Eine Liebeserklärung an die Welt
Bildband Der Fotograf Tim Maxeiner hat für ein Buch von Henryk M. Broder in vielen Schachteln und Dosen gekramt
Geometrisch lässt sich die Begegnung zwischen dem heuer 70 Jahre alt gewordenen Publizisten Henryk M. Broder und dem eben 30 Jahre alt gewordenen Journalisten Tim Maxeiner so ausdrücken: Die beruflichen Geraden des alten und des jungen Mannes, beide mit direktem Augsburg-Bezug, schneiden sich für ein Buchprojekt. Diese Schnittstelle trägt nun den Titel „Schwein gehabt – eine Autobiografie in Bildern“und ist eine kartonierte Ausgabe mit Fotogeschichten, für die Tim Maxeiner in den von Henryk M. Broder mit Abzügen und Negativen vollgestopften Schachteln und Dosen im Wortsinn gekruschtelt hat.
Broder, der streitbare Publizist, hatte also sein Fotoarchiv für ein Buchprojekt geöffnet. Wie es aber überhaupt zu der Zusammenarbeit zwischen Broder, der in Augsburg und Berlin lebt, und Tim Maxeiner, der in Augsburg zur Schule gegangen und heute in San Pedro, dem Hafenviertel von L.A. wohnt, erzählt der junge Mann im Atelier der Augsburger Künstlerin Monika Schultes. Von dieser ist ein BroderPorträtfoto in dem Buch zu finden. „Das wusste ich bis zur Buchvorstellung in Berlin nicht“, erzählt Schultes, denn es wurde vor 30 Jahren, also noch vor Maxeiners Geburt aufgenommen.
Zurück zur Person Tim Maxeiner: In Frankfurt/am Main geboren, kam er als Kind mit seinen Eltern (sein Vater Dirk Maxeiner ist ebenfalls Journalist) nach Augsburg, ging hier zur Schule und hatte sich nach seinem Fachabitur zunächst auf Reisen begeben. Fotografieren, filmen, dokumentieren kurz alles, was mit Journalismus zusammenhängt, hat ihn gereizt. So kam es in jenen „Findungsjahren“zu der Gelegenheit, mit Henryk M. Broder „on tour“zu gehen. Tim Maxeiner war für die Satiresendung „Entweder Broder“der zweite Kameramann. Broder ist hinlänglich bekannt für meist polemisch getränkte Feder. Der 40 Jahre jüngere Tim Maxeiner fand es spannend, was der spitzfindige Journalist „ an schrägen Sachen und Augenblicken“fotografiert hatte. Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter, der wie die Journalistin Elke Schmitter schließlich Essays für das Buch verfasst hat, merkt an: „Henryk kann die Welt lesen, als wären seine Augen Scanner. Er sieht das Schöne, das Hässliche, das Zärtliche, das Rührende…“
Von solchen Eindrücken aber gibt es derart viele, dass Tim Maxeiner vor der Mammutaufgabe gestanden hatte, das Material erst einmal zu sichten. Dafür musste er sich zwei Jahre Zeit nehmen. „Alles, was mir irgendwie interessant erschien, habe ich dann markiert, gescannt, digitalisiert“, erzählt er. Und nebenbei merkt er an, wie ihn mitunter das Gefühl beschlichen hat, dass kein Ende in Sicht sei..
Am Schluss aber ist doch ein kleines Meisterwerk unter den modernen Fotobüchern entstanden. Es erzählt Geschichten wie „Früher war alles besser“oder übers „Essen und Trinken“, und immer wieder sind Aufnahmen aus Israel zu finden, von Straßenmusikern, dem Leben, Bauseine en und Wohnen in Tel Aviv. Broder schreibt nicht nur mit Hintergedanken, er fotografiert auch so: Auf einer Doppelseite, für die Tim Maxeiner hunderte von Fotos aus Hotelzimmern gesichtet hatte, spürt man, nicht in jedem Bett hat Broder gut geschlafen. Und als Worterklärung ist auf der Doppelseite zuvor zu lesen: „Schlagen, Erwartung, Erotik, Körper, Schöpfung und so weiter“. Elke Schmitter behauptet in ihrem einleitenden Essay: „Manchmal sagen tausend Worte mehr als ein Bild“. Die Bilder von Henryk M. Broder aber sind wohl seine persönliche Gedächtnishilfe für Geschichten, dazu „eine Liebeserklärung an die Welt“, wie die „Jüdische Allgemeine“schreibt.
Für dieses im Wortsinn anschauliche Buchprojekt hat Broder seinen jungen Freund und Kollegen Tim Maxeiner sehr oft in L.A. besucht, und dort kam es auch zu der Idee, nicht nur das Buch in Berlin zu präsentieren. Eine Auswahl der nun in „Schwein gehabt“veröffentlichten Bilder haben Tim Maxeiner und seine Freundin für eine Ausstellung vorbereitet. „Die Präsentation von Buch und Bildern in der Galerie Somos in Berlin war ein echter Erfolg“, resümiert Monika Schultes., die dabei war.
Henryk M.Broder: Schwein gehabt. Knaus, 241 Seiten, 24,99 Euro