Höhenflug
Früher galten Brieftauben als die Rennpferde des kleinen Mannes. Heute aber kann man mit ihnen reich werden. Wie Andreas Drapa aus Königsbach-Stein. Seine beste Taube heißt Pokerface. Eine Legende
Es gibt verrückte Tage im Leben von Andreas Drapa. Und dann gibt es noch verrücktere. Manchmal, nach den ganz verrückten Tagen, sitzt Andreas Drapa abends im Hotel und denkt: „Und alles wegen der Tauben.“
An einem der ganz verrückten saß Andreas Drapa, Jahrgang 65, in Kalifornien im Haus von Kirk Douglas. Und zwar in dessen Schlafzimmer auf dem Bett. Da hat Andreas Drapa zum großen alten Schauspieler gesagt: „Kirk, du hast aber ein kleines Haus.“Und Kirk Douglas hat geantwortet, sein Sohn Michael habe ein viel größeres Haus mit viel mehr Schlafzimmern. „Aber schlafen kann er nur in einem.“
Den Satz und die ganze Geschichte hat Andreas Drapa dann mit nach Hause genommen, nach Königsbach-Stein in der Nähe von Pforzheim und erzählt sie nun im Pokalzimmer, oder wie man ein Zimmer nennt, in dem nicht viel mehr steht als eben dutzende Pokale. Sehr große, mittlere, kaum kleine. Alle glänzend. Wenn man so will, ist auch diese Geschichte von Kirk Douglas so etwas wie eine Trophäe. Weil auch sie zeigt, wie weit er gekommen ist – bis in dessen Schlafzimmer. Und alles wegen der Tauben.
Wenn man den Namen Kirk Douglas nennt, nickt jeder wissend. Außer man sitzt mit sehr jungen Menschen am Tisch. Wenn man zum Beispiel von Paul Schockemöhle spricht, muss man auch nichts erklären. Schockemöhle ist Legende. Seine Pferde auch. Totilas zum Beispiel, der Wunderhengst, den er für zehn Millionen Euro kaufte und der dann keine Wunder mehr vollbrachte. Beim Namen Drapa kommt es dagegen darauf an, ob sich einer auskennt. Bei denen, die sich auskennen, gilt er als „der“Drapa. Vorname braucht es nicht. Drapa, um es einmal so zu sagen, ist der Schockemöhle der Brieftaubenwelt. Und einen Totilas hat er auch, nur erfolgreicher: Pokerface! Drapa sagt, „das ist eine Taube, die kennt die ganze Welt“. Oder zumindest die Welt, die etwas von Brieftauben versteht. Würde er Pokerface verkaufen, er bekäme vielleicht 300 000 bis 400 000 Euro. Es gab schon Angebote. Aber Drapa verkauft nicht. Er sagt: „Sie brauchen im Leben nur einmal so eine Taube.“Er aber hat sogar drei davon ... Skyfighter, Cassandra. Und noch 250 andere, auch die sind nicht von schlechten Eltern.
Eine Taube für 300 000 Euro?Lebensdauer vielleicht zwölf Jahre. Klingt vielleicht verrückt, aber die Welt wird ja auch immer verrückter. Es gibt eine tibetanische Dogge, für die wurde zwei Millionen Dollar gezahlt. Für die Kuh Miss Missy 1,2 Millionen. Einem Scheich war eine Kamelstute ebenso viel wert. Paris Hilton soll für ihren Zwergspitz angeblich immerhin noch 13000 Dollar gezahlt haben. Ein Koi-Karpfen darf 500 000 kosten. Und der macht nichts außer fressen und schwimmen. Eine Brieftaube dagegen!
Früher nannte man Brieftauben die Rennpferde des kleinen Mannes. Weil sie nichts kosteten, ein paar Zehner vielleicht, und am Wochenende bei den Rennen dann den Kitzel brachten, der die ganze trübe Woche vergoldete. Wenn die eigene Taube nach hundert, zweihundert oder mehr Kilometern sich plötzlich als Punkt am Himmel zeigte, zum Sturzflug ansetzte, den Schlag ansteuerte … Heute aber zählt der Verband der deutschen Taubenzüchter nicht einmal mehr halb so viel Mitglieder wie in den 60er Jahren, derzeit etwa 40 000, und die Tendenz ist weiter rückläufig. Ein Sport im Sinkflug. Die Tauben aber es nicht mehr für ein paar Zehner. Und es gibt kleine Männer, die sind mit ihnen groß und reich geworden. So wie Drapa. Weil Drapa in die Welt hinausgeflogen ist. Dort, wo es das Geld gibt. Nach China zum Beispiel, wo Taubenwettflüge zum Hobby für Millionäre geworden sind. Wo man, sagt Drapa, gar keine billigen Tauben will. So wenig wie billige Autos. Weil es vor allem ums Prestige geht, sagt Drapa, und nicht mehr ums Geld.
Drapa trägt zu Jeans, weißem Pulli und Poloshirt Adidas-Schuhe von Rapper Kanye West. Die sind so begehrt, dass sie auf Ebay bis zu 1000 Euro gehandelt werden. Muss man aber natürlich wissen. So etwas mag er. Oder dass der Porsche zu einer limitierten Edition gehört. Vor kurzem hat er in Pforzheim beim Mercedes-Cup den nächsten Wagen gewonnen. In seinem neuen Haus baut er nun eine Tiefgarage, in der zehn Autos Platz haben sollen. Drapa hat keine Scheu, sein Geld zu zeigen. Er sagt, er mag die Denkweise der Asiaten: Von zwanzig bis vierzig müsse das Geld verdient, dann aber ausgegeben werden, bevor man es nicht mehr könne. Also jetzt.
Und alles wegen der Tauben. In der Luisenstraße in KönigsbachStein, dort, wo die Tauben wohnen, merkt man nichts vom Geld. Ein vierstöckiges Haus, schmucklos, verwinkelt, gekauft nur für die Vögel. Die verstehen nichts von Luxus. In jeder Etage Geflatter, Gegurre. Ganz oben unterm Dach wohnen seine Besten, Pokerface, Skyfighter, die Zuchttauben. Im Erdgeschoss warten junge Tauben auf den Abtransport, Dubai und Moskau. Den Tag über ruft immer wieder ein Mitarbeiter an, der sich mit Zollpapieren quält. „Was wollen die wissen, den lateinischen Namen?“, ruft Drapa entnervt ins Telefon. „Schreib Columba“. Taube eben. Nichts Besonderes. „Sind ja keine Rassetauben.“Deswegen müssen Brieftauben ja auch nicht schön sein. Aber schnell fliegen müssen sie können. Und nach Hause kommen. Woran erkennt man gute Brieftauben? „Ich kann immer nur sagen, Instinkt“, sagt Drapa. „Wenn man erst mit 40 oder 50 anfängt, kann man das Gefühl nicht mehr bekommen.“
Wenn man Drapa fragt, ob er seine Tauben eigentlich liebt, dann erzählt er von den Erfolgen, erklärt einem, was eine gute Taube für einen macht. Zum Beispiel E.T., den er Ende der 90er auf einem Markt in Belgien entdeckte, auf die Schnelle kaufte, das Auto stand derweil im Halteverbot. 50 Mark habe er gezahlt. Das war die Taube, sagt Drapa, die seinen Namen auf einen Schlag bekannt gemacht habe. „Eine Legende“, sagt Drapa. Danach erst kamen all die anderen, Aventador, Pokerface, Skyfighter. Mittlerweile sei es so. „Eine Taube von Drapa ist wie eine Tasche von Louis Vuitton oder Gucci.“Eine Marke, mit der man sich schmückt. Vier oder fünf Züchter in Europa gäbe es noch, die hätten einen ähnlichen Ruf. Aber mehr nicht.
In China, in Taiwan, und überall dort, wo die Tauben zum Statussymbol neben Autos, Pferden und Luxusgütern geworden sind, hat Drapa Agenten, die für ihn die Tauben verkaufen. Als er eine Versteigerung von Drapa-Tauben in Taiwan organisieren wollte, und der Organisator sich ein wenig querstellte, sagte er zu ihm auf Deutsch: „Sie sitzen hier dem König gegenüber.“Da hat der Mann verstanden. Die Versteigerung, sagt Drapa, war dann ein irrer Erfolg. Frühmorgens rief die Agentin an, sagte, hier sind 500 Leute, ob man die verköstigen wolle. Drapa hat dann allen ein Mittagessen spendiert. Und noch so eine verrückte Geschichte: In Peking, erzählt Drapa, gibt es den Piogibt neer Club. Zwei Mal im Jahr veranstaltet der Club das vielleicht wichtigste Taubenwettflugrennen in China. Es geht um Millionen. Die man mit seinen Tauben gewinnen kann, oder aber beim Wetten. Von 7800 Tauben, die in vier Rennen über rund 500 Kilometer letztes Jahr gegeneinander antraten, kamen rund 280 ans Ziel. Sieger alle schon deswegen, weil sie überlebt hatten. Auf 40 Mitglieder ist der Club beschränkt, 39 Chinesen und ein Europäer. „Das bin ich“, sagt Drapa.
Und noch eine: Einmal saß Drapa mit einem Scheich in Dubai zusammen, „bissl gegessen und gequatscht“. Und da hat Drapa so nebenbei gesagt, dass er Araberpferde schön fände, und der Scheich hat ihm zwei geschenkt. Abzuholen in Marbach. „Und da hatte ich die auf der Koppel stehen und wusste nicht einmal, was die eigentlich fressen.“Und alles wegen der Tauben.
Die verrückteste Geschichte ist aber vielleicht die von Drapa selbst: Vom kleinen Jungen, der eben verrückt war nach Tauben. So wie andere Kinder nach Hunden, Meerschweinchen oder Pferden. War Drapa bei den Großeltern, spielte er mit den Tauben. Saß er in der Schule, schaute er aus dem Fenster und den Tauben zu. Mit zehn Jahren war er alt genug, um endlich mit einer Taube beim ersten Wettbewerb anzutreten. Später lernte er Fliesenleger. Er hätte auch Profifußballer werden können, in Leverkusen oder Bochum. Er wollte aber nicht: wegen der Tauben. Dann übernahm er eine Futterhandlung. Und kaufte weiter Tauben. Oft auch über seine Verhältnisse. Die zahlte er langsam ab. Zu seinem Vater hat er mit Anfang zwanzig gesagt, in vier bis fünf Jahren wolle er deutscher Meister sein. „Ich hab’s geschafft.“Mittlerweile hat er fast alles gewonnen, was man gewinnen kann und seit Jahren lebt er von den Tauben. „Aber 30 Jahre lang habe ich auch keinen Urlaub gemacht.“Ein chinesischer Taubenzüchter hat Drapa nach dem Besuch im Pokalzimmer in Königsbach-Stein gefragt, ob er das alles kaufen könne. Die ganzen Trophäen. Drapa hat eine Zahl genannt. Da hat der Chinese geschluckt und nichts mehr gesagt. Unbezahlbar. „Hier steht doch meine Lebensgeschichte“, sagt Drapa. Noch steckt er mittendrin. Als Hauptdarsteller, demnächst vielleicht auch in einem Dokumentarfilm. Die Finanzierung müsse noch geklärt werden, der Titel aber stehe schon: „Höhenflug“.
Einmal nur dachte er, seine verrückte Geschichte mit den Tauben sei zu Ende. Da waren zum zweiten Mal Diebe in die Luisenstraße 10 gekommen und im Gegensatz zu denen, die das erste Mal da waren, wussten die, welche Tauben sie holen mussten. „Die ganzen Guten.“Wert etwa 850000 Euro. Drapa hat dann eine Belohnung von 50000 Euro ausgesetzt, und das Geld hat tatsächlich auf eine Spur geführt. Bis nach Rumänien. Mit Ausnahme von fünf Tauben hat er sie alle wiederbekommen. Und so ist die verrückte Geschichte weitergegangen und die Tauben haben Drapa in die Welt geführt, zum Scheich, zum Schauspieler und in den Pioneer Club nach Peking, wo man auch einen RollsRoyce gewinnen kann. Wer weiß… Drapa sagt: „Es gibt keine Geschichte, bei der man das Ende schon vorher kennt.“Noch immer aber ist es so: Wenn Drapa zu seinen Tauben geht, braucht es im Gewusel von den zig Vögeln nur einen Blick. Dann packt er eine heraus, grauweiß wie die anderen, streicht über das Gefieder und sagt: „Pokerface. Ringnummer 162.“Unbezahlbar.
In China ist der Sport ein Hobby für Millionäre Er hätte auch Fußballer werden könne – wollte er nicht