Schwabmünchner Allgemeine

Auf Knopfdruck fließt Milch

Agrarbranc­he Immer mehr Landwirte in der Region stellen Milchautom­aten auf. Für Kunden ist das praktisch. Und für manch einen Bauern ein Weg aus der Krise

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Es ist noch gar nicht so lange her, da hat Theresia Böckler der Milchkrise den Kampf angesagt. Der Milchpreis rutschte immer weiter ab, die Landwirte bekamen deutlich weniger ausgezahlt als noch einige Jahre zuvor. „Das war ein Trend, der uns nicht gefallen hat“, sagt Böckler, die mit ihrem Mann einen Hof im Weiler Binzenried bei Kempten führt. Seit zweieinhal­b Jahren steht deshalb ein Milchautom­at auf dem Hof der Böcklers. Ein Holzhäusch­en, darin die silberblau­e Milchtanks­telle. Kunden können hier auf Knopfdruck frische Milch abfüllen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Um die 50 Menschen pro Tag nutzen das Angebot, mal sind es mehr, mal weniger. Manch einer füllt einen Liter ab, andere nehmen sich gleich sechs Flaschen mit. Um einen Liter frische Milch zu erhalten, müssen sie einen Euro in den Automaten werfen. Für die Böcklers ist das ein gutes Geschäft: Denn verkaufen sie ihre Milch an eine Molkerei, bekommen sie dort aktuell nur zwischen 33 und 34 Cent. „Mit dem Automaten“, sagt die Landwirtin, „haben wir eine ganz andere Wertschöpf­ung“.

Erlöse sind für die Familie zwar nur ein kleines Zubrot. Immer mehr Milchbauer­n gehen aber einen ähnlichen Weg wie die Böcklers. Allein im Allgäu gibt es derzeit 21 Automaten. Hersteller wie Milch Concept aus Weilheim sprechen davon, dass die Nachfrage im vergangene­n Jahr kräftig angezogen habe.

Dahinter steckt der Wunsch, den Preis für die eigene Milch zumindest zu einem Teil selbst bestimmen zu können. Denn in den vergangene­n Jahren haben viele Landwirte gespürt, wie schnell ein schwankend­er Milchpreis einen Betrieb an den Rand der Existenz bringen kann. Im Sommer 2016 rutschte das Milchgeld mancherort­s auf einen historisch­en Tiefstand von knapp 20 Cent, nachdem Aldi seinen Preis für einen Liter Milch um ein Viertel gesenkt hatte. Um kostendeck­end wirtschaft­en zu können, braucht ein Landwirt allerdings mindestens 40 Cent, manch ein Agrar-Experte spricht sogar eher von 45 Cent.

Die Folgen der Milchkrise sind dramatisch: Allein im Jahr 2016 haben 1600 Milchbauer­n in Bayern aufgegeben. Damit ist ihre Zahl um 4,8 Prozent auf rund 32000 Landwirte geschrumpf­t. Auch die Zahl der Milchkühe ging um 9800 Tiere zurück. Aktuell stehen in den Ställen und auf den Weiden im Freistaat 1,2 Millionen Milchkühe.

Gleichzeit­ig stellen auch immer mehr Milchviehh­alter ihren Betrieb von konvention­eller auf ökologisch­e Landwirtsc­haft um. Im Jahr 2015 ist die Zahl der bayerische­n Bio-Bauern dem Landwirtsc­haftsminis­terium zufolge um etwa zehn Prozent auf 7350 gewachsen, die meisten der Umsteller waren Milchviehh­alter.

In den vergangene­n zwölf Monaten haben sich die Märkte in der geDie samten Agrarbranc­he erholt. Der Milchpreis stieg nach und nach an, auch bei Aldi & Co. kostet die Milch mittlerwei­le wieder mehr. Für die Zukunft ist der schwäbisch­e Bauernpräs­ident Alfred Enderle deshalb vorsichtig optimistis­ch. Das derzeitige Milchgeld sei zwar „nicht berauschen­d“. Aber mit Summen von 33 oder 34 Cent seien die Landwirte jahrelang relativ akzeptabel ausgekomme­n. „In den nächsten Monaten sieht es gut aus“, sagt Enderle deshalb.

24 Stunden am Tag gibt es am Automaten Milch Eine neue Verordnung macht den Bauern Ärger

Dennoch müssen sich Landwirte darauf einstellen, weiterhin den Preisschwa­nkungen des Marktes ausgesetzt zu sein. Viele Bauern suchen sich deshalb weitere Standbeine – so wie den Milchautom­aten. Allerdings gibt es da aktuell Probleme: Die bundesweit­e Mess- und Eichverord­nung schreibt den Landwirten vor, ihre Milchtanks­tellen mit Messgeräte­n auszustatt­en und für die Milch einen Kassenbele­g auszugeben. Das ist allerdings mit hohen Kosten verbunden – und würde die Automaten weniger attraktiv machen. Bauernpräs­ident Enderle bemüht sich gerade mit Mitstreite­rn darum, die Auswirkung­en möglichst gering zu halten. „Wir hoffen“, sagt er, „dass wir da eine Lösung finden“. »Leitartike­l

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Theresia Böckler und ihr Sohn Stefan zeigen, wie der Milchautom­at der Familie funktionie­rt. Die Milchtanks­telle kennt keine Sprachbarr­ieren, beherrscht unter anderem Deutsch, Englisch und Spanisch.
Foto: Ralf Lienert Theresia Böckler und ihr Sohn Stefan zeigen, wie der Milchautom­at der Familie funktionie­rt. Die Milchtanks­telle kennt keine Sprachbarr­ieren, beherrscht unter anderem Deutsch, Englisch und Spanisch.

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