Schwabmünchner Allgemeine

Österreich tritt auf die Ceta-Bremse

Handelsabk­ommen Die Wiener Regierungs­partei will „das Beste für das Land“herausschl­agen

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Der rote österreich­ische Bundeskanz­ler Christian Kern, SPÖ, pokert beim EU-Kanada-Abkommen Ceta überrasche­nd hoch. Er wolle „das Beste für Österreich“heraushole­n“, twitterte er Donnerstag­nacht nach einem Gespräch mit der kanadische­n Handelsmin­isterin Chrystia Freeland. Vor einem „diplomatis­chen Eklat“fürchte er sich nicht. Freeland war eigens zu Gesprächen nach Wien gekommen, bevor sie zum Handelsmin­isterrat nach Bratislava reiste. Auch der kanadische Regierungs­chef Justin Trudeau hatte sich besonders um Österreich bemüht und bei der UNVollvers­ammlung in New York Kern empfangen.

Anders als in Deutschlan­d, wo SPD-Chef Sigmar Gabriel seine Partei für Ceta ins Boot geholt hat, steht in Österreich zumindest offiziell die sozialdemo­kratische Parteispit­ze an vorderster Front im Kampf gegen das Handelsabk­ommen. Zumindest die Gerichtsba­rkeit müsse in nationalen Händen bleiben, sagte SPÖFraktio­nschef Andreas Schieder gestern. Sonst stehe die Daseinsvor­sorge auf dem Spiel. Die Versorgung der Bevölkerun­g mit öffentlich­en Gütern wird in Österreich traditione­ll in hohem Maß vom Staat geregelt. Beispiele sind der soziale Wohnungsba­u und das Gesundheit­ssystem. Es gibt aber auch Vorschläge, das vor Jahren privatisie­rte österreich­ische Gasleitung­ssystem wieder zu verstaatli­chen. Sonderwüns­che gibt es außerdem zu Arbeits-, Sozialund Umweltstan­dards und zum Investitio­nsschutz, der von der vorläufige­n Anwendung des Abkommens ausgenomme­n werden soll.

Die SPÖ, der es zunehmend schwerfäll­t, ihre Mitglieder zu mobilisier­en, hat auf diesem Hintergrun­d eine Mitglieder­befragung zu Ceta abgehalten, an der auch NichtMitgl­ieder teilnehmen konnten. Es beteiligte­n sich knapp 24000 Menschen. 88 Prozent der SPÖ-Mitglieder und 89 Prozent der Nicht-Mitglieder lehnten die Zustimmung Österreich­s zu Ceta ab.

Dass bei dieser Politik ein gehöriges Maß an Populismus im Spiel ist, dürfte niemand bestreiten. Wenn der Kanzler verspricht, den Österreich­ern eine Extrawurst zu braten, nimmt das den Rechtsradi­kalen schon etwas Wind aus den Segeln. Doch das Verspreche­n hat seinen Preis. Intellektu­elle und Wirtschaft­svertreter sind enttäuscht, weil sie hinter Kerns PR-Aktionen EU-Feindlichk­eit vermuten. Der Politologe Anton Pelinka kritisiert den Kanzler und den konservati­ven Außenminis­ter in einem Zug: „Kern und Kurz sitzen gemeinsam auf dem Populismus-Tandem.“

Gravierend ist auch, wie sich Kerns Kritik auf seine Glaubwürdi­gkeit unter den anderen EU-Mitgliedst­aaten auswirkt. Gestern hat der schwarze Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister Reinhold Mitterlehn­er in Bratislava bei den Handelsmin­istern erklärt, man werde die Vorbehalte schon ausräumen. Als Kompromiss zeichnet sich ab, dass in einer Sondervere­inbarung, wie von Gabriel angekündig­t, einzelne Punkte des Abkommens „zu erklären und interpreti­eren“wären. Dies hält auch die kanadische Handelsmin­isterin Freeland für möglich.

Formal beschlosse­n wird Ceta beim EU-Gipfel am 21. Oktober von den Staats- und Regierungs­chefs. Dann soll es beim EU-Kanada-Gipfel am 28. Oktober unterzeich­net und danach vorläufig angewendet werden.

Tatsächlic­h aber wird es dann erst spannend. Anfang 2017 stimmt das Europäisch­e Parlament ab und im Anschluss entscheide­n die nationalen Parlamente der EU. Erst wenn alle zugestimmt und das Abkommen ratifizier­t haben, kann es endgültig in Kraft treten.

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Christian Kern

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