Geld oder Liebe oder Tod
Oper Puccinis „Manon Lescaut“mit Problemen am Theater Ulm
Ulm Eben noch hat sie die Wonnen des Luxuslebens im Appartement ihres betuchten Liebhabers genossen, da heult sie ihrem Bruder die Ohren voll, wie sehr sie den armen, aber ritterlichen Studenten Des Grieux vermisst.
Manon Lescaut ist nicht die Art Frau, die man seinem Sohn wünscht. Ein Mädchen, das aus der Armut kommt und nach Reichtum strebt – zerrissen von Leidenschaft und Gier. Manon Lescaut aus Puccinis gleichnamiger Oper ist ein Fall, für den es auf der Bühne nur eine Heilung geben kann: den Tod.
In Matthias Kaisers Inszenierung der 1893 uraufgeführten Oper, mit der das Theater Ulm seine Spielzeit eröffnet, grüßt der Untergang schon von Beginn an. Auf der von Detlev Beaujean gestalteten Bühne sieht man Manon vor allen Akten von Trümmern und Müll umgeben – bis das Element nach hinten gezogen wird und andere Kulissen davor geschoben werden. Diese Fragmentierung in einzelne Bilder spiegelt die Struktur der Oper wider: „Manon Lescaut“hat keine fortlaufende Erzählung, sondern zerfällt in vier Schlaglichter, zwischen denen teils große Zeitsprünge liegen. Bilder der großen Liebe des hoffnungslosen Romantikers Des Grieux zu Manon, gespeist aus der Erinnerung: kein Werk, das die Herzen im Sturm erobert.
Puccinis vielfach überarbeitetes Werk, das aber seinen Durchbruch als Opernkomponist bedeutete, dreht sich fast komplett um diese beiden Personen, die im Verlauf der Handlung immer mehr auf sich zurückgeworfen werden. Bis sie am Ende alleine dastehen.
Die Besetzung dieser Partien erweist sich in Ulm aber als Glücksfall. Der kanadische Tenor Eric Laporte (Des Grieux), der mit seinen Auftritten in „Turandot“und „Lohengrin“zum Publikumsliebling avancierte, glänzt mit schmelzender Kraft und einer kleinen Dosis Gefühlskitsch, die dieser Rolle bestens steht. Sopran Edith Lorans verleiht der Titelheldin eine delikate lyrische Zartheit, die signalisiert: Manon Lescaut ist eine zarte Seele.
Doch bis das Paar seine Qualitäten ausspielen kann, dauert es. Denn der – ohnehin zerfahrene – erste Akt, angesiedelt in einer ranzigen Wartehalle samt Getränkeautomat, wirft bei der Premiere musikalische Fragen auf: Weder Solisten noch Chor können sich akustisch gegen das von Generalmusikdirektor Timo Handschuh dirigierte Orchester durchsetzen. Ab dem zweiten Akt wird es jedoch deutlich besser, und die Philharmoniker sammeln mit so dezenter wie emotionaler Darbietung viele Pluspunkte.
Die Inszenierung freilich bleibt so disparat wie die Vorlage. In der Luxus-Wohnung des „Lustgreises“Geronte (Martin Gäbler in seiner ersten Ulmer Partie) geht es zu wie auf einer bizarren Sadomaso-Party (Kostüme: Angela C. Schuett). Doch danach kehrt „Manon Lescaut“zu einem schmerzhaften Realismus zurück – bis zum bitteren Finale.
Die Oper endet in Ulm nicht in der Wüste, sondern in der Trümmerszenerie, die schon am Anfang zu sehen war. Sie entpuppt sich als Fixerhöhle. Ob aus der Spritze der Tod oder die Verdrängung kommt, bleibt unklar. Aber Manon Lescaut ist es nicht vergönnt, in den Armen des liebenden Des Grieux zu sterben.
Zurückhaltender Beifall für die erste Premiere der Spielzeit – aber großer Applaus und Bravo-Rufe für Tenor Laporte und Sopran Lorans.
Vorstellungen 25. September, 1., 5., 7., 9., 11., 15., 21. und 29. Oktober. Weitere Termine bis Ende Dezember.