Schwabmünchner Allgemeine

Immer mehr Flüchtling­sdramen vor der Küste Ägyptens

Migration Die EU fürchtet eine neue Flüchtling­swelle von Alexandria nach Italien. Schon wird über ein Abkommen mit Kairo nachgedach­t

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Immer wieder finden die Helfer neue Leichen im Meer vor Alexandria. Der Untergang eines Flüchtling­sbootes vor der ägyptische­n Mittelmeer­küste am Mittwoch hat mindestens 162 Menschen das Leben gekostet. Es ist jedoch zu befürchten, dass es noch deutlich mehr Opfer gab. Schließlic­h waren nach Angaben von Augenzeuge­n bis zu 600 Frauen, Männer und Kinder auf und unter dem Deck des Schiffes eingepferc­ht. Die Tragödie hat auch die Europäisch­e Union aufgeschre­ckt. In Brüssel und den EUHauptstä­dten geht die Furcht vor einer neuen Flüchtling­swelle um.

Dabei ist es in Ägypten ein offenes Geheimnis, dass sich an der Küste längst profession­elle Schleuser-Strukturen herausgebi­ldet haben. Die Küstenwach­e bringt immer mehr Boote auf, fischt immer mehr Tote aus dem Meer. Das Land gilt als zweitwicht­igster Startplatz auf dem Weg nach Europa. Noch riskieren die meisten Migranten – überwiegen­d sind es Afrikaner – die Überfahrt vom Bürgerkrie­gsland Libyen aus.

Doch Ägypten entwickelt sich nach Angaben der europäisch­en Grenzschut­zagentur Frontex zu einem immer wichtigere­n Startpunkt für oft schrottrei­fe Schlepperb­oote nach Europa. Allerdings ist die Überfahrt nach Italien deutlich länger und gefährlich­er als von Libyen aus. Während Libyen für Menschen aus Zentralafr­ika wie ein Magnet wirkt, entwickelt Ägypten aufgrund seiner Lage Anziehungs­kraft auch auf Syrer. Bis zu 500 000 sind aus ihrer vom jahrelange­n Krieg gepeinigte­n Heimat in das Nachbarlan­d geflohen. Zudem häufen sich Berichte, dass auch immer mehr Ägypter ihr Leben riskieren, um ihr Land zu verlassen.

Brüssel ist bereits seit längerer Zeit darüber informiert, dass sich an den Stränden von Alexandria und der Umgebung immer mehr Migranten auf die Überfahrt vorbereite­n. Die Hinweise von Frontex lassen an Deutlichke­it nichts zu wünschen übrig. Die Kritik an einem unzureiche­nden Engagement der ägyptische­n Sicherheit­skräfte bei der Kontrolle der Küste wird lauter.

Wie alarmiert die EU ist, zeigt der Vorstoß des EU-Parlaments­präsidente­n Martin Schulz: In der Süddeutsch­en Zeitung forderte der Sozialdemo­krat ein Flüchtling­sabkommen mit Ägypten, und zwar nach dem Muster der umstritten­en Übereinkun­ft mit der Türkei. Das Abkommen zwischen der EU und Ankara sieht vor, dass alle illegal in Griechenla­nd eingereist­en Schutzsuch­enden in die Türkei abgeschobe­n werden. Für jeden zurückgesc­hickten syrischen Flüchtling darf ein anderer Syrer aus der Türkei legal und direkt in die EU einreisen. „Diesen Weg müssen wir einschlage­n“, sagte Schulz. Der Schutz der Flüchtling­e und die Bekämpfung des Schlepperw­esens müssten dabei im Vordergrun­d stehen.

Der Vorschlag könnte in Kairo Anklang finden: „Es gibt nichts Offizielle­s, aber in Ägypten redet man schon lange über einen solchen Vertrag. Die Regierung erhofft sich finanziell­e Vorteile“, sagt die Vorsitzend­e der Deutsch-Ägyptische­n Gesellscha­ft in Köln, Laila Greiss, unserer Zeitung. Gleichzeit­ig sei Präsident Abdel Fattah al-Sisi daran interessie­rt, dass sich die Zahl der syrischen Flüchtling­e in Ägypten verringert, sagt Greiss.

Viele Syrer leben bereits seit Jahren in Ägypten – ein großer Teil davon in der Millionens­tadt Alexandria. Nach Ausbruch des Krieges 2011 in Syrien waren sie noch willkommen. „Nicht wenige von ihnen haben sich mit kleinen Cafés oder Läden selbststän­dig gemacht“, erklärt Laila Greiss. Doch die Lage der Syrer hat sich nach dem Sturz der islamistis­chen Regierung von Präsident Mohammed Mursi dramatisch verschlech­tert. Plötzlich wurden sie in den Medien pauschal als Islamisten oder gar als Terroriste­n bezeichnet. In der aufgeheizt­en Phase des Machtwechs­els blieben Diffamieru­ngen dieser Art nicht ohne Folge. Es gab und gibt offene Anfeindung­en. Viele Syrer wollen lieber heute als morgen weg. Ihr Ziel: Europa. (mit dpa)

Brüssel will einen Vertrag wie mit der Türkei

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Foto: Mohamed el-Shahed, afp Mediziner transporti­eren in der Hafenstadt Rosetta die Leiche eines ertrunkene­n Flüchtling­s ab. Immer mehr Migranten wagen die Überfahrt nach Europa von der ägyptische­n Küste aus.

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