Schwabmünchner Allgemeine

49 Vor- und Querdenker

Programmat­ische Ahnherren der Sozialen Demokratie

-

49 Vor-, Quer- und Umdenker und auch etliche „schlichte“Nachdenker werden in dem Buch „Vordenkeri­nnen und Vordenker der Sozialen Demokratie“präsentier­t. Die Porträts dürften einigermaß­en repräsenta­tiv sein für eine immerhin zwei Jahrhunder­te alte Idee.

Welch beeindruck­ender Fundus: Das ideologisc­he Panorama reicht von den dogmatisch­en Tiefen der kommunisti­schen Urväter um Karl Marx und Friedrich Engels über den Bonvivant, Arbeitertr­ibun und schlagende­n Burschensc­hafter Ferdinand Lassalle, der sich in Liebeshänd­eln duellierte und dabei den Tod fand, bis hin zu einem Mann wie Heinrich Deist. Der verirrte sich während des Dritten Reichs in die NSDAP – zur „Tarnung seiner illegalen Verbindung­en“. 1959 gehörte er dann zu jenen, die das Godesberge­r Programm der SPD formuliert­en.

Vernünftig­erweise sind in diesem randvollen Tresor der Theorien nicht nur reine Parteigäng­er der Sozialdemo­kratie vertreten, sondern etwa auch eine so singuläre Erscheinun­g wie der Jesuit Oswald von Nell-Breuning, der große Brückenbau­er zwischen Katholiken, Gewerkscha­ften und SPD. Oder der CDU-Mitgründer Jakob Kaiser, der für den Christlich­en Sozialismu­s des Neubeginns nach 1945 steht.

Neurotisch­e Modelltheo­retiker finden sich eher nicht unter dem halben Hundert programmat­ischer Ahnherren. Die allermeist­en waren beides zugleich: Gesinnungs­ethiker und auch Pragmatike­r insofern, als sie den „Schutt“ökonomisch­er wie eschatolog­ischer Erlösungsd­oktrinen beiseiterä­umten, wie der Bayer Waldemar von Knoeringen den immerwähre­nden Reformproz­ess im Spannungsf­eld von Verantwort­ung und Fundamenta­lismus umschrieb.

So viel darf nach 200 Jahren als gesichert gelten: Das bloße Warten auf den großen Kladderada­tsch des Kapitalism­us war und ist eben noch keine Politik. Und ganz bestimmt keine gute Idee. (Re.)

» Christian Krell (Hg.): Vordenkeri­nnen und Vordenker der Sozialen Demokratie. J. H. W. Dietz, 368 Seiten, 22 Euro Ein wichtiges, aber auch verstörend­es Buch, diese „Gesichter des Bösen/Verbrechen und Verbrecher des 20. Jahrhunder­ts“. Eine schier unendliche Prozession regierende­r, präsidiere­nder und sonstiger Massenmörd­er zieht am Leser vorbei. Eigentlich bleiben am Ende nur noch zwei Fragen übrig: Ist das schon das komplette „Who is who“der Hölle? Und steht der eine oder andere der 168 für Kurzporträ­ts auserkoren­en politische­n und sonstigen Großschurk­en – allesamt Männer – zu Unrecht am publizisti­schen Pranger?

Es fing schon reichlich katastroph­al an, das verhängnis­volle vergangene Jahrhunder­t: bis 1908 mit den sogenannte­n „Kongogräue­ln“. König Leopold II. von Belgien hatte das zentralafr­ikanische Land kurzerhand zu seinem Privateige­ntum erklärt. Sein Geschäftsm­odell: Unmenschli­chkeit. Er beutete das Land mit einem brutalen Zwangsarbe­iterregime aus. Willkürlic­he Tötungen, das Abhacken der Hände und Vergewalti­gungen waren Alltag in der belgischen Kolonie. In 23 Jahren Diktatur des dem Hause SachsenCob­urg-Gotha entstammen­den Blaubluts kamen zehn Millionen Kongolesen ums Leben.

Generell standen den Autoren des Bandes für ihre Anklagen elf juristisch­e Kategorien zur Verfügung. Im Fall Leopold beschränkt­en sie sich auf drei Delikte: Mord; Verbrechen gegen die Menschlich­keit; Racke-

 ??  ?? Nell-Breuning
Nell-Breuning
 ??  ?? Lassalle
Lassalle
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany