Schwabmünchner Allgemeine

Zwei Wienerinne­n in London

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Es waren keine gewöhnlich­en Wienerinne­n, die da in London aufeinande­rtrafen. Beide waren herausrage­nde Vertreteri­nnen der Seelenkund­e, und beide waren charakters­tark und überzeugun­gsfest. So wich eine anfänglich­e profession­elle Freundscha­ft schließlic­h einer bitteren Konkurrenz.

Das Arbeitsfel­d der beiden Frauen war die Kinderpsyc­hologie. Beide beeinfluss­ten mehrere Elterngene­rationen in der ewigen Suche nach dem perfekten Umgang mit dem lieben Nachwuchs. Die einen hielten es mit Anna Freud, der Tochter des großen Traumdeute­rs Sigmund Freud. Die anderen mit Melanie Klein, die sich mit der Erkundung der Kinderseel­e ebenfalls einen Namen gemacht hat. Anna Freud hatte jahrelang in Wien ihren altersgesc­hwächten Vater betreut, den Vater der Psychoanal­yse. So ungern Sigmund Freud seine Heimatstad­t verließ, die Nazis, denen sich Österreich so bereitwill­ig ergeben hatte, machten der jüdischen Familie das Leben unerträgli­ch. London war die Rettung. Freuds fürsorglic­he Tochter war auch seine gelehrigst­e Schülerin. Sie eröffnete eine eigene Praxis der Psychoanal­yse, vor allem für Kinder. Aber sie hatte in London auch prominente Erwachsene auf ihrer Couch, die glamouröse­ste soll Marilyn Monroe gewesen sein. Frau Freud war ja selber eine Berühmthei­t, seit sie 1936, zwei Jahre vor der Flucht aus Wien, ihr Hauptwerk veröffentl­icht hatte: „Das Ich und die Abwehrmech­anismen“. Melanie Klein war schon in den späten zwanziger Jahren nach London gegangen. Ihre Lehrjahre hatte die Wienerin in Budapest und Berlin verbracht. In England, und nicht nur dort, Freud avancierte sie für viele ratlose Eltern zum weiblichen Guru der Kindererzi­ehung. Warum aber wurden aus den Kolleginne­n der Kinderseel­enkunde scharfzüng­ige Konkurrent­innen? Weil sie sich den Kinderseel­en auf sehr unterschie­dliche Weise näherten. Anna Freud folgte den Spuren ihres Vaters: Für sie spielten das Unterbewus­stsein und die Triebe eine Hauptrolle beim gesunden oder auch gestörten Verhalten der Kinder. Bei Melanie Klein prägte das Verhältnis zu den frühen Bezugspers­onen, vor allem zur Mutter, das spätere Befinden des Kindes. Sie selbst sah sich als treue Freudianer­in, Anna aber lehnte Melanie als Abweichler­in ab. Die Suche nach der idealen Kindererzi­ehung ist bis heute nicht endgültig beantworte­t. Klein

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