Schwabmünchner Allgemeine

Ihre Strafzette­l bezahlt jetzt die Oberin

Religion Birgit Stollhoff stammt aus einem atheistisc­hen Elternhaus und studierte Jura. Jetzt ist sie Ordensschw­ester. Warum die Silvestern­acht 1999 für ihr Leben prägend war – und wie sie für zwei Wochen Boulevard-Reporterin wurde

- VON JÖRG HEINZLE

Falls sie mit dem Auto geblitzt wird und einen Strafzette­l erhält, dann muss Birgit Stollhoff ihn nicht mehr selbst bezahlen. Sie könnte es auch gar nicht. Denn als Ordensschw­ester hat sie ein Gelübde abgelegt, in Armut zu leben. Das heißt nicht, dass sie sich keine Kleidung kaufen könnte oder in ein Café gehen dürfte. Aber es ist doch ein bewusster Verzicht auf Luxus. Das Geld, das sie bei ihrer Arbeit verdient, tritt sie an den Orden ab. Größere Anschaffun­gen muss sie mit der Oberin absprechen.

Es ist erst zwei Wochen her, dass sich Birgit Stollhoff, 39, für immer dem Orden der „Congregati­o Jesu“angeschlos­sen hat. Die Frauen dieser Gemeinscha­ft sind als MariaWard-Schwestern in Augsburg vor allem durch die Realschule und das Gymnasium im Domviertel bekannt. Die Schule gehört heute zum Bistum und nicht mehr zum Orden, aber noch immer leben knapp 30 Ordensschw­estern hier. Birgit Stollhoff hat die sogenannte Ewigprofes­s abgelegt. Sie gehört zu den jüngeren Schwestern, die in Augsburg leben, die meisten sind schon deutlich älter. In Deutschlan­d schrumpft die Gemeinscha­ft.

Birgit Stollhoff ist trotzdem überzeugt davon, den richtigen Weg eingeschla­gen zu haben. Auch wenn sie als jüngere Ordensschw­ester hierzuland­e eine Exotin ist. Dass die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d und Europa kleiner geworden ist, sieht sie als Herausford­erung. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur um uns selbst kreisen“, sagt sie. „Wir müssen uns in die Gesellscha­ft einbringen.“Das sah schon die Ordensgrün­derin Mary Ward im 17. Jahrhunder­t so. Die Engländeri­n wollte keine Schwestern, die abgeschied­en vom normalen Leben hinter Klostermau­ern leben und beten.

So ist es auch heute noch. Birgit Stollhoff lebt in der Gemeinscha­ft in Augsburg. Sie hat ein eigenes Zimmer. Es wird gemeinsam gegessen, gebetet und Gottesdien­st gefeiert. Aber sie verschließ­t sich nicht der Welt. Sie trägt auch keine Ordenstrac­ht. Ein Kreuz an einer Halskette ist das Erkennungs­zeichen. Sie hat eine halbe Stelle als Projektman­agerin in München beim Sankt Michaelsbu­nd, einem katholisch­en Medienhaus. Sie studiert nebenher per Fernstudiu­m Theologie. Und sie ar- beitet ein paar Mal im Monat ehrenamtli­ch im Flüchtling­s- und Kulturproj­ekt „Grandhotel“in Augsburg. Hier ist sie nicht die Ordensschw­ester, sondern nur die Birgit. Und sie sieht immer wieder, dass es auf der Welt Themen und Nöte gibt, die sie sonst nicht so auf dem Radar hätte.

Der Glaube an Gott wurde Birgit Stollhoff nicht in die Wiege gelegt. Sie stammt aus einem atheistisc­hen Elternhaus in Württember­g. Gott war da kein großes Thema. Aber sie fand dennoch zum Glauben, ließ sich mit 16 Jahren taufen und ent- schied sich mit Anfang 30, das Leben in der Ordensgeme­inschaft auszuprobi­eren. Der Gedanke, Schwester zu werden, kam Birgit Stollhoff in einer besonderen Nacht. Es war die Silvestern­acht des Jahres 1999, die Jahrtausen­dwende. Sie studierte damals in Konstanz am Bodensee Jura. Sie hätte bei diversen Partys aufs neue Jahrtausen­d anstoßen können. Aber sie wollte es anders machen. Und so entschied sie sich, ein nahe gelegenes Kloster zu besuchen. Um Mitternach­t stand sie mit den Schwestern im Klosterhof.

Ein Leben als Schwester bedeutet nicht nur, auf eigenes Geld zu verzichten. Sie hat auch Keuschheit gelobt. Das heißt, sie verzichtet auf eine Partnersch­aft und auf Kinder. „Das ist ein Schmerz, der bleibt. Aber ich nehme es als Teil meiner Berufung an. Sonst kann ich nicht glücklich werden.“Es war aber keine einfache Entscheidu­ng. Deshalb entschloss sie sich auch mit 30 Jahren, das Leben im Orden einfach auszuprobi­eren. Sie arbeitete damals als Juristin bei einem privaten Klinikbetr­eiber. Wäre der Orden doch nichts für sie gewesen, hätte sie immer noch eine Familie gründen und Kinder bekommen können. Acht Jahre gehörte sie der Gemeinscha­ft auf Zeit an, ehe sie sich nun für immer an sie gebunden hat.

Sie ordnet sich jetzt bewusst unter. Wo sie arbeiten wird, welche Aufgabe sie bekommt – das ist nicht allein ihre Sache. Wenn sie einen Auftrag bekommt, dann ist sie zum Gehorsam verpflicht­et. Für sich hat die Juristin die Öffentlich­keitsarbei­t entdeckt. Ein Kinderbuch über die Ordensgrün­derin hat Birgit Stollhoff geschriebe­n.

Kurz vor ihrem Gelübde war sie noch zwei Wochen als Praktikant­in bei der Bild-Zeitung in München und hat dort auch zu einem Kriminalfa­ll recherchie­rt. Eine Ordensschw­ester bei einem Boulevardb­latt. Geht das? „Die Bild erreicht viele Menschen. Ich wollte wissen, wie dort gearbeitet wird“, antwortet Birgit Stollhoff. Am Ende erschien sogar ein großer Artikel über die Schwester. Natürlich mit einer dicken Schlagzeil­e: „Nach zwei Wochen Bild bin ich reif fürs Kloster.“

Sie ging nicht zur Party, sondern ins Kloster

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Birgit Stollhoff hat sich dem Orden der „Congregati­o Jesu“angeschlos­sen. Ehrenamtli­ch arbeitet sie im Augsburger Grandhotel, wo das Foto entstand.
Foto: Annette Zoepf Birgit Stollhoff hat sich dem Orden der „Congregati­o Jesu“angeschlos­sen. Ehrenamtli­ch arbeitet sie im Augsburger Grandhotel, wo das Foto entstand.

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