Die Revolution in der schwarzen Rille
The Beatles Vor 50 Jahren erschien eines der wichtigsten Alben der Pop-Geschichte. Unseren Autor beschäftigt „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“immer noch. Warum die Scheibe Maßstäbe setzte
Die erste Langspielplatte, die ich in meinem Leben kaufte, war „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“von den Beatles. Es war in den frühen Siebzigern, ich war 15 Jahre alt und durch glückliche Umstände in den Besitz eines Plattenspielers gelangt. Und weil es ein neues Gesetz gab, das Bafög hieß, verfügte ich als Schüler plötzlich über ein geregeltes Einkommen von etwa 20 Mark im Monat.
Eines meiner ersten „Gehälter“investierte ich ziemlich komplett in „Sergeant Pepper“. Eine reiflich abgewogene Entscheidung auf die Frage: Womit den Grundstein für eine Plattensammlung legen? Ich wählte ein Werk, das damals bereits als Klassiker eingestuft worden war, als Meilenstein, als beste Pop-Platte aller Zeiten.
Ich stand in einer Telefonzelle und berichtete meinem Klassenkameraden Reinhard stolz vom Erwerb – zu Hause hatten wir noch keinen Telefonanschluss, und so was wie ein Handy war Science-Fiction, gab es nur in der neuen Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“. Der Anruf verlief enttäuschend. Reinhard fand die Beatles „alt“. Pepper sei eine Oldie-Scheibe. Vor über vier Jahren rausgekommen! Warum ich nicht was von den neuen, den „progressiven“Gruppen gekauft hätte? Deep Purple, Uriah Heep, Led Zeppelin, Pink Floyd…
Ich habe meine Pepper-Platte dennoch in Ehren gehalten. Ja, ich habe sie mir etwas schön hören müssen. Die Ernüchterung nach dem ersten Durchlauf: Da ist kein richtig bekanntes Stück drauf! Kein Hit! Da sind komische Sachen dabei! Dieses schreckliche indische Gedudel am Beginn von Seite 2 („Within You Without You“), diese Kirmesmusik („Being for the Benefit of Mr. Kite“), dieses Schunkelstückchen mit der Klarinette („When I’m Sixty-Four“).
Eine Klarinette auf einer Rockplatte! Oh Gott! Und „With a Little Help From My Friends“war von Joe Cocker ganz klar besser.
Erst beim zweiten, dritten, vierten, hundertsten Hinhören – ich hörte Pepper oft, ich hatte lange Zeit keine andere Platte – weckten viele Details mein Interesse, setzten sich Soundsprengsel im Gehörgang fest – auch, weil aus dem schepprigen Plattenspieler im Lauf der Zeit eine veritable Stereoanlage wurde –, entwickelten sperrige Stücke betörenden Charme, faszinierten und verwirrten mich die Texte.
Es dauerte, bis ich verstand: Die „Oldie-Platte“war tatsächlich revolutionär. Vor Pepper hatten Langspielplatten meist nur aus einer beliebigen Ansammlung von Einzelsongs bestanden. Pepper aber hatte ein Konzept. Kein kompliziertes, aber immerhin. Ein fein austarierter Songreigen, eingerahmt von den beiden Stücken, auf denen sich die Beatles als Sergeant Peppers Band aus dem Klub der einsamen Herzen „verkleiden“, erst gute Unterhaltung wünschen („We hope you will enjoy the show“) und sich am Ende artig bedanken („We’d like to thank you once again“).
Passend zur musikalischen Maskerade: das Plattencover. Vor Pepper waren LP-Hüllen meist nur notwendige Verpackung für Vinylscheiben gewesen. Hübsches Bild des Künstlers drauf. Passt schon.
Für Pepper jedoch wurde ein aufwendiges Fotoshooting organisiert. Die großen Vier in Fantasie-Uniformen inmitten einer seltsamen Ansammlung von Pappkameraden und Wachsfiguren. Was das zu bedeuten hatte? Wer das alles war? Das hinten rechts war Bob Dylan, klar. Marlon Brando habe ich erkannt, auch Karl Marx und einige weitere. Aber viele aus der Versammlung blieben namenlos. Ein ewiges Rätsel? Heute lässt sich bei Wikipedia die komplette Anwesenheitsliste in Sekundenschnelle erfahren.
Was mir damals nicht bewusst war: Pepper war die erste Platte, auf der die Songtexte abgedruckt wurden. Später, als meine EnglischKenntnisse in Richtung Abiturreife vorangeschritten waren, startete ich den Versuch einer Übersetzung. Aber bereits bei „Lucy In The Sky With Diamonds“, dem dritten Stück auf Seite eins, brach ich ab. Warum? Ich weiß es nicht. Vermutlich jugendliche Flatterhaftigkeit. Das Blatt mit der unvollendeten Fleißarbeit steckt aber noch heute in meinem gut erhaltenen Pepper-Album. Das Cover nur leicht angestoßen; das ziemlich schwere Vinyl kratzerlos. Rührend, wie gut manche Dinge die Stürme der Zeit überstehen.
Heute, am 1. Juni, jährt sich die Veröffentlichung von „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“zum 50. Mal. Wie inzwischen üblich, wird das mit Renovierungen und Restaurierungen gefeiert (siehe Info-Kasten). Pepper ist im neuen Sound zu hören. Aber auch im ganz alten Klangkleid.
Was viele nicht (mehr) wissen: Pepper war von den Beatles und ihrem Produzenten George Martin ursprünglich in Mono abgemischt worden. 1967 spielte die Stereotechnik nur eine Nebenrolle. Wer besaß schon eine Stereoanlage? Wichtig war, dass die Musik gut klang, wenn sie aus einem einzigen Lautsprecher kam. Auf den Zweikanal-Mix wurde deshalb kaum Energie verwendet. Das kam erst Ende der sechziger Jahre. Kein Wunder, dass Pepper in den Ohren meines Schulkameraden Reinhard „alt“klang. Schlagzeug komplett im linken Kanal, Gesang ganz rechts außen – solche Brachial-Effekte waren damals üblich, auch Pepper ist nicht ganz frei davon.
Giles Martin hat Pepper jetzt behutsam neu gemixt. Allzu plumpe Stereo-Effekthascherei entschärfte der Sohn von Altmeister George Martin. Der Sound ist klarer, präsenter; Instrumente und Gesang sind deutlicher definiert. Noch mehr interessante Details erreichen das Ohr.
Ja, Reinhard, die alte Platte klingt jetzt moderner. Kann man sich immer wieder anhören.