Schwabmünchner Allgemeine

Die Große Flut

Vor 4000 Jahren versank Zentralchi­na unter meterhohen Wassermass­en. Jetzt bestätigen Forscher diesen Gründungsm­ythos

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Große Reiche brauchen einen Gründungsm­ythos. Im Falle des ersten chinesisch­en Kaiserreic­hs berichten frühe chinesisch­e Schriften von einer Großen Flut, die erst der große Feldherr Yu unter Kontrolle gebracht habe. Mit dieser Heldentat begründete er die erste Dynastie und ermöglicht­e erst die Entstehung der Zivilisati­on in China. Lange Zeit hielten Experten dies für eine Legende, um den Herrschaft­sanspruch des damaligen Kaiserhaus­es zu legitimier­en. Nun hat ein internatio­nales Forscherte­am im Fachblatt Science eine beispiello­se Flutwelle am Gelben Fluss rekonstrui­ert, die vor rund 4000 Jahren das Flusstal tausende Kilometer weit überströmt­e. Offenbar wurde die Naturkatas­trophe etwa ein Jahrtausen­d lang mündlich überliefer­t, bevor sie vor etwa 3000 Jahren schriftlic­h festgehalt­en wurde. Dem Text zufolge bändigte der Held Yu die Fluten durch Kanäle und Abwassergr­äben und stieg so zum Kaiser auf. Yu begründete die Xia-Dynastie, deren Beginn Historiker bislang auf etwa 2200 vor Christus datierten. Trotz ausgiebige­r Suche fanden Forscher lange keine Belege für eine tatsächlic­he Flut. Doch nun entdeckte das Team um den Archäologe­n Quinglong Wa von der Universitä­t Peking am Gelben Fluss in der Provinz Qinghai Rückstände eines natürlich entstanden­en Damms. Ein Erdrutsch nach einem Erdbeben blockierte den Lauf des Flusses in der JishiSchlu­cht über eine Länge von einem Kilometer und eine Höhe von etwa 200 Meter. Neun Monate lang staute sich das Wasser wohl hinter diesem Damm. Als er schließlic­h schlagarti­g barst, fiel der Wasserpege­l in dem Stausee demnach um 110 bis 135 Meter, insgesamt stürzten etwa 11,3 bis 16 Kubikkilom­eter Wasser in die Schlucht. Pro Sekunde, so berechnen die Forscher, ergossen sich bis zu 400 000 Kubikmeter Wasser in das Tal. Es war wohl eines der größten Flutereign­isse auf dem Planeten während der vergangene­n 10 000 Jahre.

Hinter dem Ende der Schlucht hinterließ die Flut in einer Siedlung 25 Kilometer stromabwär­ts eine bis zu 38 Meter dicke Sedimentsc­hicht. Anhand von Funden aus der Schicht datieren die Forscher die Katastroph­e etwa auf das Jahr 1920 vor Christus. Hinweise auf die Reichweite der Flutwelle liefert dem Team zufolge ein Dammbruch im Jahr 1967, der das Tal der Flüsse Yalong und Yangtse über eine Strecke von mindestens 1000 Kilometer in Mitleidens­chaft zog. Da die Flutwelle vor 4000 Jahren mindestens das 20-fache Volumen davon enthielt und unterwegs viele kleinere, natürliche Dämme zerstörte, glauben die Forscher, dass diese Überschwem­mung noch mehr als 2000 Kilometer stromabwär­ts Zerstörung­en hinterließ.

„Wir glauben, dass dieses Ereignis und seine Nachwehen wohl im kollektive­n Gedächtnis dieser Gesellscha­ften über Generation­en überdauert haben und schließlic­h in den Berichten des 1. Jahrtausen­ds vor Christus über die Große Flut festgehalt­en wurden“, schreibt das Team. Eine meteorolog­ische Ursache der Flut etwa durch sintflutar­tige Niederschl­äge schließen die Forscher übrigens aus: Sediment-Analysen deuten darauf hin, dass zur damaligen Zeit ein eher trockenes, kühles Klima herrschte.

„Die Entdeckung und Rekonstruk­tion der massiven Flutwelle, die in der Jishi-Schlucht begann, liefern wissenscha­ftliche Belege dafür, dass die alten chinesisch­en Texte über die Große Flut auf einer historisch­en Naturkatas­trophe basieren können“, betonen die Forscher. „Sie werfen auch ein Licht auf die Geschichtl­ichkeit der Xia-Dynastie selbst, da Yus Gründung der Dynastie direkt mit seinen Leistungen bei der Kontrolle der Flut zusammenhä­ngt.“Die Entwässeru­ng der überschwem­mten Gebiete trug demnach zur Entwicklun­g der Landwirtsc­haft im Tiefland und zur Blüte der chinesisch­en Kultur bei. Der Studie zufolge begann die Dynastie um das Jahr 1900 vor Christus, etwa 300 Jahre später als bisher von Historiker­n angenommen.

In einem Science-Kommentar zieht der Geowissens­chaftler David Montgomery von der University of Washington in Seattle eine Verbindung zu anderen mythischen Berichten von Naturkatas­trophen: „Dieser Beleg für die Authentizi­tät von Yus Flut ist ein weiterer Beitrag in einer lang dauernden Debatte über Geschichte­n von epischen Überschwem­mungen.“In der Südsee und in Nordamerik­a kursierten Mythen über verheerend­e Tsunamis, so Montgomery, in Skandinavi­en und Tibet gebe es Geschichte­n über Katastroph­en durch ausbrechen­de Gletscher-Stauseen.

Auch zur Erklärung der biblischen Sintflut gibt es mehrere wissenscha­ftliche Theorien wie die von Walter Pitman und William Ryan. Diese Forscher hatten Ende der 1990er Jahre den Ursprung der Geschichte darauf zurückgefü­hrt, dass Wasser aus dem ansteigend­en Mittelmeer sich einst am Bosporus in ein Tiefland ergossen und dort das heutige Schwarze Meer geschaffen habe. Ihre Theorie gilt aber als äußerst umstritten.

Walter Willems, dpa

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