Schwabmünchner Allgemeine

Das Leben ist ein Gyros-Spieß

Theater Augsburg Zum Spielzeits­tart hat mancher ein Päckchen zu tragen. Auch in der Uraufführu­ng „Wundenleck­en“

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Neu ist es nicht, aber wahr: Ein jeder hat sein Päckchen zu tragen. Das Theater Augsburg, das jetzt mit Beginn der neuen Spielzeit ohne das zu sanierende Große Haus große Bühnenkuns­t zaubern soll; die Kommunalpo­litik, die in ihrem Sanierungs­willen von vorgeblich „Kulturscha­ffenden“womöglich Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommt; die Zuschauer, die sich Mobilität zwischen allerlei Ersatzspie­lstätten angewöhnen müssen – und jetzt zum Saisonstar­t anhand des Theaterpro­jekts „Das große Wundenleck­en“gleich einmal gefordert sind, aus einem Textschwal­l voller Sketch-Charakter und Absurdität, historisch­er Anspielung und politische­r Aktualität so etwas zu filtern wie Denkanstoß, unbekannte Perspektiv­e, Erkenntnis. Etwas, dass einen „Heureka“rufen lässt.

Nicht, dass es Erkenntnis nicht gäbe in Gerasimos Bekas Einakter für fünf Schauspiel­er, doch indem sich dieses „Wundenleck­en“auch sehr, sehr zeitgenöss­isch gibt im Hopping, im Slam, im Zappen zwischen diversen Themen, zwischen Intellekt, Pseudo-Intellekt und Quatsch, zwischen europäisch­er und lokaler Politik (Theatersan­ierung!), muss das Publikum zur Mitte des Stücks schon einigermaß­en belastbar sein im Einordnen.

Der parodistis­che Ausgangspu­nkt ist immerhin klar (– und auch der bitterböse Schluss, der diesem Eineinhalb­stünder enorm guttut und hier nicht verraten werden soll). Yoga-Yiannis ist so etwas wie ein Allround-Trainer für die ganzheitli­che Befindlich­keit urbaner Bürger, die ein Päckchen zu tragen haben: ein Coach in Sachen Psyche, Physis, Mentalität, Erfolg, Seelenlebe­n. Eine vorgeblich­e Autorität, deren Anweisunge­n Artemis, Henrike und Walter auch in esoterisch­er Gläubigkei­t folgen. Und so hat Yoga-Yiannis alle Hände voll zu tun beim Richten und Austariere­n und Manipulier­en der work-life-balance seiner Kundschaft, die Lebensrat in vielen Dingen benötigt: Griechenla­nd-Krise, Flüchtling­skrise, Augsburgs Rolle in der antiken und jüngeren Geschichte (Widerstand­snest im NS-Regime! Willkommen­skultursta­dt! Vorsicht Ironie!) und manches mehr.

Dieser Abend zwischen antiken und scheinanti­ken Gipsskulpt­uren, diese Uraufführu­ng in der Regie von Sapir Heller ist flott, bunt bis kunterbunt und pointenges­ättigt („Das Leben ist ein Gyrosspieß“). Artemis, Henrike und Walter gehen aus ihm heraus, wie mancher die Deutschen begreift: extrem (obrigkeits-)hörig, extrem brutal. Marlene Hoffmann, Jessica Higgins, Anton Koelbl spielen naiv bis verschlage­n – und Sebastian Arranz als Guru Yoga-Yiannis weiß, wann er dirigieren­d Schmusekur­s zu fahren hat und wann er die Zügel anziehen muss.

Nächste Vorstellun­gen auf der Brechtbühn­e: 2., 7., 12., 14., 22. und 26. Oktober

 ?? Foto: Kai Wido Meyer ?? Jessica Higgins, Sebastián Arranz und Marlene Hoffmann (von links) in „Das große Wundenleck­en“.
Foto: Kai Wido Meyer Jessica Higgins, Sebastián Arranz und Marlene Hoffmann (von links) in „Das große Wundenleck­en“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany