Wegbegleiter
Schicksal Seit zehn Jahren können sich im Kinderhospiz in Bad Grönenbach Familien erholen und mit anderen Betroffenen austauschen. Das Thema Tod ist präsent, steht aber nicht im Vordergrund
Bad Grönenbach Das Leben, nicht das Sterben, steht im Kinderhospiz St. Nikolaus in Bad Grönenbach im Mittelpunkt. Nur die wenigsten Kinder kommen am Ende ihres Lebens in die Unterallgäuer Einrichtung, die vor zehn Jahren eröffnet wurde. „Wir sind Wegbegleiter“, sagt Geschäftsführerin Anita Grimm. Das sei der Hauptunterschied zu einem Hospiz für Erwachsene.
Im Kinderhospiz gehe es vor allem darum, die Familien der kranken Kinder zu entlasten, ihnen zur Seite zu stehen und Austauschmöglichkeiten mit anderen Betroffenen zu schaffen. Dieses Angebot haben in den vergangenen zehn Jahren 450 Familien in Anspruch genommen. In dieser Zeit starben 156 der betreuten Kinder, 17 davon im Hospiz.
Das Thema Tod verdrängt Veronika Meichelböck aus Kaufbeuren die meiste Zeit. Sie kommt seit 2008 jedes Jahr mit ihrem Sohn Paul ins Kinderhospiz. Durch die Krankheit Fibromatose wachsen im Körper des Zwölfjährigen Tumore, die ihm das Leben immer schwerer machen. Sein rechter Arm ist gelähmt, er hat eine Magensonde und braucht nachts inzwischen Beatmung durch ein Loch in der Luftröhre. Unbeschwert Urlaub zu machen, ist für die Meichelböcks dadurch kaum möglich. Im Kinderhospiz hingegen können sie immer wieder durchschnaufen. „Anfangs dachten wir, was alle denken – dass Kinder hier sterben“, sagt Veronika Meichelböck. Der Gedanke an einen Aufenthalt im Hospiz sei ihnen deshalb sehr fremd gewesen.
Als sie sich 2008 schließlich doch auf einen Besuch in Bad Grönenbach einließen, fühlten sie sich schnell wohl, erzählt Veronika Meichelböck. „Gerade am Anfang haben wir vom Austausch mit anderen Eltern sehr profitiert“, sagt Paul Meichelböck. Die Zeit im Hospiz helfe einem, die Diagnose einer lebensverkürzenden Krankheit für sein Kind zu akzeptieren. Dass sich Pauls Zustand nach und nach verschlechtern wird, habe sie immer im
Geschichte Vor 15 Jahren haben die Mitglieder des damals neu gegrün deten Vereins Kinderhospiz im Allgäu die ersten Ideen für eine solche Ein richtung entwickelt. 2005 war der Spa tenstich für das Hospiz und 2007 zo gen die ersten Familien ein. Hinterkopf, sagt Veronika Meichelböck. Trotzdem versuche sie im Hier und Jetzt zu leben – wie Paul. Der Zwölfjährige ist lebenslustig und aufgeweckt, geht gern zur Schule, liest und interessiert sich für Fußball.
Und wenn der Tag kommt, an dem es ihm schlechter geht oder er stirbt, ist das Kinderhospiz als Ansprechpartner da. Das gebe ihr Sicherheit, sagt Veronika Meichelböck. Um dieses Vertrauen herzustellen, gehen die Mitarbeiter des Kinderhospizes auf jede Familie individuell ein, sagt Geschäftsführerin Grimm. Eine Pflegekraft sei höchstens für zwei Kinder zuständig und es gebe so wenig Wechsel wie möglich. Unterstützt werden sie durch ehrenamtliche Helfer wie Dagmar Hofer, die von Beginn an dabei ist. „Man profitiert unheimlich, mehr als man gibt“, sagt die 70-Jährige.
Haus Das Kinderhospiz St. Nikolaus kann gleichzeitig acht Familien auf nehmen. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art im süddeutschen Raum. In Stuttgart ist eine weitere geplant.
www.kinderhospiz nikolaus.de Es sei eine wertvolle Erfahrung, zu sehen, wie die Eltern mit der schweren Krankheit ihres Kindes umgehen. Um sie zu entlasten, hilft Hofer gern, wo sie kann. Sie geht mit den Kindern spazieren, kuschelt mit ihnen, spült Geschirr ab und spielt mit den Geschwisterkindern. „Man erkennt, was es für ein Glück ist, gesunde Kinder und Enkel zu haben“, sagt Hofer. Während ihrer Aufenthalte in Bad Grönenbach genießen die Meichelböcks vor allem, dass alles „unkompliziert“ist, sagt Vater Paul. Da könnten auch die inzwischen erwachsenen Schwestern spontan zu Besuch kommen und im Hospiz übernachten. „Die Geschwister werden hier gut mit eingebunden“, sagt Veronika Meichelböck. Das sei vor allem für kleinere Kinder wichtig. Sie gestalten oft auch die Fahne mit, die jedes kranke Kind beim ersten Besuch bastelt, erzählt Grimm. Darauf stehen der Name und das Geburtsdatum.
Die bunten Fahnen hängen im Flur des Kinderhospizes wie eine Lebenslinie und werden – sofern die Familie es möchte – nach dem Tod des Kindes in den Erinnerungsgarten gehängt, wo sie „Wind und Wetter“ausgesetzt sind, erzählt Grimm. Durch dieses Trauerritual bleibe etwas von den Kindern erhalten – über den Tod hinaus.
Auf einen Blick: Das Kinderhospiz St. Nikolaus