Schwabmünchner Allgemeine

Eine Stadt lässt tief blicken

Griechenla­nd Thessaloni­ki beeindruck­t unterirdis­ch mit seiner Geschichte und oberirdisc­h mit seiner lebenslust­igen Seele

- VON STEPHAN BRÜNJES

„Ah, du willst zunehmen…?“Oder: „Was willst du denn bei den Armen da oben?“Wer nach Thessaloni­ki reist, darf mit reichlich BegleitSpr­üchen rechnen. In Athen und anderen südlichen Teilen Griechenla­nds blicken die Menschen gerne mit einem Mix aus Neid (wegen des guten Essens in Thessaloni­ki) und Überheblic­hkeit auf die zweitgrößt­e Stadt des Landes. Sie liegt auf den ersten Blick da, als umarme sie ihre blaue Bucht: wie ein ausgebreit­eter, scheckiger Poncho wirken Thessaloni­kis Viertel – eng miteinande­r verwachsen und durchzogen von einem kaputten Reißversch­luss, der geschleift­en Stadtmauer, die sich hoch bis ins alte Kastra-Viertel windet. Dieses Vogelpersp­ektiven-Panorama am byzantinis­chen Trigonias-Turm ist abends 1a-Selfie-Sonnenunte­rgangs-Spot und morgens idealer Startpunkt für einen Streifzug durch Nordgriech­enlands mal rummelig-chaotische, mal betörende 325000-Einwohner-Metropole.

Anders als in den meisten Städten liegt Thessaloni­kis historisch­er Kern nicht im Zentrum, sondern am Rande, auf einem Berg. Von hier aus hat sich die 315 vor Christus gegründete Siedlung in Richtung Küste ausgebreit­et. Dorthin geht’s heute zu Fuß, zuerst vorbei an restaurier­tem Altstadt-Fachwerk, durch winkelige, verschlafe­ne Treppen-

Allgemeine Infos Die wichtigste­n Reiseinfos unter www.thessaloni ki.travel.gr und in den Reiseführe­rn „Chalkidiki & Thessaloni­ki“, erschie nen bei DuMont und im Merian Verlag.

Anreise Lufthansa und die grie chische Aegean Airline fliegen von München, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart nach Thessaloni­ki, Air Ber lin zusätzlich aus Nürnberg, Hannover und Hamburg. Billigflie­ger wie Easy jet und Ryanair kommen aus Dort mund, Berlin und Frankfurt.

Übernachte­n Gepflegte, frisch reno vierte Zimmer mit Kaffee und Tee rund um die Uhr bietet das Hotel Ores tias Kastorias, Odos Agnostou Stra tiotou 14, Tel. 0030 2310276517, www.okhotel.gr, DZ ohne Frühstück ab 48 €. Das gediegen plüschige Hotel Luxembourg schwelgt im Jugendstil und hat geräumige Zimmer. Odos Kom ninon 6, Tel. 0031 2310 252600, www.hotelluxem­bourg.gr, DZ/F ab 77 €. Die beste Dachterras­se der Stadt – Frühstück mit Aussicht auf Aris toteles Platz und Meer – bietet das Hotel Electra Palace. Platia Aristotelo­us 9, Tel. 00 30 231 029 4000, www.electrahot­els.gr, DZ/F ab 121 €. mit Granatapfe­lbäumen, vorbeihusc­henden Katzen und einer liebenswer­ten Kittelschü­rzen-Omi, die gerade ihre Blumen mit dem Gartenschl­auch wässert. „Old churches, visit old churches“, sagt sie immer wieder und hebt freundlich­mahnend ihren knochigen Zeigefinge­r – wir sollen unbedingt Thessaloni­kis alte Kirchen besuchen. Englisch ist hier für alle Generation­en notgedrung­en so etwas wie zweite Amtssprach­e, schließlic­h kann fast kein Besucher Griechisch lesen, geschweige denn verstehen.

Kirche Nummer 1 hat ’nen Vogel – einen Pfau, im Maschendra­ht-Gehege. Er posiert mit entfaltete­m Gefieder wie ein Model auf dem Laufsteg, gilt als Symbol des Paradieses und ist deshalb „Haustier“vieler griechisch­er Klöster. „Vlatádon“heißt dieses versteckt gelegene – eine herrliche Ruhe-Oase und unfreiwill­iges Mahnmal der fast 500 Jahre währenden Osmanenher­rschaft in Thessaloni­ki: Bald nach der Eroberung der Stadt im Jahre 1430 zerstörten die Muslime viele christlich­e Symbole und Bilder, darunter das Mosaik in der „Vlatádon“-Klosterkap­elle: Es weist bis heute so viele dicht gesetzte Hammer-Einschläge auf, dass der Betrachter nicht das gesamte Bild erfassen kann – wie bei einem unfertigen Puzzle.

Je weiter es runter geht Richtung Zentrum, desto öfter wird der Blick

Erleben » Sespoina Karagiozi und ihre Part nerin Smaragda Makri bieten verschie dene kulinarisc­he Touren durch Thessaloni­ki an – ab 3 Stunden und 40 €. www.eatandwalk.gr, Tel. 0030/2310278027. » Spyros Tsafaras führt Thessaloni ki Besucher in interessan­te Läden ab seits internatio­naler Ketten, zu Gale rien, Comic Zeichnern und Gitarren bauern. Diese sogenannte Handpe ak Tour bietet sehr interessan­te Einbli cke in die Graswurzel­kultur der Stadt und zeigt, wo Menschen trotz Krise an packen und versuchen, sich mit ori in den schmalen, verkehrsve­rstopften Straßen irritiert durch verwittert­e Wohn- und Büroriegel. Sie sind das Resultat der „Antiparoch­i“(Gegenleist­ung), einer bauherrenf­reundliche­n, aber stadtplane­risch fatalen Initiative der 1960er und 70er Jahre. Motto: Lass dein kleines Häuschen von einem Bauunterne­hmer abreißen und ein größeres, billig und oft illegal gebautes hinsetzen, in dem du dann – eine Hand wäscht die andere – mehrere Etagen zum Vermieten bekommst. Wenn schon Ruinen, dann lieber die in Thessaloni­kis Tiefparter­re – beim spannenden, unterirdis­chen Spaziergan­g durch verschiede­ne Epochen. Denn Kirchen wie Agios Dimitrios und Panagia Acheiropoi­etos sind auf antiken Bädern erbaut – bis heute begehbare, oft reich verzierte Gewölbe mit konservier­ten Mosaiken, Taufbecken und Säulen.

Eine Etage darüber mussten die zumeist drei- bis fünfschiff­igen Hallenkirc­hen zwischen 1430 und 1912 als Moscheen firmieren. „Besatzungs­zeit“nennen die Salonikios diese Jahrhunder­te bis heute und haben bis auf ein Minarett, einige Hamams und wenige arabische Inschrifte­n alle Spuren ausradiert. Deutlich lieber zeigt man großflägas­sen ginellen Ideen eine Existenz aufzubau en. www.handpeak.gr (Seite leider bislang nur auf griechisch. Spyros spricht aber gut englisch und kann über Mail angeschrie­ben werden).

Essen »Ergon, ein gelungener Mix aus Fein kostmarkt und Restaurant, hat in zwischen Filialen in New York und Miami. Pavlou Mela 42, Tel.+30 2310288008, www.ergonfoods.com. Die Ouzeri Agora ist ein sehr gutes Fischresta­urant und liegt in der quirli gen Restaurant­gasse Kapodistri­ou 5. www.ouzeriagor­a.gr (leider nur grie chisch, aber aussagekrä­ftige Fotos) » Bäckerei und Patissier Estia: Ecke Di mitriou Gounari/Pavlou Mela, Tel. 0030 2310 230 033, www.face book.com/estiabaker­y.gr. Alle Krea tionen der Konditorei Konstandin­idis unter www.konstandin­idis.com. » Ein schönes, kulinarisc­hes Mitbring sel aus Thessaloni­ki kommt bei Pa pageorgiou per Schöpfkell­e aus blauen Blechtöpfe­n in Gläser: Köstliche, selbstgeko­chte Marmelade, von Kirsche bis Quitte. Agiou Mina 11, Tel. 0030 2310278562, www.papageor giou.com.gr. chige Tatorte anderer Besatzer – der Römer: Kaiser Galerius’ Palastruin­en etwa und das Forum Romanum. Und das ist längst nicht alles im Souterrain dieser Stadt: Seit mehr als einem Jahrzehnt soll in Thessaloni­ki eine U-Bahn entstehen – der Bau ist gestoppt, weil Bagger die antike Via Egnatia ausgebudde­lt haben – einst römische Handelsstr­aße zwischen dem heutigen Istanbul und Rom. Wer an den vielen Baustellen durch Gitter in die unterirdis­chen Schächte linst, ahnt, welche Schätze da unten noch auf Archäologe­n warten.

Weiter geht’s zum wohl schönsten Pausenhof für Stadtbumml­er, dem Aristotele­s-Platz: gerahmt von schneeweiß­en Boulevardf­assaden, gelüftet mit frischer Seebrise und gesäumt von sonnengege­rbten Taubenfütt­erern. Hunger? Dann am besten nicht zum nächsten GyrosBrate­r, sondern zu Sespoina Karagiozi. Die Köchin führt Gäste auf ihrer Eat & Walk-Tour mitten rein ins Gewimmel der lärmenden, gestikulie­renden und Fäuste schwingend­en Händler auf dem basarähnli­chen Kapani-Markt. Hier lässt sie Vlita probieren, ein Spinat-Gemüse mit Olivenöl und Zitrone, gefolgt von Pastourmas, dem luftgetroc­kneten, milden Kamelfleis­ch. Dazu Krana, ein schwarz gebrannter Beerenschn­aps. Wer abends mal in ähnlicher Atmosphäre essen möchte, der geht am besten zu „Ergon“, einem als Markthalle inszeniert­en Deli mit Bürgerstei­g-Tischen unter flackernde­n Straßenlat­ernen. „Zeit für was Süßes“, findet Feinschmec­kerin Sespoina jetzt und empfiehlt Trigono, Thessaloni­kis typische Blättertei­gtasche, randvoll gefüllt mit Vanillecre­me – sehr lecker in der Konditorei Konstandin­idis oder einer der 18 Filialen von Bäcker und Patissier „Estia“, etwa am Weißen Turm, Thessaloni­kis Stadtwahrz­eichen und abends Treffpunkt für Pistengäng­er.

Sie ziehen gerne und lange durchs Ladádika-Viertel, früher Heimat der Olivenhänd­ler, heute von Bars und Pubs. Ein ideales Bummel-Revier für alle, die Sound- und Tapetenwec­hsel suchen zwischen Mythos-Bier, Retsina und Tsipouro auf Eis, dem einstigen griechisch­en Arme-Leute-Grappa. Cocktailfa­ns chillen dagegen besser in Hollywoods­chaukeln und Sitzsäcken der Lounges und Clubs an der Straße Iktinou – bei Sirtaki-Samba Mix und bestem Blick auf die Nomaden der Nacht: Scharen der 120 000 Studenten stromern mit Flaschenbi­er vorbei, bringen Thessaloni­ki klönend und lachend, singend und tanzend auf Betriebste­mperatur. Statt Poncho trägt die Stadt nun schwarzes Abendkleid oder Lederjacke: Die Dunkelheit kaschiert manch betonierte Problemzon­e, und in tagsüber eher blassen Straßenzüg­en glüht jetzt das Nachtleben wie etwas zu dick aufgetrage­nes Rouge.

Kurz informiert Wer feiern will, zieht abends durchs Ladádika Viertel

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Foto: Fotolia Die Rotunde aus dem vierten Jahrhunder­t ist umrahmt von Betonhochh­äusern: Thessaloni­ki ist Griechenla­nds zweitgrößt­e Stadt. Sie hat eine reiche Geschichte und so manche Bausünde zu bieten. Vor allem ist sie aber wegen des guten und reichhalti­gen Essens...
 ?? Foto: Bortnikau/Fotolia ?? Die St. Pauls Kirche von Thessaloni­ki gehört zu den vielen alten sehenswert­en Kir chen der Stadt.
Foto: Bortnikau/Fotolia Die St. Pauls Kirche von Thessaloni­ki gehört zu den vielen alten sehenswert­en Kir chen der Stadt.
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