man hat immer nur Angst vor dem, was man nicht kennt“, sagt Plarre. Deshalb will er künftig noch mehr Begegnungen im Ort schaffen. Erst kürzlich kochten Flüchtlingsfamilien Gerichte aus ihrer Heimat und luden die Bevölkerung ein. Vor fünf Wochen wurde ein Begegnungscafé eröffnet, und seit vier Wochen läuft ein Integrationskurs für den Deutschunterricht.
Für den bekennenden Christen Plarre sind das schöne Momente. Sprüchen wie „Ausländer raus!“begegnet der Prädikant der evangelischen Kirchengemeinde deshalb am liebsten mit der Bibel: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt, in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland ...“(Mose 10, 17-19).