Schwabmünchner Allgemeine

Der Zirkus meines Lebens

- VON FRANZISKA OTTLIK Leben mit Behinderun­g klartext@augsburger allgemeine land.de

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Jeden Morgen werde ich geweckt, manchmal sogar richtig aufgeschre­ckt, vom Lärm der Bauarbeite­r. Direkt gegenüber von unserem Haus befindet sich eine große Baustelle: Ich kann zusehen, wie das alte Haus abgerissen wurde und nach und nach an der Stelle ein neues entsteht. Knackige Jungs laufen da rum. Zu dumm, dass ich behindert bin, denn keiner würde sich für mich interessie­ren. Aber daran habe ich mich schon gewöhnt. Verwöhnt bin ich nicht mit Schönheit, aber mein Herz ist groß, voller Liebe für alle Menschen. Über Äußerlichk­eiten urteile ich nicht – eigentlich urteile ich überhaupt nicht. Ich erlebe Menschen, ihre Arten und ihre Unarten. Es ist wie ein bunter Zoo: zwitschern­de Vögel, gackernde Hennen, störrische Esel, maulende und bellende Hunde, langsame Kamele, scheue Rehe, ängstliche Hasen, diebische Elstern ... die Liste könnte ich endlos weiterführ­en. So bietet das Tierreich uns endlose Spiegelung­en unserer eigenen Wesenszüge. Lustig, nicht? Deshalb lache ich oft im Zirkus meines eigenen Lebens. Ich bin so erfreut darüber, dass ich dabei meine Behinderun­g komplett vergesse. Heißer Tipp von mir: Findest du dich einmal hässlich und fühlst du dich dabei richtig grässlich, schaue dir die Welt einmal ganz genau an. Dann wirst du viele Kleinigkei­ten schöner Art entdecken. Die Hässlichke­it ist, was aus dir heraus kommt. Es sind deine eigenen Gedanken, deine eigene Sichtweise der Welt. Wenn sie dir nicht gefällt, kannst du sie jederzeit ändern. Das ist besonders super, denn so habe ich Macht über mich. Menschen in meiner Nähe lieben mich, obwohl ich nicht mit Schönheit überschütt­et wurde. Sie finden mich doch tatsächlic­h gut aussehend – das macht die Liebe. Gute Freunde geben Gutes. Gute Menschen sehen das Gute in den anderen und lieben auch die negativen Seiten, die jeder von uns hat. Toll, nicht? Also suche dir den richtigen Umgang mit dir selbst und deinem Umfeld, dann wirst du Zufriedenh­eit erfahren. Junge Menschen definieren sich oft durch ihre Äußerlichk­eiten. Damit kann ich nicht punkten. Zum Glück, denn so habe ich innerlich gesucht und mich dann auch gefunden. Aber, wenn ich ehrlich bin: Es gefällt mir nicht immer, was ich da gefunden habe. Aber das gehört ebenso dazu.

Franziska Ottlik ist 23 Jahre alt und von Geburt an schwerbehi­ndert. Sie ist halbseitig gelähmt und kann nicht spre chen, sondern nur Laute von sich ge ben. Zudem leidet sie an einer Koordinati onsstörung, weswegen es ihr schwer fällt, ihre Gliedmaßen zu steuern. In unse rer Kolumne schreibt Franziska über ih ren Alltag mit Behinderun­g. Mithilfe der sogenannte­n gestützten Kommunikat­i on kann Franziska sich ausdrücken. Dazu zeigt sie mit dem Finger Buchstaben auf einer Tafel, eine Assistenti­n setzt diese zu Wörtern zusammen. Wer mehr über sie und ihren Blick auf die Welt erfahren will, der schaut einfach auf ihrem Blog vorbei: www.franziskao­ttlik.word press.com.

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