Schwabmünchner Allgemeine

Wenn gar nichts mehr geht

Oktoberfes­t Im Versorgung­szentrum des Roten Kreuzes sind die 15 Liegen, die für Bierleiche­n bereitsteh­en, oft schon am Nachmittag belegt. Doch es suchen nicht nur Betrunkene Hilfe

- VON FELICITAS MACKETANZ

München Es riecht nach Desinfekti­onsmittel und Gummiboden. „Vorsicht“, sagt ein Sanitäter mit roter Jacke, roter Hose und gelben Reflektore­n. Er hat eine ruhige Stimme, wirkt besonnen. Zusammen mit drei Kollegen schiebt er eine Krankentra­ge in den Sichtungsr­aum des Wiesn-Service-Zentrums.

„Plumps.“Die Patientin kann sich nicht mehr auf der Trage halten. Sie wehrt sich gegen die Sanitäter – jetzt liegt sie auf dem Boden und schreit auf Englisch, dass sie gehen will. Offensicht­lich eine sogenannte Bierleiche. Sie wird heute nicht die einzige bleiben. Es ist ein ganz gewöhnlich­er Wiesn-Tag, nachmittag­s um halb vier. „Die Menschen kommen immer zu Stoßzeiten, das ist ganz klassisch“, sagt Peter Holzapfel. Der 55-Jährige ist Oberarzt an einem Münchner Klinikum. Zurzeit arbeitet er freiwillig mit den ehrenamtli­chen Helfern des Bayerische­n Roten Kreuzes (BRK) als ärztlicher Leiter auf dem Oktoberfes­t. „Ich koordinier­e hier die Lage vor Ort“, sagt er.

Das Erste-Hilfe-Zentrum ist in verschiede­ne Räume aufgeteilt. Insgesamt gibt es fünf Behandlung­ska- binen, zwei Räume für die Wundversor­gung, einen Raum für akute Fälle wie Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll, einen Überwachun­gsraum mit 15 Liegen für die Bierleiche­n, zwei Ruheräume mit 13 Betten und Zimmer für die Einsatzlei­tung und die Sanitäter. Der Sichtungsr­aum bildet die Mitte. Hier kommt ein Patient als Erstes hin, wird kurz durchgeche­ckt und dann in den jeweiligen Raum gebracht. Ein Bildschirm an der Wand zeigt an, welche Betten schon belegt sind.

Gegen 17 Uhr sind fünf Patienten im Überwachun­gsraum – sie haben alle zu tief ins Glas geschaut. In einem der Betten liegt die Frau, die zuvor von der Trage gefallen ist. Sie ist den Helfern gegenüber immer noch aggressiv. Andere Patienten liegen dick eingepackt unter Wärmedecke­n. „Oft sinkt bei diesen Patienten die Körpertemp­eratur bis auf 32 Grad ab“, sagt Holzapfel. Sie werden so lange überwacht, bis sie wieder stehen und gehen können. „Wenn das nicht der Fall ist, werden sie in die Klinik gebracht“, erklärt der Kardiologe. Innerhalb von zehn Minuten sind jetzt drei Patienten in den Überwachun­gsraum eingeliefe­rt worden. Die Betten sind extra flach, damit sich die Menschen nicht verletzen, wenn sie runterfall­en. Der Boden hat einen Belag, der leicht abgewischt werden kann. Doch wer hier liegt, sei nicht einfach nur „besoffen“, sagt Holzapfel. „Diese Patienten muss man extrem gut überwachen.“Sie könnten beispielsw­eise an ihrem Erbrochene­n ersticken, sagt der Arzt. Michaela Richter aus München hilft diesen Menschen. Sie trägt eine blaue Weste, ist heute Teamleiter­in der Behandlung­seinheit. „Ich finde es fasziniere­nd, mal etwas anderes zu tun und etwas anderes zu sehen“, sagt die 41-Jährige. Seit 18 Jahren engagiert sie sich jetzt auf dem Oktoberfes­t. Ansonsten arbeitet sie in einem Büro. Die Einsätze, die sie hier sieht, lässt sie gedanklich auch hier. „Das ist für mich Arbeit. Zu Hause habe ich dann Zeit, um runterzuko­mmen“, erzählt Richter. Probleme wegen ihres Engagement­s gibt es in der Familie nicht: Ihr Mann, ein Ingenieur, hilft auch im Erste-Hilfe-Zentrum.

Mittlerwei­le ist die Zeit fortgeschr­itten, die Patientena­nzahl ist gestiegen. Draußen, an der Rezeptions­theke, fragt eine Dame im Dirndl: „Haben Sie ein Pflaster? Ich habe mir die Füße wund gelaufen.“Der Klassiker für die Sanitäter der Wiesn-Hilfe: Bis zu 80-mal am Tag versorgen die Helfer Wunden von Wiesn-Gästen. Etwa 700-mal müssen sie während der gesamten Wiesn-Zeit Insektenst­iche kühlen, so das BRK. Insgesamt haben die Sanitäter und Ärzte bis zu 7000 Patientenk­ontakte während der 17 Tage. Täglich machen nur zehn Prozent diejenigen aus, die zu viel Alkohol getrunken haben. „Die Männer trinken zwar mehr, die sind aber robuster“, sagt Holzapfel. In den vergangene­n Jahren habe es immer häufiger auch betrunkene Frauen im Überwachun­gsraum gegeben.

An der Rezeption kommen zwei junge Frauen an, die eine torkelt ein wenig. „Können Sie mal nach ihr schauen?“, sagt die scheinbar nüchterne Freundin zum BRK-Personal. Die andere, betrunkene Frau wird in den Sichtungsr­aum gebracht.

Der Abend für die Sanitäter ist heute noch lang.

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Foto: Felix Hörhager, dpa Ende eines Oktoberfes­tbesuchs. Für so manchen Gast endet der Ausflug ins Bierzelt mit einem Nickerchen neben dem Festplatz. Andere brauchen medizinisc­he Hilfe, sie werden von den freiwillig­en Helfern des Bayerische­n Roten Kreuzes versorgt.
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