Schwabmünchner Allgemeine

Mit Marmor-Yoga in eine bessere Welt

Premiere In „Das große Wundenleck­en“heute Abend auf der Brechtbühn­e wird erklärt, wie das funktionie­rt

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Gerasimos Bekas ist immer der Repräsenta­nt der anderen Seite. Der Sohn eines Griechen und einer Deutschen, der in beiden Ländern aufgewachs­en ist und lebt, muss den Griechen Merkels Politik erklären und wird von Deutschen gefragt, ob er denn schon in Rente sei. Bekas ist 29 Jahre alt und Schriftste­ller. Wie sehr Klischees und Vorurteile das Verhältnis beider Nationen bestimmen, hat er in einem Stück verarbeite­t und konterkari­ert, das heute am Theater Augsburg in der Brechtbühn­e seine Uraufführu­ng erlebt: „Das große Wundenleck­en“.

Das deutsch-griechisch­e Verhältnis stellt sich ihm als eines mit großer Kontinuitä­t dar. Deshalb lag es ihm auch fern, nur auf die aktuellen Ereignisse abzuzielen in seinem Stück. „Ich wollte keinen Krisenporn­o schreiben“, stellt er pointiert klar. Vielmehr hat er sich auf die Suche nach deutschen Spuren in der griechisch­en Geschichte gemacht. Auf Otto von Bayern, der in Griechenla­nd König wurde und dorthin viele bayerische Beamte und Junguntern­ehmer zog, ist er dabei gestoßen. Auch auf all die Erinnerung­en von Urlaubern, die ihm von der lebendigen Antike, der griechisch­en Gastfreund­schaft und den schönen Stränden vorschwärm­ten. All das hat Eingang in sein Stück gefunden. „Darüber habe ich so viele Geschichte­n gehört, die mich interessie­rt haben“, erklärt Bekas. Aber auch die dunklen Kapitel deutschgri­echischer Geschichte verschweig­t er nicht. „Viele Deutsche wissen gar nichts über die deutsche Besatzung Griechenla­nds zwischen 1941 und 1944 und den Kriegskred­it, zu dem die Griechen von den Nazis gezwungen wurden.“

Ins Spiel kommt die Krise bei der Aufführung allerdings doch, und zwar nicht als politische und ökonomisch­e, sondern als persönlich­e, und Griechenla­nd ist hierfür nicht der Grund, sondern die Lösung. Genauer gesagt das Marmor-Yoga, eine besondere, von Bekas ersonnene Körpertech­nik, die die indische Lehre mit den antiken Ruinen kom- biniert. „Wir verbinden uns mit antiken Kunstwerke­n, tauchen ein in die Vergangenh­eit und in einer besseren Welt wieder auf“, sagt im Stück Yoga-Yannis, unter dessen Führung zwei Frauen und ein Mann das sinnerfüll­te Leben zu erreichen versuchen.

„Es ist die Suche nach dem inneren Athen“, bringt es Sapir Heller auf einen griffigen Slogan, und ergänzt: „Athen steht hier für eine tiefe Sehnsucht nach Erfüllung.“Die israelisch­e Regisseuri­n arbeitet erstmals für das Theater Augsburg, aber nicht zum ersten Mal mit Gerasimos Bekas zusammen. Sie kennt ihn bereits von zwei Projekten am MaximGorki-Theater in Berlin und schätzt an seinen Stücken, dass sie sich nie nur auf ein Thema konzentrie­ren. „Seine Texte sind ein Spiegel unserer Zeit, weil unsere Wirklichke­it ja auch vielgestal­tig ist. Er schießt immer in mehrere Richtungen.“

So ergibt sich für Heller ein Zugang zum Stück und der Inszenieru­ng nicht nur über das Dokumentar­ische, den historisch­en deutschgri­echischen Kontext, sondern auch über einen emotionale­n Aspekt, die Sinnsuche der Protagonis­ten, die sehr stark getragen wird von der Persönlich­keit der vier Schauspiel­er Jessica Higgins, Marlene Hoffmann, Anton Koelbl und Sebastián Arranz. „Die Schwierigk­eit bestand für sie darin, ihre persönlich­en Sätze und Gedanken, die in das Stück Eingang gefunden haben, zu überhöhen, dass sie allgemeing­ültig sind“, erklärt Sapir Heller.

Schon seit März sind die Beteiligte­n des Stücks im Austausch. Bekas hat als Grundlage für die Arbeit einen Text geschriebe­n, doch der hat sich mittlerwei­le stark verändert, ist mehrfach ergänzt und umgeschrie­ben worden. „Es ist das erste Mal, dass ich ein Stück für ein bestimmtes Team geschriebe­n habe“, erzählt Gerasimos Bekas und Sapir Heller bestätigt: „Fast täglich gibt es neue Szenen, für die er uns noch einen Text schreiben muss.“Spätestens heute Abend, wenn die Besucher in der Brechtbühn­e ihre Plätze einnehmen, wird es dann fertig sein, „Das große Wundenleck­en“.

Die Inszenieru­ng

Premiere Uraufführu­ng „Das große Wundenleck­en“am heutigen Freitag, 23. September um 19.30 Uhr auf der Brechtbühn­e (nur noch Restkarten) Inszenieru­ng Sapir Heller Bühne/Kostüme Ursula Gaisböck Dramaturgi­e Tobias Vogt Darsteller Jessica Higgins, Marlene Hoffmann, Sebastián Arranz, Anton Koelbl

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Antike Kunstwerke spielen eine bedeutende Rolle, wenn heute Abend „Das große Wundenleck­en“von Gerasimos Bekas in der Inszenieru­ng von Sapir Heller in der Brechtbühn­e Premiere hat.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Antike Kunstwerke spielen eine bedeutende Rolle, wenn heute Abend „Das große Wundenleck­en“von Gerasimos Bekas in der Inszenieru­ng von Sapir Heller in der Brechtbühn­e Premiere hat.

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