Jetzt bitte keine Machtspiele
Der Brief aus London wird die EU erschüttern. Ein schwarzer Tag war der Mittwoch für Europa aber nicht. Das Vereinigte Königreich, das sich aus einer populistischen Stimmung heraus zum Brexit hat überreden lassen, wird die Folgen zu spüren bekommen – auch ohne, dass die EU die Daumenschrauben anzieht und die Gespräche nutzt, um ein abschreckendes Beispiel zu inszenieren.
Derartige Machtspiele wären völlig unsinnig und auch unnötig, weil sich die Mehrheit der Briten von einer EU abgewendet hat, die tatsächlich eine Rosskur braucht. Denn während Brüssel sich immer wieder sehr in der Rolle des Mahners für mehr Reformwillen der Mitgliedstaaten gefiel, unterließen es die Staats- und Regierungschefs, die Gemeinschaft fortzuentwickeln. Die Bürokratie auf dem Binnenmarkt hat teilweise unsinnige Ausmaße angenommen.
Immerhin gibt es Indizien dafür, dass die 27 Mitglieder diese Lektion zu verstehen beginnen. Die EUInstitutionen müssen nicht jede Schraube harmonisieren. Weniger ist oft mehr. Insofern würde man der EU bei den beginnenden Gesprächen mit London, bei denen nicht weniger als 21000 Gesetze durchforstet und neu vereinbart werden müssen, auch eine Phase der Selbstbesinnung wünschen. Nur so kann klar werden, wo Abstimmung und Zusammenwirken notwendig sind und wo nicht.
Der Ausstieg der Briten kann eine Chance sein, wenn man keine Angst hat, auch EU-Errungenschaften infrage zu stellen.