Wenn aus Menschen Humankapital wird
Theater Wie soll man sich in der Arbeitswelt am besten verhalten? Das Sensemble zeigt zwei Wege auf, wie es nicht geht
Humankapital ist eines dieser Unwörter moderner Unternehmensführung. Es begegnet einem in BWL-Vorlesungen ebenso wie in den Personalabteilungen, die in vielen Firmen mittlerweile in „Department for Human Resources“umbenannt sind. Ressourcen beutet man aus, sie widersprechen nicht. Der Haken daran: Das Humankapital ist kein Roboter, sondern immer noch ein Mensch. Wie soll man sich als Mensch und Humankapital aber am geschicktesten verhalten? Wo liegen die Grenzen? Das Sensemble-Theater startete am Samstag mit der Doppelpremiere „Personalspielchen“in die neue Spielzeit und suchte in zwei Stücken nach Antworten auf diese Fragen. Was sie fanden, stimmte das Publikum im ausverkauften Theater nachdenklich.
Regisseur Sebastian Seidel und Autor Mike Bartlett zeichnen im ersten Stück „Contractions“das Bild des Unternehmens, in dem immer alles „ausgezeichnet“sein muss. Sie werfen dabei einen genauen Blick auf den Zynismus, der sich hinter einem Unternehmen mit diesem Anspruch versteckt. Emma (Sarah Hieber) will Karriere machen. Dafür opfert sie, auf Drängen des Unternehmens, die Beziehung zu einem Kollegen trotz Schwangerschaft. Denn Beziehungen unter Kollegen sind verboten, so steht es im Arbeitsvertrag. Rebellieren kann und will Emma nicht. Sie hält sich stets an die Firmenregeln.
Doch wo führt das hin, wenn ein Mitarbeiter konsequent die Firma über sein Leben bestimmen lässt? Es führt in den Abgrund, zumal Emmas Firma sie pausenlos überwacht. In „Contradictions“wird dies so auf die Spitze getrieben, dass es im Makabren endet. Während Emma an ihrer Menschlichkeit zerbricht, bekämpft die Chefin schließlich ihre eigene. Kerstin Becke stellt diesen Konflikt der kalten und berechnenden Führungskraft beeindruckend und glaubwürdig dar. Sie sieht vor den Konsequenzen ihrer Handlungen lieber weg und antwortet auf Emmas Vorwurf, ihr Kind müsse ohne Vater aufwachsen, nur mit einem kühlen „das ist keine Firmenangelegenheit, sondern ihre Privatsache“.
Ein Happy End gibt es entsprechend nur für das Humankapital. Erst als Emma ihre Menschlichkeit komplett aufgibt, ist in der Firma wieder alles „ausgezeichnet“. Intelligent ist hier das Bühnenbild eingesetzt, eine schräge Kletterwand. Der Zuschauer kann nachvollziehen, wie Emma gebrochen wird und immer tiefer hinabrutscht, während sich Darstellerin Hieber fließend von der selbstbewussten Frau in ein Häufchen Elend verwandelt.
Längst zum menschlichen Roboter geworden ist „MMM“, Mike M. Marchant (Florian Fisch), der in die Geschäftsführung aufsteigen soll. Wiederum spielt Kerstin Becke die Chefin und Antagonistin, diesmal deutlich wärmer und menschlicher. Im Stück „Coporate Identity“ist Marchant der stereotype Manager. Fisch verleiht ihm diese beispielhafte Mischung aus Arroganz und Charme, die seinen MMM sogleich authentisch und sympathisch wirken lässt. Dabei ist MMM Humankapital, das besonders viel Geld wert ist und das sein Leben der Arbeit untergeordnet hat. Doch die Personalchefin, und da bricht Autor Werner Wüthrich wohl mit der Realität in vielen Unternehmen, will von ihm eine menschliche Seite sehen und provoziert ihn solange, bis er Emotionen zeigt – und zwar erschreckende. Marchant zeigt seine Abgründe hinter der Humankapital-Fassade, ohne dass der Mensch in ihm wirklich zurückkäme. Somit scheitert auch die Personalchefin, die Becke zunächst wie eine Kopie von Emmas Chefin spielt, dann aber eine ganz eigene Weiblichkeit in der Rolle findet.
Am Ende des Abends stand dem Scheitern der Handelnden aber der Triumph der Spielenden gegenüber. Denn das begeisterte Publikum wollte die Akteure kaum mehr von der Bühne lassen.