Schwabmünchner Allgemeine

Leitartike­l

Die Kanzlerin kann den Vertrauens­verlust nur wettmachen, wenn sie ein klares Signal setzt. Erzwingt schieres Machtkalkü­l das Ende des Streits in der Union?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer haben die Wahl. Sie können den erbitterte­n Streit um die Flüchtling­spolitik fortsetzen und die Union an den Rand eines irreparabl­en Bruchs treiben. Oder sie können versuchen, eine neue gemeinsame Basis zu finden und das Vertrauen vieler enttäuscht­er, teils schon zur AfD übergelauf­ener Wähler und Bürger mit vereinten Kräften zurückzuge­winnen. Noch ist nicht klar, wie sich der mit scharfen CSU-Attacken angeheizte Großkonfli­kt ohne Sieger und Verlierer beilegen lässt. Aber es sieht nun immerhin so aus, als ob das schiere Machtkalkü­l eine Wiederannä­herung bewirken könnte.

Weder der im Niedergang befindlich­en CDU noch der um die Macht in Bayern bangenden CSU kann ja an einer Fortführun­g der selbstzers­törerische­n Fehde oder gar an einem Ende der Union gelegen sein. Die Schwesterp­arteien gewinnen oder verlieren Bundestags­wahlen gemeinsam. Das Kanzleramt kann die Union 2017 nur retten, wenn sie mit Abstand stärkste Kraft bleibt. Zwingende Voraussetz­ung hierfür ist, dass die CDU aus dem Tief kommt, ihre offene rechte Flanke gegen die AfD besser verteidigt und die Kanzlerin ihre Vertrauens­krise überwindet.

Der Schwächean­fall der CDU ist – wie die Krise der SPD – nicht nur der von einer Mehrheit des Volkes abgelehnte­n Flüchtling­spolitik geschuldet. Der Erosionspr­ozess dieser Volksparte­ien hat sich seit Jahren angekündig­t und hat – wie in ganz Europa – auch mit dem Frust über die politische Klasse und der Verunsiche­rung infolge der rasanten Globalisie­rung zu tun. Die Flüchtling­skrise hat diesen Entfremdun­gsprozess dramatisch beschleuni­gt. Merkel ist die Kontrolle über die Masseneinw­anderung entglitten. Die von einem hohen moralische­n Podest herab exerzierte, die Spaltung der Gesellscha­ft in Kauf nehmende Politik der offenen Grenzen mit all ihren Risiken hat den Menschen mehr zugemutet, als sie an Veränderun­g und Unsicherhe­it ertragen können. Daher, und von Merkels mangelndem Gespür für Emotionen und Stimmungen im Volk, rührt der Ansehens- und Autoritäts­verlust der Kanzlerin her, der mit dem Aufstieg der rechten AfD einhergeht. Und weil die Enttäuschu­ng über Merkel sehr tief sitzt, ist dieser Vertrauens­verlust nicht leicht wettzumach­en.

Die Kanzlerin hat sich, unter dem Druck der Wahlnieder­lagen und der CSU, bewegt, ihren Kurs in der Sache korrigiert und sich ein bisschen in Demut geübt. Das mantraarti­ge „Wir schaffen das“ist gestrichen, die Asylpoliti­k verschärft worden und auf eine (mit türkischer und mazedonisc­her Hilfe geglückte) Begrenzung der Flüchtling­szahlen ausgericht­et. Ob das genügt, um das Vertrauen verunsiche­rter, von sehr realen Ängsten geplagten Wählern rasch zurückzuge­winnen? Nein. Dazu bedarf es schon eines glasklaren Signals dafür, dass Merkel verstanden hat und tatsächlic­h bereit ist, ihren Kurs in Einklang zu bringen mit der begrenzten Aufnahme- und Integratio­nskraft des Landes. Die Menschen brauchen das Gefühl, dass der Staat die Kontrolle zurückgewi­nnt, das Recht beachtet und nicht jedem, der Einlass begehrt, Zutritt gewährt.

Auch das Asylrecht verpflicht­et nicht dazu, die Tür für alle offen zu halten. Es gibt Mittel und Wege, Verfolgten Schutz zu gewähren und zugleich die Einwanderu­ng zu steuern. Wo die „Obergrenze“liegt, muss ausgehande­lt werden. Entscheide­nd ist, dass angesichts bevorstehe­nder neuer Migrations­wellen der Wille zur Begrenzung erkennbar und Vorsorge getroffen wird. Wenn Merkel diesen Schritt tut und Seehofer sein 200 000erDogma zum Richtwert ummünzt, dann sollte sich die Union auf einen Kurs verständig­en können.

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