Sie haben ein Paket bekommen
Roboter und Drohnen stellen Kartons zu, Tankstellen und Kofferräume werden zu Kurzzeitlagern – für keine Dienstleistung bezahlt die Kundschaft so wenig und verlangt so viel wie für die Paket-Lieferung
Was ist in der heutigen Zeit schon kostenlos? Für die Mayo zu den Pommes zahlt man oft extra, fürs Gepäck am Flughafen auch, ja selbst für den schnellen Toilettengang am Bahnhof ist Geld fällig. Nur eine Sache bleibt finanziell unantastbar: die kostenlose Paketrückgabe.
Die Folge: Die Menschen bestellen, bestellen und bestellen – um vieles später wieder zurückzuschicken. Die Hemmschwelle, bestellte Ware wieder zurückzugeben, ist so niedrig, der Paketumlauf folglich so hoch wie nie zuvor. Was den Trend verstärkt: Mittlerweile ist es möglich, fast überall und zu jeder Uhrzeit Pakete zuzustellen – egal ob der Empfänger zu Hause ist oder nicht.
Jährlich sind rund 500 Millionen Pakete in Deutschland Rücksendungen an Online-Händler. Das macht circa 50 Prozent der im Internet bestellten Ware aus. Deutschland im Retoure-Fieber. „In keinem Land dieser Welt schicken die Menschen derart viele Bestellungen wieder zurück“, sagt Logistik-Experte Björn Asdecker von der Uni-Bamberg.
Wegen des hohen Paketumlaufs wird es für die Zusteller immer schwerer, das Päckchen an den Mann zu bringen. Zu Hause ist tagsüber immer seltener jemand anzutreffen. So wird die Zustellung immer flexibler gestaltet und wir erleben einen regelrechten Zustellungswahn: Der Supermarkt, die Bäckerei, der Schreibwarenladen, die U-Bahn-Station, die mobile Packstation – alles wird zu einem Paketlager gemacht, wo die Adressaten ihre Päckchen abholen können – so zwischendrin, wenn es ihnen gerade in den Alltagskram passt. Hauptsache der Empfänger muss die Paketflut nicht persönlich in Empfang nehmen.
In Deutschland führt der Versandhändler Amazon nun auch Tankstellen als Packstationen ein. Die Konkurrenz von DHL und Hermes nutzt solche Standorte bereits seit längerem. Zukünftig können sich Amazon-Kunden ihre Bestellungen also auch an die „Tanke“schicken lassen. Doch damit nicht genug.
Sogar der Kofferraum eines Autos soll für Amazon-Waren zukünftig als Paketlager und Briefkasten dienen. Hier läuft derzeit die Testphase. Die Idee: Der Postbote erhält den Standort des Autos und eine Zugangsberechtigung, um den Kofferraum des Wagens zu öffnen. Dort legt der Zusteller das Paket hinein. Sobald er die Heckklappe schließt, werden automatisch alle Türen verriegelt. Auch Retouren aus dem Kofferraum sollen bald möglich sein. Die DHL plant Ähnliches.
Der Zustellung eines Pakets sind keine Grenzen mehr gesetzt. Da braucht es weder einen Empfänger noch einen Zusteller: Amazon testet in Großbritannien derzeit die Paketlieferung aus der Luft per Drohne aus. In den USA lässt Google im Rahmen eines Pilotprojekts frisch zubereitete Burritos per Drohne ausliefern. Weitere Drohnen-Projekte sollen folgen. Auch die Deutsche Post hat in Bayern die Luftzustellung bereits erfolgreich getestet. Rechtlich gibt es aber hierzulande noch Probleme mit einer solchen Zustellung.
Konkurrent Hermes setzt dagegen lieber auf „Bodentruppen“und hat im Sommer sechsrädrige Zustell-Roboter getestet, die per Fernsteuerung Gehwege entlang rollen und die Post austeilen. Was wie eine fantasievolle Zukunftsvision der Postzustellung scheint, wird gerade Realität. Da erscheint die klassische Variante, das Paket beim Nachbar abzugeben, fast schon langweilig.
Wurde früher die Post vom Absender direkt zum Adressaten, also von A nach B geschickt, geschieht heute alles, nur nicht das – so kommt es einem zumindest vor. Da geht die Post von A zuerst nach C, D, E oder F. Der einfache Zustellweg ist zur Ausnahme geworden. Der Postverkehr ist auf den Kopf gestellt. Der Konsument wird immer mehr zum Regisseur seiner eigenen Bestellung.
Ein möglichst dichtes Netz von Zustellstationen ist eine Grundvoraussetzung, um sich auf dem hart umkämpften deutschen Paketmarkt behaupten zu können. Schließlich kosten erfolglose Zustellversuche Zeit und Geld. Zudem legen die Kunden großen Wert auf kurze Wege. So sind mittlerweile alle großen Zusteller mit Paketlagern großflächig präsent.
DHL-Kunden haben mittlerweile die Wahl zwischen rund 30000 Filialen und Paketshops. Hermes ist mit rund 15000 Paketshops vertreten, DPD mit 7000 und GLS mit rund 5000 Paketlagern. Macht deutschlandweit insgesamt knapp 60000 Paket-Annahmestellen. Und da sind Amazon und viele kleinere Logistikunternehmen noch nicht einmal mit einberechnet. „Rund 90 Prozent der Bundesbürger erreichen eine DHL-Packstation innerhalb von zehn Minuten“, sagt eine Sprecherin des deutschen Logistikunternehmens.
Und trotzdem steigen die Ansprüche der Kunden weiter in die Höhe: Die Zustellung muss immer schneller gehen und dabei möglichst wenig kosten. Einer Studie des Instituts für Handelsforschung Köln zufolge, findet bei einer Online-Bestellung mehr als die Hälfte aller Kunden, dass es „absolut wichtig“ist, dass die Lieferung kostenlos erfolgt. Besonders wichtig ist das bei Tierbedarf und Lebensmitteln.
Befragungen zeigen, dass die Deutschen lieber mehr für das Produkt zahlen, als die Zustellung separat zu zahlen. Zudem erwartet jeder dritte Kunde, seine Bestellung innerhalb von zwei Tagen zu bekommen – idealerweise sogar noch am selben Tag. Das Internet hat uns verwöhnt.
Wo führt der Zustellungswahn hin? Gibt es die Pakete bald in der Mittagskantine zum Nachtisch oder zum Feierabendbier in der Kneipe? Werden sie womöglich in Zukunft einfach in den nächsten Kanaldeckel gelegt? Alles scheint machbar.
Und wer ermöglicht diesen kostenlosen Luxus? Die vielen tausend Zusteller auf Deutschlands Straßen, deren Stundenlohn nach MDR-Recherchen wegen Preisdruck und Überstunden teilweise weniger als fünf Euro beträgt. Das reicht nicht einmal aus, um sich im Internet ein billiges T-Shirt zu bestellen. Darüber sollte man sich bei der nächsten Paketrückgabe vielleicht Gedanken machen.
Und doch gibt es erste Versuche, den Zustellungswahn zu beenden: Die DHL bietet eine Paketbox für zu Hause an – ganz ohne Kofferraum oder Tankstelle. Fragt sich nur noch, ob Mensch oder Maschine sie befüllt.
Die klassische Variante, das Paket beim Nachbarn abzugeben, erscheint fast schon langweilig