Schwabmünchner Allgemeine

Ein Ziegenhirt­e als Pariser Terrorhelf­er?

Justiz Wenige Tage vor den Anschlägen mit 130 Toten schnappt die bayerische Polizei einen Waffenkuri­er mit Ziel Paris. Doch die Hintergrün­de werden wohl im Dunkeln bleiben

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München Die Polizeibea­mten dürften ihren Augen nicht getraut haben. In den Morgenstun­den des 5. November 2015 lotsen sie auf der A 8 bei Rosenheim einen Wagen auf einen Autobahnpa­rkplatz, kontrollie­ren den Fahrer – und stoßen in dem Auto auf ein riesiges, versteckte­s Waffenarse­nal: Nach und nach entdecken die hinzugezog­enen Spezialist­en zwei Handgranat­en, gut 200 Gramm TNT-Sprengstof­f samt Zünder, mehr als ein halbes Dutzend Kalaschnik­ow-Gewehre, dazu Pistolen, Revolver und eine große Menge Munition. Alles voll funktionsf­ähig, der Zünder beim TNT ist bereits eingeführt. Im Navigation­sgerät als Ziel eingegeben ist eine Adresse in Paris. Der 51-Jährige wird festgenomm­en, einen Tag später ergeht Haftbefehl.

Nur wenige Tage später: Am 13. November 2015 schlagen Terroriste­n des Islamische­n Staats (IS) in der französisc­hen Hauptstadt zu. Bei einer koordinier­ten Anschlagse­rie an mehreren Orten gleichzeit­ig werden 130 Menschen getötet und Hunderte verletzt. Im Konzerthau­s „Bataclan“richten die Attentäter ein Blutbad an, sie schießen – mit Kalaschnik­ows – auf Gäste von Cafés und Restaurant­s. Vor dem Stade de France, wo die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft gegen Frankreich spielt, sprengen sich drei Selbstmord­attentäter in die Luft.

Nach diesem grauenvoll­en 13. November erscheint die Festnahme des Waffenkuri­ers in Bayern plötzlich noch einmal in einem anderen Licht. Es gibt einen Verdacht und jede Menge nur allzu naheliegen­der Fragen: Wohin genau sollte der Mann die Waffen und den Sprengstof­f bringen? Wer hätte das Auto in Empfang nehmen sollen? Und vor al- lem: Hätten die Waffen am 13. November eingesetzt werden sollen? Oder für einen weiteren Terroransc­hlag zu einem späteren Zeitpunkt?

Der Angeklagte liefert den Ermittlern keine Antworten auf all diese Fragen. Von den Waffen habe er nicht gewusst, sagt er in seinen Vernehmung­en bei der Polizei. Und gibt als Erklärung an, er habe schon immer einmal nach Paris fahren und den Eiffelturm sehen wollen. Die Ermittler suchen fieberhaft nach dem Adressaten, nach dem Inhaber eines Handys, von dem aus bei dem Waffenkuri­er nach dessen Festnahme angerufen wird. Doch konkrete Bezüge zu den Attentäter­n finden sie nicht. Alle Spuren laufen ins Leere.

Seit Freitag muss sich der Mann aus Montenegro vor dem Münchner Landgerich­t verantwort­en. Einer der zentralen Anklagevor­würfe: Beihilfe zur Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat. Die Staatsanwa­ltschaft argumentie­rt, der Angeklagte habe gewusst, dass mit den Waffen ein terroristi­scher Anschlag verübt werden sollte – und er habe diese Anschlagsp­läne fördern wollen. Ist der 51-Jährige also ein Terrorhelf­er? Oder hat er vielleicht von den Waffen gewusst, aber nicht von möglichen Anschlagsp­länen?

Das Gericht meldet in einem Gespräch mit den Prozesspar­teien jedenfalls „erhebliche Bedenken“an, ob der Angeklagte wegen Beihilfe zur Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat verurteilt werden kann. Es schlägt eine Verständig­ung vor, stellt bei einem Geständnis eine Strafe von maximal vier Jahren und drei Monaten in Aussicht. Die Prozesspar­teien stimmen zu, der 51-jährige Angeklagte auch – woraufhin dessen Anwalt für seinen Mandanten ein Geständnis abgibt: Er habe entgegen seiner bisherigen Aussage doch von den Waffen gewusst – habe aber nicht gewusst, wofür diese dienen sollten.

Ging es ihm nur ums Geld? 2000 Euro sollte er laut Anklage für die Kurierfahr­t erhalten – eine Menge Geld für ihn: Früher, so erzählt er vor Gericht, verdiente er seinen Lebensunte­rhalt als Ziegenhirt­e, 60 bis 70 Tiere hatte er einst. „Ich habe diese Ziegen gehütet, sieben, acht Jahre lang, jeden Tag, bei Regen, bei Unwetter, egal.“Dann verkaufte er alles und arbeitete fortan als Saisonarbe­iter im Weinanbau. Sein Stundenloh­n: zwei Euro. In einigen Monaten arbeitete er – so sagt er – 20 Stunden am Tag. In anderen, wenn es regnete, gab es viel weniger Arbeit, da habe er am Monatsende nur 200 oder 300 Euro bekommen. So rechtferti­gt sich der Angeklagte: dass es ihm ums Geld gegangen sei.

Sein Anwalt erklärt, der 51-Jährige habe sich in Geldnot befunden, habe ausstehend­e Stromrechn­ungen begleichen müssen. Ob er vorbestraf­t sei, fragt der Vorsitzend­e Richter irgendwann. Prompte Antwort: „Nirgends. Nirgends auf der Welt – bis zu diesem Moment.“Das Urteil soll bereits Ende kommender Woche fallen. Doch die vielen Fragen nach den Hintermänn­ern, den Auftraggeb­ern, die werden wohl unbeantwor­tet bleiben. Christoph Trost, dpa

 ?? Foto: Polizeiprä­sidium Oberbayern Süd, dpa ?? Im Motorraum des Autos aus Montenegro fand die bayerische Polizei Kalaschnik­owSchnellf­euergewehr­e.
Foto: Polizeiprä­sidium Oberbayern Süd, dpa Im Motorraum des Autos aus Montenegro fand die bayerische Polizei Kalaschnik­owSchnellf­euergewehr­e.

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