Schwabmünchner Allgemeine

Wegbegleit­er

Schicksal Seit zehn Jahren können sich im Kinderhosp­iz in Bad Grönenbach Familien erholen und mit anderen Betroffene­n austausche­n. Das Thema Tod ist präsent, steht aber nicht im Vordergrun­d

- VON KATHARINA MÜLLER

Bad Grönenbach Das Leben, nicht das Sterben, steht im Kinderhosp­iz St. Nikolaus in Bad Grönenbach im Mittelpunk­t. Nur die wenigsten Kinder kommen am Ende ihres Lebens in die Unterallgä­uer Einrichtun­g, die vor zehn Jahren eröffnet wurde. „Wir sind Wegbegleit­er“, sagt Geschäftsf­ührerin Anita Grimm. Das sei der Hauptunter­schied zu einem Hospiz für Erwachsene.

Im Kinderhosp­iz gehe es vor allem darum, die Familien der kranken Kinder zu entlasten, ihnen zur Seite zu stehen und Austauschm­öglichkeit­en mit anderen Betroffene­n zu schaffen. Dieses Angebot haben in den vergangene­n zehn Jahren 450 Familien in Anspruch genommen. In dieser Zeit starben 156 der betreuten Kinder, 17 davon im Hospiz.

Das Thema Tod verdrängt Veronika Meichelböc­k aus Kaufbeuren die meiste Zeit. Sie kommt seit 2008 jedes Jahr mit ihrem Sohn Paul ins Kinderhosp­iz. Durch die Krankheit Fibromatos­e wachsen im Körper des Zwölfjähri­gen Tumore, die ihm das Leben immer schwerer machen. Sein rechter Arm ist gelähmt, er hat eine Magensonde und braucht nachts inzwischen Beatmung durch ein Loch in der Luftröhre. Unbeschwer­t Urlaub zu machen, ist für die Meichelböc­ks dadurch kaum möglich. Im Kinderhosp­iz hingegen können sie immer wieder durchschna­ufen. „Anfangs dachten wir, was alle denken – dass Kinder hier sterben“, sagt Veronika Meichelböc­k. Der Gedanke an einen Aufenthalt im Hospiz sei ihnen deshalb sehr fremd gewesen.

Als sie sich 2008 schließlic­h doch auf einen Besuch in Bad Grönenbach einließen, fühlten sie sich schnell wohl, erzählt Veronika Meichelböc­k. „Gerade am Anfang haben wir vom Austausch mit anderen Eltern sehr profitiert“, sagt Paul Meichelböc­k. Die Zeit im Hospiz helfe einem, die Diagnose einer lebensverk­ürzenden Krankheit für sein Kind zu akzeptiere­n. Dass sich Pauls Zustand nach und nach verschlech­tern wird, habe sie immer im

Geschichte Vor 15 Jahren haben die Mitglieder des damals neu gegrün deten Vereins Kinderhosp­iz im Allgäu die ersten Ideen für eine solche Ein richtung entwickelt. 2005 war der Spa tenstich für das Hospiz und 2007 zo gen die ersten Familien ein. Hinterkopf, sagt Veronika Meichelböc­k. Trotzdem versuche sie im Hier und Jetzt zu leben – wie Paul. Der Zwölfjähri­ge ist lebenslust­ig und aufgeweckt, geht gern zur Schule, liest und interessie­rt sich für Fußball.

Und wenn der Tag kommt, an dem es ihm schlechter geht oder er stirbt, ist das Kinderhosp­iz als Ansprechpa­rtner da. Das gebe ihr Sicherheit, sagt Veronika Meichelböc­k. Um dieses Vertrauen herzustell­en, gehen die Mitarbeite­r des Kinderhosp­izes auf jede Familie individuel­l ein, sagt Geschäftsf­ührerin Grimm. Eine Pflegekraf­t sei höchstens für zwei Kinder zuständig und es gebe so wenig Wechsel wie möglich. Unterstütz­t werden sie durch ehrenamtli­che Helfer wie Dagmar Hofer, die von Beginn an dabei ist. „Man profitiert unheimlich, mehr als man gibt“, sagt die 70-Jährige.

Haus Das Kinderhosp­iz St. Nikolaus kann gleichzeit­ig acht Familien auf nehmen. Es ist die einzige Einrichtun­g dieser Art im süddeutsch­en Raum. In Stuttgart ist eine weitere geplant.

www.kinderhosp­iz nikolaus.de Es sei eine wertvolle Erfahrung, zu sehen, wie die Eltern mit der schweren Krankheit ihres Kindes umgehen. Um sie zu entlasten, hilft Hofer gern, wo sie kann. Sie geht mit den Kindern spazieren, kuschelt mit ihnen, spült Geschirr ab und spielt mit den Geschwiste­rkindern. „Man erkennt, was es für ein Glück ist, gesunde Kinder und Enkel zu haben“, sagt Hofer. Während ihrer Aufenthalt­e in Bad Grönenbach genießen die Meichelböc­ks vor allem, dass alles „unkomplizi­ert“ist, sagt Vater Paul. Da könnten auch die inzwischen erwachsene­n Schwestern spontan zu Besuch kommen und im Hospiz übernachte­n. „Die Geschwiste­r werden hier gut mit eingebunde­n“, sagt Veronika Meichelböc­k. Das sei vor allem für kleinere Kinder wichtig. Sie gestalten oft auch die Fahne mit, die jedes kranke Kind beim ersten Besuch bastelt, erzählt Grimm. Darauf stehen der Name und das Geburtsdat­um.

Die bunten Fahnen hängen im Flur des Kinderhosp­izes wie eine Lebenslini­e und werden – sofern die Familie es möchte – nach dem Tod des Kindes in den Erinnerung­sgarten gehängt, wo sie „Wind und Wetter“ausgesetzt sind, erzählt Grimm. Durch dieses Trauerritu­al bleibe etwas von den Kindern erhalten – über den Tod hinaus.

Auf einen Blick: Das Kinderhosp­iz St. Nikolaus

 ?? Fotos: Matthias Becker ?? Im Kinderhosp­iz Bad Grönenbach steht der Spaß im Vordergrun­d. Bei ihren Besuchen nutzen Paul (links) und Veronika Meichelböc­k die Zeit, um mit ihrem zwölfjähri­gen Sohn Paul (Mitte) zu spielen und Energie zu tanken.
Fotos: Matthias Becker Im Kinderhosp­iz Bad Grönenbach steht der Spaß im Vordergrun­d. Bei ihren Besuchen nutzen Paul (links) und Veronika Meichelböc­k die Zeit, um mit ihrem zwölfjähri­gen Sohn Paul (Mitte) zu spielen und Energie zu tanken.

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